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Ungleiches Bündnis

Schanghaier Organisation: In Asien zeichnen sich die Ansätze eines neuen länderübergreifenden Zusammenschlusses ab. Er würde rund ein Drittel der Menschheit umfassen

Von Wolfgang Pomrehn *

In der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe haben sich Ende letzter Woche die Staats- und Regierungs­chefs der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) getroffen. Neben den zentralasiatischen Republiken Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisien gehören ihr Rußland und China an. Verabschiedet wurden unter anderem zwei Dokumente, die die Einbindung neuer Mitglieder regeln und die Kriterien definieren, die diese zu erfüllen haben. Pakistan und Indien stellten daraufhin wie erwartet einen formalen Aufnahmeantrag.

Auffällig ist das geringe Interesse hiesiger Medien an diesem zwar noch sehr losen, aber sich langsam entwickelnden Bündnis, das immerhin rund ein Drittel der Menschheit umfassen würde. Gerade angesichts der wachsenden Spannungen zwischen den NATO-Staaten und Rußland wie auch zwischen Japan, den USA und China in Fernost ein nicht ganz unwichtiger Faktor. Zumal sich die Organisation eindeutig hinter den ausgehandelten Waffenstillstand in der Ukraine stellte und auf eine politische Lösung des dortigen Konfliktes drängte.

Zugleich verurteilte sie in allgemeinen Worten, die sowohl auf die Vorgänge in der Ukraine als auch auf Entwicklungen in Japan zielten, alle Bemühungen, »das Gespenst des Faschismus heraufzubeschwören und sich extremistische und terroristische Bewegungen zunutze zu machen«. Die ganze Welt werde 2015 den siebzigsten Jahrestag des Sieges der Alliierten im Zweiten Weltkrieg feiern. Die SCO-Mitglieder hätten einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet und große Opfer erbringen müssen. Der Krieg habe gezeigt, wie wichtig es sei, daß alle Länder und politischen Führer entschlossen daran arbeiten, die Wiederholung solcher Tragödien zu vermeiden.

Ambivalenzen

Letzteres verdeutlicht, daß die auf dem Gipfel maßgeblichen Regierungen Rußlands und Chinas die internationale Lage offensichtlich mit einiger Sorge sehen. Ihr Verweis auf faschistische Tendenzen ist allerdings durchaus ambivalent, und das nicht nur wegen des eher laxen Umgangs der russischen Behörden mit der dortigen gewalttätigen neofaschistischen Szene. Narendra Modi, Indiens neuer Premierminister, der sein Land zum SCO-Mitglied machen will, ist Chef der Indischen Volkspartei BJP. Bereits als junger Mann war er in deren ideologischen Mutterorganisation, der »Nationalen Freiwilligen Organisation« RSS, aktiv, die einen aggressiven Hindu-Nationalismus mit starker Anlehnung an die Ideologie des deutschen Faschismus vertritt. Während Modis Zeit als Regierungschef im indischen Bundesstaat Gujarat kam es dort im März 2002 zu einem pogromartigen Massaker an Moslems, an dem Modis Partei und ihr Umfeld maßgeblichen Anteil hatten. Bis zu 2000 Menschen kamen seinerzeit ums Leben.

Dennoch werden innenpolitische Gründe der indischen Aufnahme in die SCO kaum entgegenstehen. Schwieriger wird es werden, die multilateralen Beziehungen auszutarieren. China hat zum Beispiel Vorbehalte gegen die Aufnahme des südlichen Nachbarn wegen dessen als zu eng empfundener Beziehungen zu den USA. Außerdem wird nur eine gemeinsame und gleichzeitige Aufnahme mit Pakistan denkbar sein. Letzteres setzte aber einen weitgehenden Abbau der Spannungen zwischen den beiden Erzfeinden voraus.

Potentiale

Bisher ist die SCO nicht als wirtschaftliche Kooperation gedacht. Sie solle sich im Augenblick auf die Bekämpfung »religiös-motivierten Extremismus« und »die drei Kräfte des Bösen« (siehe Spalte) konzentrieren, meinte Chinas Präsident Xi Jinping in Duschanbe. Gleichwohl spielten Wirtschaftsbeziehungen in den Gesprächen am Rande eine erhebliche Rolle. So schlug Xi zum Beispiel seinen russischen und mongolischen Amtskollegen Wladimir Putin und Tsakhiagiin Elbegdorj einen gemeinsamen Entwicklungskorridor vor, der die Mongolei zu einem wichtigen Umschlagplatz im internationalen Handel machen könnte. Das Land hat wie Indien, Pakistan und der Iran Beobach­terstatus bei der SCO und gilt wie diese als Aufnahmekandidat.

Derweil versteht es Modi aus der Annäherung maximales Kapital zu schlagen, indem er die wachsenden Spannungen zwischen China und Japan geschickt ausnutzt. Vor zwei Wochen besuchte er bereits zum zweiten Mal seinen japanischen Amtskollegen Shinzo Abe. Das Ergebnis: Tokio sagte Investitionen in Höhe von 35 Milliarden US-Dollar (27 Milliarden Euro) zu. Unter anderem wird Japan Hochgeschwindigkeitszüge liefern. Damit ist eine Marke gesetzt, die Chinas Präsident Xi Jinping überbieten muß, wenn er am Mittwoch in Indien zum Staatsbesuch eintrifft. Die Rede ist von 100 Milliarden US-Dollar (77,1 Milliarden Euro), die die Volksrepublik in den nächsten fünf Jahren in die Infrastruktur des Subkontinents stecken will.

* Aus: junge Welt, Montag 15. September 2014

SCO/SOZ: Daten und Fakten

Die Schanghai-Organisation für Zusammenarbeit (SCO-SOZ) wurde 2001 gegründet, zunächst als sehr loses Bündnis zwischen China, Kasachstan, Rußland, Kirgisien, Usbekistan und Tadschikistan. Afghanistan, Indien, Iran, die Mongolei und Pakistan wurden in den folgenden Jahren als Beobachter eingebunden. Die USA haben ebenfalls einen entsprechenden Antrag gestellt, erhielten jedoch keine Einladung. Belorußland, Sri Lanka und die Türkei gelten als SCO-Dialogpartner.

Die koordinierte Bekämpfung der »drei Kräfte des Bösen«, wie es der vormalige chinesische Außenminister Yang Jiechi 2011 nannte, nämlich »Terrorismus, Separatismus und Extremismus« gehört zu den Prioritäten der Organisation. Zu diesem Zweck werden unter anderem regelmäßig gemeinsame Polizei- und Militärmanöver abgehalten, das letzte Ende August in China mit einer Beteiligung von rund 7 000 Soldaten. Seit 2002 gibt es ein gemeinsames »Zentrum zur Bekämpfung des Terrorismus« mit Sitz in Usbekistans Hauptstadt Taschkent. Daneben gehört die Förderung der technisch-wissenschaftlichen Zusammenarbeit und die Vertrauensbildung zu den erklärten Zielen der Organisation. Sie ist formal bisher weder Militär- noch Wirtschaftsbündnis, allerdings fanden in den letzten Jahren die russisch-chinesischen Militärmanöver unter dem Dach der SCO statt. Bereits vor zehn Jahren machte die chinesische Regierung den Vorschlag, die SCO zu einer Freihandelszone auszubauen, was aber bisher nicht umgesetzt wurde. Seit 2005 gelten gemeinsame Energieprojekte als Priorität auf diesem Gebiet.

Das SCO-Sekretariat ist in Beijing angesiedelt und verfügt mit fünf Millionen US-Dollar (3,86 Millionen Euro) über ein auffallend mageres Budget für sich und das »Antiterrorzentrum« in Taschkent. Arbeitssprachen sind bisher Russisch und Chinesisch, allerdings dürfte bald auch Englisch hinzukommen, wenn Indien und Pakistan tatsächlich beitreten sollten. Neben den Staats- und Regierungschefs kommen auch die Außen- und anderen Fachminister regelmäßig zusammen, doch im Vergleich zu anderen regionalen Allianzen wie der südostasiatischen ASEAN oder gar der EU sind das Ausmaß der Integration und der Umfang der gemeinsamen Politik bisher eher gering. (wop)




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