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Doppelgipfel in Jekaterinburg

Medwedjew sammelte Prominenz um sich

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Das Prinzip einer Welt mit mehreren Schwerkraftzentren habe sich endgültig durchgesetzt. Dadurch wachse das Gewicht regionaler Organisationen in der Weltpolitik, heißt es selbstbewusst in der Deklaration der Shanghai-Organisation für Zusammenarbeit (SCO), die am Dienstag beim SCO-Gipfel im russischen Jekaterinburg einstimmig verabschiedet wurde.

Der Shanghai-Organisation gehören neben Russland und China auch die zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Kirgistan, Tadshikistan und Usbekistan an. Afghanistan, Indien, Iran, die Mongolei und Pakistan haben Beobachterstatus. Belarus und Sri Lanka erhielten ihn jetzt in Jekaterinburg.

Mit Hu Jintao, Asif Ali Zardari, Manmohan Singh und anderen hatte Dmitri Medwedjew im früheren Swerdlowsk eine illustre Gesellschaft um sich versammelt. Auch der Iraner Mahmud Ahmadinedschad war trotz der Turbulenzen zu Hause angereist. Zunächst allein, dann mit Ministern und Experten tauschte man sich zu allen brennenden Fragen der internationalen Politik und der Weltwirtschaft aus. Großen Raum nahmen die jüngsten Atomwaffendrohungen Nordkoreas ein. Pjöngjangs Nuklearpotenzial sei eine »ernsthafte Bedrohung für den internationalen Frieden und die Sicherheit«, heißt es in der Deklaration, die zugleich die unverzügliche Wiederaufnahme der Verhandlungen über einen atomwaffenfreien Status der koreanischen Halbinsel fordert.

Mitglieder und Beobachter der SCO wollen sich zudem aktiver in die Kontrolle der internationalen Finanzsysteme einbringen und Maßnahmen zur Stabilisierung der Weltwirtschaft ergreifen.

Ein vertiefter Meinungsaustausch dazu fand beim ebenfalls in Jekaterinburg zusammengekommenen Gipfeltreffen der BRIC-Staaten statt. Das Kürzel steht für die vier großen Schwellenstaaten Brasilien, Russland, Indien und China. Das Quartett vereinbarte engeres Zusammenwirken bei der Überwindung der Wirtschafts- und Finanzkrise sowie Maßnahmen für die Energie- und Lebensmittelsicherheit. Russland, das seit geraumer Zeit für eine neue internationale Reservewährung wirbt, die mit dem Dollar konkurrieren soll, will künftig Teile seiner Devisenreserven in chinesische Yuan konvertieren. Yuan und Rubel sollen den Dollar auch bei gegenseitigen Lieferungen allmählich als Verrechnungseinheit ablösen.

Details wollen Präsident Dmitri Medwedjew und sein chinesischer Kollege Hu Jintao während des dreitägigen Russlandbesuchs des Chinesen erörtern, der am Dienstag (16. Juni) begann. Er dient dem weiteren Ausbau der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit, die beide seit geraumer Zeit als strategische Partnerschaft bezeichnen.

Das Volumen des zweiseitigen Handelsaustauschs erreichte trotz Krise im letzten Jahr mit fast 57 Milliarden US-Dollar einen neuen Rekord. Seit Moskau und Peking 2008 über den Verlauf der letzten strittigen Abschnitte ihrer über 8000 Kilometer langen gemeinsamen Grenze einig wurden, sind auch die politischen Beziehungen frei von Problemen. Mehr noch: Beide Staaten bemühen sich nach Auffassung Fjodor Lukjanows, Chefredakteur der außenpolitischen Zeitschrift »Russland in der globalen Politik«, vor allem den USA klar zu machen, dass sie in Asien Gast und nur so lange gelitten sind, wie die Hausherren es zulassen.

Mitte der 90er Jahre zur Beilegung von Grenzstreitigkeiten zwischen China und den UdSSR-Nachfolgestaaten gegründet, konstituierte sich die Shanghai-Gruppe als regionales Bündnis erst 2001, als die NATO sich für die Antiterror-Operation in Afghanistan Zugriff auf Basen in Zentralasien verschaffte. Die Bedeutung der SCO als Ordnungsfaktor in der Region, meint Lukjanow, werde angesichts der schwachen Vorstellung des Nordatlantikpakts am Hindukusch weiter wachsen.

Und nicht nur dort. Die Shanghai-Organisation ist, wie Lukjanow glaubt, gegenwärtig die einzige bedeutende supranationale Organisation in einer Region, auf die sich die Aufmerksamkeit der ganzen Welt richtet. Mehr und mehr auch die der Europäer, die sich gern für den Nabel der Welt halten. Längerfristig stehe die SCO dennoch vor einer Zerreißprobe. Den Grund dafür sieht der Chefredakteur in Rivalitäten ihrer Führungsmächte Russland und China: Beide konkurrieren um den Status einer Supermacht in Asien und um den Zugriff auf die Öl- und Gasvorkommen der Kaspi-Region. Schon deshalb verlagere Moskau den Akzent seiner Außenpolitik nach Osten.

* Aus: Neues Deutschland, 17. Juni 2009


Quadratur des Kreises

BRIC-Gipfel in Jekaterinburg demonstriert wachsendes Selbstbewußtsein der Mitgliedstaaten. Ungelöst ist das Problem der Abhängigkeit vom US-Dollar

Von Rainer Rupp **


Die BRIC-Staaten (Brasilien, Rußland, Indien und China) haben am Dienstag im russischen Jekaterinburg ihren ersten offiziellen Gipfel abgehalten. Auf der Tagesordnung stand neben der Suche nach neuen Wegen zur Überwindung der globalen Krise die Reform der internationalen Finanzinstitute und die zukünftige Rolle des US-Dollar als weltweite Reservewährung. Zugleich diente das Treffen der Abstimmung der BRIC-Positionen für den G8-Gipfel im Juli, an dem nur Rußland teilnimmt.

Der gewachsene ökonomische und politische Einfluß der vier wichtig­sten, nicht dem »Westen« zuzurechnenden Staaten kann nicht länger ignoriert werden. Der Anteil der BRIC-Gruppe an der weltweiten Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt BIP) liegt derzeit bei 15 Prozent. Bereits 2001 hatte die US-Großbank Goldman Sachs in einer Analyse prognostiziert, daß diese Vierergruppe bis 2050 die Wirtschaftskraft der G-7-Länder überholt haben wird. Nicht wenige Beobachter sehen daher in dem Gipfel in der russischen Stadt am Ural, die zu Zeiten der UdSSR Swerdlowsk hieß, ein weiteres Indiz für die Entstehung einer neuen Weltordnung. Allerdings stellen die BRIC-Staaten keine politische Einheit dar. Die von den USA ausgegangene Weltwirtschaftskrise hat sie lediglich zusammengetrieben. Jetzt sind sie bestrebt, sich von den unheilvollen Entwicklungen abzukoppeln und gemeinsam besser ihre ökonomischen Interessen gegenüber dem Westen durchzusetzen. Zugleich versuchen sie, ihre Positionen mit denen der restlichen G-20-Ländern zu koordinieren, um öffentlichkeitswirksam als Interessenvertreter der Dritten Welt gegenüber den neoliberalen westlichen Industrienationen aufzutreten.

Lieferanten des Westens

Die in Jekaterinburg zur Debatte stehenden Kernfragen konnten jedoch nicht gelöst werden. So darf bezweifelt werden, ob es den vier Staaten gelingen wird, ihre stark auf den Export in westliche Märkte orientierten Wirtschaften durch die Stimulierung der Binnennachfrage und entsprechenden Strukturwandel hinreichend von der ausbleibenden oder im günstigsten Fall nur schleppenden Erholung der westlichen Wirtschaften abzukoppeln. Zudem gibt es zwischen den BRIC-Staaten nicht nur unterschiedliche politische, sondern auch unterschiedliche ökonomische Interessen. Rußland und Brasilien sind z.B. wichtige Exporteure, Indien und China hingegen bedeutende Importeure von Energie, was bei den aktuellen Gesprächen deutlich wurde. Ein weiteres Problem stellt die angestrebte Einigung zur Neuordnung der Rolle der internationalen Finanzinstitutionen wie IWF und Weltbank dar. Diese waren in den zurückliegenden Jahrzehnten von den westlichen Industrienationen vornehmlich als Sturmtruppe zur Durchsetzung der neoliberalen Interessen des westlichen Finanzkapitals in der Ländern der Dritten Welt eingesetzt worden.

Das dringlichste Problem der BRIC-Gruppe kommt jedoch der Quadratur des Kreises gleich. Auf den Punkt gebracht lautet es: »Wie kommen wir vom ungeliebten US-Dollar weg, ohne ihn zu destabilisieren?« Was die Gruppe diesbezüglich unternimmt, ist für die USA und den gesamten Westen von außerordentlicher Bedeutung, denn die vier Exportüberschußländer haben in den vergangenen Jahren 42 Prozent der weltweiten Devisenreserven angehäuft. Dies sind etwa drei Billionen Dollar, wovon China knapp die Hälfte hält. Die Zukunft des US-Geldes als Weltreservewährung liegt also in den Händen der BRIC.

An Dollar gekettet

Trotz ihrer in letzter Zeit mit zunehmendem Unmut geäußerten Zweifel über die Stabilität des Greenback angesichts der astronomischen Verschuldung der US-Regierung, können sich die BRIC-Länder nicht so einfach vom Dollar trennen. Die Tatsache, daß die US-Notenbank inzwischen begonnen hat, Regierungsausgaben in Höhe von vorerst 300 Milliarden Dollar über die Druckerpresse zu finanzieren, hat zu weiterem Vertrauensverlust in die US-Währung geführt. Sollten aber die BRIC-Staaten dabei gesehen werden, wie sie ihre Dollarbestände verkaufen und ihre Devisenreserven umstrukturieren, würden weltweit alle Dollarhalter zur Kasse drängen. Das Resultat wäre ein rapider Verfall und dürfte den Großteil der verbleibenden BRIC-Dollarreserven entwerten. Zugleich würden die westlichen Exportmärkte wegen der darauf folgenden Verschärfung der Weltwährungskrise für die Gruppe gänzlich wegfallen.

Arrogant bezeichnen daher viele US-Experten die BRIC-Länder als Gefangene des Dollars. Bei Strafe ihres eigenen Untergangs bliebe der Gruppe nichts anders übrig, als die US-Währung zu stützen und weiter zu kaufen. Wie zur Bestätigung haben die Vier im Mai von ihren Exportüberschüssen wieder mehr Dollar gekauft und ihre Reserven um weitere 60 Milliarden erhöht. Zur Beruhigung der globalen Devisenmärkte, die mit Mißtrauen den Gipfel beobachteten, erklärte der Wirtschaftsberater des russischen Präsidenten, Arkadi Dworkowitsch, am Dienstag in Jekaterinburg, Moskau sei nicht an Kurseinbrüchen des US-Dollars interessiert: »Am wenigsten brauchen wir heute Erschütterungen auf den Währungsmärkten. Keiner will den Dollar zum Sturz bringen.« Auch der russische Finanzminister Alexej Kudrin hatte am Samstag verkündet, der Dollar bleibe auch weiterhin eine verläßliche Reservewährung. Doch im gleichen Atemzug bemühte sich Präsidentenberater Dworkowitsch, Alternativen zum Dollar zu finden. Rußland könne künftig seine Staatsreserven auch in Wertpapiere der BRIC-Staaten investieren, »falls unsere Partner in russische Papiere investieren«.

** Aus: junge Welt, 17. Juni 2009


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