Sprachloses Gemecker
PEGIDA und ein 19-Punkte-Programm: Die Dresdner Montagsprotestierer haben nichts zu sagen. Heute wollen sie singen
Von Knut Mellenthin *
Seit Oktober wird an jedem Montag abend in Dresden demonstriert. Von anfangs 350 stieg die Zahl der Teilnehmer, darunter viele Angereiste aus anderen Teilen Deutschlands, ständig an. 15.000 waren es vor einer Woche. So viel Stetigkeit der Mobilisierung erreichen Kampagnen selten. Es scheint also um etwas Wichtiges und Ernsthaftes zu gehen. Aber worum eigentlich? Vor den Kameras der immer zahlreicheren Fernsehteams geben einzelne Teilnehmer erschreckende Selbstauskünfte. Freilich weiß man nicht, ob einige der aggressiv Räsonierenden nicht vielleicht Undercover-Journalisten eines anderen Senders oder schlichtweg Mitarbeiter des sogenannten Verfassungsschutzes sind.
Die Veranstalter verweisen Neugierige gern auf ihre »19 Punkte«, in denen angeblich die Ziele der Dresdner Montagsdemonstrationen dargestellt sind. Vielleicht hat dabei irgendein historisch beschlagener Organisator mehr oder weniger bewusst an das 25-Punkte-Programm der NSDAP von 1920 gedacht. Da stand zwar auch nicht alles drin, was man wirklich anstrebte, aber es hatte immerhin konkrete Inhalte. Davon kann in den 19 Punkten keine Rede sein. Sie sind das Produkt von Leuten, die ihre wahren Ziele vertuschen wollen, politisch zudem nicht viel im Kopf haben.
Um beim Schwerwiegendsten zu beginnen: Die Demonstrationen finden unter dem Abkürzungsmonstrum PEGIDA statt. Die Buchstaben stehen für »Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes«. »Islamisierung« ist ein Kampfbegriff, der vor über zehn Jahren von Rechtszionisten und Neokonservativen in den USA erfunden wurde. Was wollen die Drahtzieher der Dresdner Aufmärsche mit der Übernahme dieses Wortes sagen, welche konkrete Kritik an bestehenden Verhältnissen soll damit ausgedrückt werden? Überraschendes Ergebnis: In den 19 Punkten kommt das Wort »Islamisierung« nicht ein einziges Mal vor. Selbst »Islam« kann man dort nicht finden. Offenbar scheut man beim zentralen Punkt der eigenen Kampagne jede noch so vage Festlegung und setzt nur auf unausgesprochene Ressentiments.
Auch von den Angehörigen dieser Glaubensgemeinschaft ist nur an einer Stelle kurz die Rede: Man sei »nicht gegen hier lebende, sich integrierende Muslime«, heißt es in Punkt 10. Das lenkt zum nächsten Thema: Was verstehen die PEGIDA-Regisseure unter »Integration«? In Punkt 2 wird gefordert, »die Pflicht zur Integration« ins Grundgesetz aufzunehmen. Eine Begriffsklärung findet jedoch nicht einmal in Ansätzen statt. Das bleibt der gefühlsbetonten Phantasie jedes einzelnen Demonstrationsteilnehmers überlassen.
Kluge Leute sprechen ihre Absichten nicht aus, haben sich die Organisatoren wohl gedacht. Sie bauen darauf, dass sie die Vorurteile vieler Deutscher auf ihrer Seite haben. Bild veröffentlichte am 18. Dezember Ergebnisse einer von ihr in Auftrag gegebenen Umfrage. Danach haben 58 Prozent auf die Suggestivaussage »Ich habe Angst vor dem zunehmenden Einfluss des Islam in Deutschland« mit Ja geantwortet. 56 Prozent meinen, dass der Islam »eine Gefahr für Deutschland« sei. 27 Prozent glauben, dass Muslime »aggressiver« seien als sie selbst, und fast ein Drittel hält sie für »weniger bildungsorientiert«.
Apropos Bildung: Laut einer Untersuchung des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung überschätzten 70 Prozent der Befragten die Zahl der Muslime in Deutschland. Rund ein Viertel der Deutschen vermuten sogar, der muslimische Bevölkerungsanteil liege bei über 20 Prozent. Tatsächlich bezeichnen sich rund vier Millionen Menschen in Deutschland, das sind fünf Prozent der Bevölkerung, als Muslime.
Die Mehrheit der 19 Punkte beschäftigt sich mit dem Asylrecht. Genannt werden keine Fakten, und die Forderungen sind, wenn man von der »dezentralen Unterbringung« absieht, bereits Teil der staatlichen Praxis. Aber was soll man über die Ehrlichkeit von Leute wie dem mehrfach wegen Besitzes harter Drogen vorbestraften PEGIDA-Chef Lutz Bachmann denken, die in Punkt 3 ihres Programms über »teilweise menschenunwürdige Heime« für Flüchtlinge klagen, aber in Interviews von »Asylbewerbern in luxuriös ausgestatteten Unterkünften« phantasieren?
Bei den Dresdner Montagsdemonstrationen wird überwiegend geschwiegen. Außer Deutschland-Fahnen sieht man nur wenige Plakate und Spruchbänder mit geistig schlichten Formeln, unter denen sich jeder vorstellen kann, was er will: »Mut zur Wahrheit«, »Für die Zukunft unserer Kinder« oder »Gegen religiösen Fanatismus«. Diese Leute können sich, sobald sie den Mund auftun, nur blamieren. Vielleicht machen sie heute abend beim geplanten Singen von Weihnachtsliedern eine bessere Figur.
* Aus: junge Welt, Montag, 22. Dezember 2014
"Patrioten" außerhalb Dresdens erfolglos
Nachahmungseffekt bisher verpufft: Weitere Aufmärsche in Bonn, Düsseldorf und Leipzig geplant
Von Markus Bernhardt **
Zunehmend versuchen rechte »Wutbürger« auch außerhalb Sachsens, an die Mobilisierungserfolge des PEGIDA-Netzwerks (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) in Dresden anzuknüpfen. Über 15.000 Personen waren am vergangenen Montag in der sächsischen Landeshauptstadt zusammengekommen (jW berichtete). Auch in Düsseldorf und Bonn war es in den vergangenen Wochen zu inhaltlich ähnlich ausgerichteten Aufmärschen gekommen. Jedoch folgten nur wenige hundert Personen den Aufrufen der selbsternannten Patrioten. Hinzu kommt, dass die lokalen PEGIDA-Ableger in Düsseldorf und Bonn keineswegs Durchschnittsbürger zu ihren Protesten mobilisieren konnten. Vielmehr prägten dort mehrheitlich extreme Rechte und Rassisten das Demonstrationsgeschehen. So hatten unter anderem Anhänger der Kleinstpartei »Pro NRW«, der NPD und der ebenfalls neofaschistischen Partei »Die Rechte« zur Teilnahme an den Kundgebungen aufgerufen.
Am heutigen Montag will der Zusammenschluss BOGIDA (Bonn gegen die Islamisierung des Abendlandes) erneut in Bonn aufmarschieren, obwohl es den Kulturkriegern am vergangenen Montag lediglich gelungen war, 300 Personen zu versammeln. Eine ursprünglich geplante Demonstration musste ausfallen, weil 1.600 Antifaschisten die rechte Kundgebung umzingelt hatten und die Polizei nicht willens war, diese mit dem Einsatz körperlicher Gewalt abzudrängen. Auch für heute abend mobilisiert das antifaschistische Bündnis »Bonn stellt sich quer!« erneut dazu, einen Aufzug der Rassisten zu verhindern.
Die rechte Kundgebung am vergangenen Montag war von Melanie Dittmer aus Bornheim angemeldet worden. Dittmer galt in den 1990er Jahren als eine der führenden Neonazi-Aktivistinnen in Nordrhein-Westfalen, versucht jedoch heutzutage, sich in der Öffentlichkeit als eine Art bürgerliche Patriotin zu inszenieren. Am heutigen Aufmarsch wird auch der Publizist und ehemalige FAZ-Journalist Udo Ulfkotte teilnehmen. Dass es weder ihm noch dem Gros seiner Gesinnungsgenossen um eine Kritik an militanten Islamanhängern geht, wird schnell deutlich, wenn man sich einen kürzlich erschienenen Beitrag Ulfkottes zu den rechten Protesten zu Gemüte führt. Darin schreibt dieser etwa gegen die EU-Osterweiterung und die Einführung des Euros an. Er unterstütze PEGIDA in Dresden und »all die anderen Ableger einer Bewegung, welche aus der Mitte der Gesellschaft entstanden sind und endlich jenen ein Gesicht gibt, die bislang glaubten, mit ihrer Verzweiflung gegenüber der gekauften Lügenpresse und abgehobenen Politikern allein zu sein«, schwadroniert der Rechtspopulist darin außerdem.
Fernab des für heute geplanten Aufmarsches in Bonn wollen die Rechten auch am 12. Januar in Düsseldorf und Leipzig aufmarschieren. Dagegen macht unter anderem die Leipziger Linkspartei mobil. »Aus den bisherigen Erfahrungen in Dresden hat die Leipziger Linke die Schlussfolgerung gezogen, dass von Anfang an fremdenfeindlichen und islamophoben Aktivitäten in Leipzig mit einer breiten zivilgesellschaftlichen Bewegung im öffentlichen Raum entschieden entgegengetreten werden muss«, stellte Volker Külow, Vorsitzender der Partei in Leipzig, gegenüber junge Welt klar. Auch in Düsseldorf wollen Antifaschisten erneut gegen rassistische Stimmungsmache mobil machen.
Unterdessen erheben auch Prominente ihre Stimme gegen die Aufmärsche der Reaktionäre. »Was soll das eigentlich für ein friedliches Weihnachtsfest werden, wenn so viele PEGIDA-Deppen und Mitläufer unser Land in den Abgrund ziehen ...?«, monierte etwa der Schauspieler Matthias Schweighöfer auf seiner Facebook-Seite und zog sich damit hasserfüllte Kommentare von Anhängern des braunen Spuks aus Dresden zu.
** Aus: junge Welt, Montag, 22. Dezember 2014
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