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Antifa in der Krise

Der Bewegung fehlen die Koordinaten. Ein neuer Sammelband fordert zur Debatte auf und zeigt, was Antifaschismus nicht sein darf

Von Steffen Trieß *

Nicht immer wird Antifaschismus mit dem Eintreten für eine solidarische Gesellschaft verbunden - wie hier am 1. Mai 2014 in Leipzig

Spätestens seit der Auflösung der Antifaschistischen Linken Berlin ist klar: Die Bewegung steckt in einer Krise und muss die Koordinaten ihrer Politik überdenken. Dabei geht es nicht bloß um handwerkliche Fehler, sondern um die Kernfragen linker, antifaschistischer Politik: Was hat Antifaschismus mit Kapitalismuskritik zu tun? Auf Grundlage welcher Analyse der gegenwärtigen Situation müssen was für antifaschistische Strategien formuliert werden – und mit welchen Bündnispartnern? Ein von Susann Witt-Stahl und Michael Sommer herausgegebener Sammelband unterzieht den Common sense der bundesdeutschen Antifabewegung einer scharfen und wichtigen Kritik. Wird das Verhältnis von Antifaschismus und Antikapitalismus nicht klar gefasst, so die Herausgeber, droht strategische und politische Orientierungslosigkeit. Im »worst case« machen sich Antifaschisten zu nützlichen Idioten des Neoliberalismus, die den Kapitalismus gegen die Marginalisierten verteidigen und »antifaschistisch« für die militärische Durchsetzung westlicher Kapitalinteressen trommeln.

Denn zur Matrix neoliberaler Herrschaftssicherung gehört, wie Susann Witt-Stahl einleitend aufzeigt, das Umdeuten von Faschismus in eine kollektivistische, irrationale Revolte der Unterdrückten. Deutsche Eliten bedienten sich dieser Strategie für eine »vergangenheitspolitische Umschuldung« - und immer mehr junge Antifaschisten machten sich derlei Prämissen zu eigen, so die Autorin. Sie begreifen Faschismus nicht mehr als Form bürgerlicher Herrschaft, sondern nur als ideologisch befeuertes Streben nach Gemeinschaft. Statt den Sozialdarwinismus, die Idee vom Recht des Stärkeren und Leistungsfähigeren, als gemeinsamen Nenner von Neoliberalismus und Faschismus anzugreifen, verabschieden sie sich von antikapitalistischer Massenmobilisierung. Sie setzen auf bürgerlichen Individualismus und den Kampf um angeblich bedrohte zivilisatorische Errungenschaften. Antifaschismus wird so zur konformistischen Verteidigung des Kapitalismus.

Im Kampf gegen »verkürzte«, »personalisierte« und mutmaßlich »strukturell antisemitische« Kapitalismuskritik sehen diverse Antifagruppen mittlerweile ihre dringlichste Aufgabe. Ihre »Geschäftsgrundlage« sind die Beiträge des US-amerikanischen Theoretikers Moishe Postone, demzufolge Antisemitismus die ressentimentgeladene Revolte gegen die »abstrakten« Momente moderner Vergesellschaftung ist. Michael Sommer unterzieht Postones Thesen einer präzisen Kritik: Seine Interpretation von Marx' »Kapital« werfe Gegenstand und Methode durcheinander; seine Thesen beruhten auf bloßen Analogieschlüssen und könnten antisemitische Ideologie nicht erklären. Postones ungenauer Gebrauch der Begriffe »abstrakt« und »konkret« mache es möglich, jede Unmutsäußerung gegen den Kapitalismus, das Bankensystem oder die Globalisierung mit dem Verdacht des Antisemitismus zu belegen. Die Konsequenz: »Man kann sozusagen gesichtswahrend antifaschistischer Kritiker sein, ohne in Konflikt mit den gesellschaftlich Mächtigen zu geraten, ja mehr noch: indem man an ihrer Seite steht.«

Mehrere Beiträge fordern, sich nicht an Neonazigruppen abzuarbeiten, sondern auch die autoritäre Entdemokratisierung im Kapitalismus in die Kritik zu nehmen. So warnt Rechtsanwalt Eberhard Schultz vor einem umfassenden Sicherheitsstaat, in dessen Aufbau er eine Tendenz zum »friendly fascism« sieht. Antifaschistische Politik dürfe sich daher nicht auf die Forderung nach staatlicher Repression gegen reaktionäre Gruppen beschränken. Der israelische Soziologe und Historiker Moshe Zuckermann kritisiert die gerade von bundesdeutschen Linken betriebene affirmative Wende kritischer Gesellschaftstheorie. Der Publizist Wolf Wetzel widmet sich dem verhaltenen Umgang deutscher Antifaschisten mit den aufgedeckten NSU-Morden.

Was aber ist Faschismus und wie sollen Linke ihn bekämpfen? Jürgen Lloyd kritisiert Bündnispolitik auf Grundlage rein moralischer Empörung: Die Herrschaft des Kapitals sei nicht zwingend auf die parlamentarische Demokratie angewiesen, daher sei dem Kapitalismus die faschistische Option inhärent. Zu diskutieren wäre dann, ob die von Lloyd zur Bekämpfung von Faschisierungstendenzen geforderten »antimonopolistischen Bündnisse« unter allen Umständen die richtige Strategie sind. Sind möglichst breite Bündnisse immer gleich die besseren? Wie kann eine linke, antikapitalistische Stoßrichtung in derlei Bündnissen tonangebend sein?

Der Sammelband liefert wichtige Impulse, die die Antifabewegung beherzigen sollte, wenn sie zentrale Politikfelder wieder besetzen will. Natürlich können die insgesamt acht Texte nicht alle Fragen abschließend klären. Sie sind Streitschriften und im Idealfall der Auftakt einer breiteren Debatte.

Susann Witt-Stahl/Michael Sommer (Hg.): »Antifa heißt Luftangriff!« Regression einer revolutionären Bewegung. Laika Verlag, Hamburg 2014, 216 Seiten, 21 Euro

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 8. Oktober 2014


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