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Nichts verdrehen lassen

Bündnis mobilisiert für Proteste gegen rechten Aufmarsch in Weimar. Schlappe für Neonazis in Dresden

Von Susan Bonath *

Trotz zahlreicher Niederlagen in den vergangenen Jahren halten Thüringens Neonazis an ihren Plänen fest, in Weimar einen braunen »Gedenkmarsch« zu etablieren. Zusammen mit der NPD mobilisieren rechte Kameradschaften, allen voran die »Aktionsgruppe Weimarer Land«, für den 8. Februar in die Stadt am Ettersberg. Das Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus (BgR) Weimar ruft unter dem Motto »Laß dir nichts verdrehen. Erst recht nicht die Geschichte!« zu Protesten auf.

Wie in Magdeburg, Dresden, Bad Nenndorf und anderswo benutzen die Faschisten auch in Weimar die alliierten Bombenangriffe zum Ende des Zweiten Weltkrieges dazu, um Deutsche als einzig betrauernswerte Opfer darzustellen. Daß die Nazis den Krieg entfesselt und Millionen Menschen grausam ermordet hatten, blenden sie geflissentlich aus. Zur Mordmaschinerie der Nazis gehörte das auf dem Ettersberg bei Weimar gelegene Konzentrationslager Buchenwald, in welchem zwischen 1937 und 1945 geschätzt etwa 56000 Menschen ermordet worden waren. Die Häftlinge leisteten dort Zwangsarbeit in Rüstungsbetrieben. Vor allen diesen galten die bis in den April 1945 andauernden Luftangriffe der U.S. Air Force. Das erste Bombardement am 9. Februar 1945 legte jedoch die Innenstadt von Weimar in Schutt und Asche. 462 der rund 65000 Einwohner kamen dabei ums Leben.

Das Leid der Opfer werde heute wieder »von alten und neuen Nazis in geschichtsverdrehender Weise instrumentalisiert«, erklärt das BgR Weimar in seinem Protestaufruf. Ursache und Wirkung würden bewußt vertauscht, um braune Propaganda auf die Straßen zu tragen. Dagegen müsse angekämpft werden. Weimar habe ob des historischen Kontextes eine besondere Pflicht, wachsam zu sein, heißt es. Zwar ruft das Bündnis nicht explizit zu Blockaden auf, es schließt sie aber auch nicht aus. Man wolle »Gesicht zeigen und sich dem Aufmarsch widersetzen«. Dazu lädt das BgR für den heutigen Mittwoch ab 18 Uhr zu einem Aktionstraining in die Weimarer Volkshochschule ein.

Die Vorbereitungen auf die Proteste wurden indes durch rechte Gewalt überschattet. Am vorvergangenen Samstag griffen fünf Neonazis in Weimar einen Mann aus Sierra Leone an (jW berichtete). Sie beschimpften den 32jährigen in einer alternativen Kneipe als »scheiß Nigger« und schlugen ihm eine leere Flasche ins Gesicht, wie es in der Thüringer Allgemeinen heißt. Das Opfer mußte im Krankenhaus behandelt werden. Am selben Wochenende sollen mehrere Rechte einen Mann in einer Disko homophob beschimpft und bedrängt haben. Die Polizei griff ein und geleitete die Angreifer zum Hauptbahnhof.

Bislang ist es den Neonazis nicht gelungen, in Weimar einen größeren »Trauermarsch« zu etablieren. Mit ihrem ersten Anlauf im Februar 2012 waren sie gescheitert. Damals hatte die Polizei den braunen Troß aufgelöst, weil der Anmelder die städtischen Auflagen nicht erfüllt hatte. Beim zweiten Versuch am 9. Februar 2013 marschierten knapp 100 Neonazis durch die Stadt. Ihre angekündigte vierstündige Route mußten sie, gestört durch den Protest von etwa 500 Antifaschisten, auf eine Stunde verkürzen. Für den Aufmarsch am kommenden Samstag rechnet die Stadt erneut mit etwa 100 Rechten. Anmelder ist der Neonazi Michael Fischer von der »Aktionsgruppe Weimarer Land«. Fischer war in Thüringen schon häufiger als Akteur von rechten Veranstaltungen in Erscheinung getreten.

Unterdessen ist der jährliche »Gedenkmarsch« durch Dresden offenbar Geschichte. Zeitweise zählte das braune Event bis über 9000 Mitläufer. In den vergangenen vier Jahren wurde der Aufzug jedoch erfolgreich blockiert, und die Teilnehmerzahlen sanken rapide. Für den diesjährigen 13. Februar, den 69. Jahrestag des Bombenangriffs auf Dresden, hatten die Neonazis nur noch eine Kundgebung vor der Frauenkirche angemeldet (jW berichtete). Dies verwehrte ihnen die Stadtverwaltung nun. Per Auflagenbescheid verlegte sie die Versammlung an »einen anderen Ort«, den sie noch nicht bekanntgeben will. Sie berief sich dafür auf das sächsische Versammlungsgesetz, wonach »Demonstrationen an Orten von historisch herausragender Bedeutung« verboten werden können. Das neofaschistische »Aktionsbündnis gegen das Vergessen« hat mittlerweile angekündigt, dagegen Rechtsmittel einzulegen.

[www.bgr-weimar.de]

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 5. Februar 2014


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