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Pegida bekommt Kontra

Bundesweit Zehntausende gegen fremdenfeindliche und antiislamische Demonstrationen auf der Straße

Von Jana Frielinghaus *

Der Montag abend stand erneut im Zeichen der Demonstrationen fremden- und islamfeindlicher Bündnisse – und des erstarkenden Protestes dagegen. Bundesweit protestierten Zehntausende gegen die Aufzüge der »Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« (Pegida). Das in Dresden gegründete Bündnis hat mittlerweile Ableger in zahlreichen deutschen Städten. Doch während in der »Mutterstadt« der Montagsaufzüge mit 18.000 Teilnehmern ein neuer Rekord zu verzeichnen war und sich die 4.000 Gegendemonstranten nach wie vor in der Minderheit befanden, war das Verhältnis in Köln und Münster umgekehrt.

In beiden Städten hatte ein breites bürgerliches Bündnis aus Parteien, sozialen und kulturellen Organisationen und Kirchen und städtischen Initiativen zu Demonstrationen unter dem Motto »Refugees Welcome« aufgerufen. Insgesamt folgten rund 20.000 Bürger den Aufrufen. In Köln stellten sich nach Polizeiangaben rund 7.500 Menschen gerade einmal 250 Pegida-Anhängern in den Weg. Die Veranstalter sprachen von rund 12.000 Teilnehmern. In Münster meldete die Polizei rund 10.000 Teilnehmer. Eine Pegida-Demonstration gab es dort nicht.

In Berlin protestierten auf verschiedenen Kundgebungen mehr als 6.000 Menschen gegen eine Demonstration von 300 bis 500 Pegida-Anhängern.

Am Dienstag äußerten sich erneut zahlreiche Politiker zum Pegida-Phänomen. In der Bild-Ausgabe vom Dienstag riefen 50 prominente Vertreter von Politik, Wirtschaft, Kunst und Sport dazu auf, der Gruppierung entgegenzutreten. Ihr Herz für Flüchtlinge entdeckten dabei auch Politiker wie Finanzressortchef Wolfgang Schäuble und Innenminister Thomas de Maizière (beide CDU), die selbst maßgeblich dazu beigetragen haben, dass viele Menschen glauben, viele Flüchtlinge seien gar keine »echten« und betrieben »Missbrauch« des deutschen Asylrechts. De Maizière betonte in einem Interview mit dem US-Nachrichtensender CNN am Montag abend, die Pegida-Demonstrationen seien ein »regionales Phänomen«, das nicht überschätzt werden sollte.

Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) erklärte am Dienstag gegenüber Bild, die Pegida-Proteste seien »nicht Deutschland«. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Ulrich Grillo, betonte wie Schmidt die Bedeutung von Migranten für die Wirtschaft: »Deutschland tut qualifizierte Einwanderung richtig gut.« Die Linkspartei geht davon aus, dass der Zulauf zur Pegida begrenzt bleibt. »Außerhalb Dresdens erweist sich die rassistische Pegida-Bewegung als Flop«, erklärte die innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Ulla Jelpke.

Als einzige der in Parlamenten vertretenen Parteien sucht die »Alternative für Deutschland« (AfD) den Kontakt zur Pegida. Die sächsische AfD-Landtagsfraktion will sich am heutigen Mittwoch mit Vertretern der Bewegung treffen. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner kritisierte die Bewegung. Zugleich zeigte er auf dem Dreikönigstreffen in Stuttgart aber Verständnis für Bürger, die sich besorgt über den Zuzug Hunderter Flüchtlinge in ihre Nachbarschaft zeigten. Sie dürften nicht als »Nazis in Nadelstreifen« beschimpft werden. FDP-Vize Wolfgang Kubicki sagte im ZDF, der Islam sei »nicht unser Problem, das Problem sind Menschen, die ihre kriminellen Taten religiös zu rechtfertigen suchen«. Dass es deshalb »diffuse Ängste« gebe, sei den Menschen nicht vorzuwerfen.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 7. Januar 2015


Ganz normale Leute?

Wahnvorstellungen der Pegida fallen in Dresden auf fruchtbaren Boden

Von Knut Mellenthin **


Zum elften Mal haben am Montag in Dresden Tausende für diffuse ausländerfeindliche Ziele demonstriert. Laut Polizei waren mit 18.000 Teilnehmern noch ein paar hundert Menschen mehr gekommen als beim letzten Pegida-Aufmarsch kurz vor Weihnachten. Stark gewachsen war Presseberichten zufolge die Zahl der Demotouristen aus dem Bundesgebiet.

Fast täglich melden sich neue Versteher des anmeldenden Vereins »Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« aus der Politik zu Wort. Am Montag war die Reihe am Vizevorsitzenden der FDP, dem schleswig-holsteinischen Landtagsabgeordneten Wolfgang Kubicki. Sie alle nehmen angeblich »berechtigte Sorgen« von »ganz normalen Leuten« wahr, bei denen es sich durchaus nicht um Ausländerfeinde handle.

Woher die Politiker ihre Behauptungen nehmen, lassen sie offen. Es wurden bisher keine sachlich fundierten Untersuchungen veröffentlicht, die begründete Schlussfolgerungen über die Zusammensetzung und die Einstellung der in Dresden Demonstrierenden zulassen. Konkrete Sorgen werden weder durch Sprechchöre und Transparente noch in den immer wilder werdenden Reden artikuliert. Sprüche wie »Die Deutschen sind nur noch Bürger zweiter Klasse im eigenen Land« sind keine etwas danebengegangene Kritik, sondern drücken Wahnvorstellungen aus. Außer der definitiv falschen Behauptung »Wir sind das Volk« und der Meinung, dass »die Ausländer« an allem schuld seien, ist bei Pegida kein Konsens zu erkennen. Aber allein die Tatsache, dass in Dresden seit Monaten unterschiedlichste Gefühle von Unzufriedenheit in klassischer Weise auf einen externen Sündenbock fokussiert werden, verbietet es, diese Bewegung zu verharmlosen und sie durch Zugeständnisse auch noch zu ermutigen.

Nach einer im Dezember durchgeführten Umfrage des Stern unterstützen zwar 29 Prozent der Befragten die Pegida-Proteste in Dresden. Aber nur 13 Prozent könnten sich vorstellen, vielleicht an einer ähnlichen Demonstration teilzunehmen, falls diese in der Nähe ihres Wohnortes stattfände. Sehr viel höher ist dieser Anteil jedoch mit 45 Prozent unter den Anhängern der rechtspopulistischen AfD. Bedenkt man ferner, dass die Teilnehmer dieser Montagsdemonstrationen nun schon seit vielen Wochen durchhalten und mehrere tausend von ihnen dafür sogar immer wieder lange Autofahrten in Kauf nehmen, liegt auf der Hand, dass es sich keineswegs um eine Art »repräsentativen Querschnitt« der deutschen Bevölkerung und in diesem Sinn auch nicht um »ganz normale Leute« handelt. Die Mehrheit der Demonstranten ist offenbar außergewöhnlich stark motiviert, wie es sonst höchstens aktive Mitglieder politischer Organisationen sind.

Selbst in kritische Betrachtungen der Dresdner Pegida-Aufmärsche wird nur selten einbezogen, dass Sachsen ein größeres rechtes Wählerpotential hat als irgendein anderes Bundesland. Bei der Landtagswahl am 31. August vergangenen Jahres stimmten 160.000 Menschen (9,7 Prozent) für die AfD und zusätzlich 81.000 (4,9 Prozent für die NPD. Das sind zusammen über 240.000 Menschen. Pegida hat also noch reichlich Reserven. Dresden allein brachte es bei der Stadtratswahl am 25. Mai 2014 auf 18.341 NPD- und 46.309 AfD-Wähler. Das entspricht 2,8 und 7,0 Prozent.

Bei der sächsischen Landtagswahl 2004 erreichte die NPD mit 9,2 Prozent das zweitbeste Ergebnis ihrer Geschichte. Besser hatte sie nur im April 1968 mit 9,8 Prozent in Baden-Württemberg abgeschnitten. 191.000 Sachsen stimmten für die Neonazis. Das bedeutete eine Verzehnfachung gegenüber der Landtagswahl 1999 und wirkte entsprechend sensationell. In den ersten Jahren nach dem Anschluss der DDR hatten die rechten Parteien – NPD, Republikaner und DVU – in den »neuen Ländern« deutlich schlechter abgeschnitten als im Westen. Das ist gegenwärtig umgekehrt, ohne dass die Gründe bisher analysiert sind.

Pegida legt auf den »gutbürgerlichen« Anschein immer weniger Wert. Das zeigte am Montag der Auftritt von Udo Ulfkotte als Redner. Mit seinen Büchern »Der Krieg in unseren Städten« (2003) und »Heiliger Krieg in Europa« (2007) gehört der jetzt 54jährige neben Henryk M. Broder zu den Pionieren des deutschen Antiislamismus. Ulfkotte pflegt unter dem Vorwand sogenannter Islamkritik Einzelfallmeldungen mit teilweise zweifelhaftem, nicht überprüfbarem Inhalt – beispielsweise aus dem Bereich der Jugendkriminalität – aneinanderzureihen, von denen viele mit dem Islam gar nichts oder nur sehr wenig zu tun haben. Mit Sprüchen wie »Für Muslime gibt es offenkundig überall Sonderrechte« und der Verteufelung von Moscheen als Beweis für die »Islamisierung der Städte« ist ihm der Beifall der Pegida-Anhänger sicher.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 7. Januar 2015


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