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Rechter Mummenschanz

Am Wochenende findet in Kassel das alljährliche "Deutschlandtreffen" der Landsmannschaft Ostpreußen statt

Von Jörg Kronauer *

Die Landsmannschaft Ostpreußen ist immer für eine Überraschung gut. Da hat man gedacht, die alte deutsche Provinz Ostpreußen habe 1945 aufgehört zu existieren, ihr Territorium sei in der polnischen Woiwodschaft Ermland-Masuren und im russischen Oblast Kaliningrad aufgegangen. Was für ein Irrtum! Ostpreußen existiert immer noch, und es wird von der Landsmannschaft, wie man als aufmerksamer Leser ihrer Satzung erfahren kann, »verkörpert« – mehr noch: Die Landsmannschaft setzt heute sogar »die Provinz fort«! Da ist es natürlich kein Wunder, daß sie zu ihrem diesjährigen »Deutschlandtreffen«, das am Wochenende in Kassel stattfindet, unter dem Motto »Ostpreußen hat Zukunft« einlädt. Am Samstag wird es in der Kasseler Messe feierlich eröffnet, am Sonntag folgt die Großkundgebung mit Einmarsch der Fahnenstaffel, Totenehrung und »Wort der Jugend«, vor allem aber mit »Des großen Kürfürsten Reitermarsch« und »Glockengeläut des Königsberger Doms«. Wer das alles aushält, darf dann zur Belohnung das »Deutschlandlied« mitsingen. Um Mißverständnisse zu vermeiden, vermerkt das Programm ausdrücklich: »3. Strophe«. Die, für die man keinen Ärger kriegt.

Ostpreußen hat bei der gleichnamigen Landsmannschaft nicht nur Zukunft, es hat vor allem auch Vergangenheit, eine Vergangenheit im Deutschen Reich. Ihr widmet sich die Landsmannschaft intensiv. Da wäre zum Beispiel die Frage, wie das Deutsche Reich eigentlich in den Zweiten Weltkrieg geraten ist, der ja letztlich auch zur kläglichen Fortsetzung der Provinz Ostpreußen in der Landsmannschaft geführt hat. Im Jahr 2003 ist im Münchner Olzog Verlag ein Buch erschienen, das in der Organisation zu einem festen Bezugspunkt geworden ist. Es stammt vom Generalmajor a.D. der Bundeswehr Gerd Schultze-Rhonhof, einst Kommandeur der 3. Panzerdivision in Buxtehude, heute Privathistoriker mit Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg, und es behandelt letzteren unter dem aussagekräftigen Titel »Der Krieg, der viele Väter hatte«. In der NPD-Parteizeitung Deutsche Stimme wurde es einst als »Grundlagenwerk« gelobt. Schultze-Rhonhof könne »auf deutscher Seite keine konkrete Kriegsplanung erkennen, dafür aber langjährige Kriegsziele des Auslands, die 1939 die Lage zum Eskalieren brachten«, berichtete die Deutsche Stimme 2004 mit Genugtuung.

Ähnlich begeistert hatte sich schon 2003 die Preußische Allgemeine Zeitung geäußert, die von der Landsmannschaft Ostpreußen herausgegeben wird. Schultze-Rhonhofs Buch könne »nicht zuletzt der nachkommenden Generation und ihren Lehrern empfohlen werden«, lobte das Blatt damals. Im Jahr darauf startete es eine 18teilige Artikelserie, in der Autor Schultze-Rhonhof seine Version der Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs darstellen durfte. »Ohne Hitler hätte es am 1. September 1939 keinen neuen Krieg gegeben«, räumte er bereitwillig ein: »Wahrscheinlich aber hätte es ohne Roosevelt, Stalin, die ›Kriegspartei‹ in England und die polnische Regierung den Kriegsausbruch von 1939 ebenfalls nicht gegeben.« Schultze-Rhonhof und seine historischen Pamphlete werden seitdem in der Preußischen Allgemeinen (Auflage: 18000, auch am Kiosk erhältlich) und auch sonst in der Landsmannschaft Ostpreußen immer wieder zitiert. Dies ist wohl der Grund dafür, daß der Generalmajor a.D. im November 2012 von der Landsmannschaft einen »Kulturpreis für Wissenschaft« erhalten hat. »Polen wollte den Krieg«, triumphierte Wilhelm von Gottberg, einstiger Vorsitzender und heute noch einer der führenden Köpfe der Organisation, in seiner Laudatio: »Das Land war im Sommer 1939 von einer starken Kriegs­euphorie erfaßt«.

Die »Kriegsschuldfrage« treibt die Landsmannschaft Ostpreußen immer ärger um. Ihr nordrhein-westfälischer Landesverband hat mittlerweile zwei Broschüren zur Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs publiziert, deren erste der Germanist Hartmut Fröschle verfaßt hat. Fröschle, zeitweise im »Hilfskomitee Südliches Afrika« aktiv (geholfen wird insbesondere Apartheid-Fans), will im Polen der 1930er Jahre nicht nur »imperialistische Absichten« erkannt, sondern auch eine »systematische Entdeutschung« wahrgenommen haben. So seien Deutschsprachige in Polen sogar noch im September 1939 »unbeschreiblichen Grausamkeiten« ausgesetzt gewesen. Fröschle hatte sich das nicht etwa aus den Fingern gesogen, er hatte einen gedruckten Beleg dafür: »Der Tod in Polen«, ein 1940 publiziertes Machwerk des NS-Propagandaspezialisten Edwin Erich Dwinger. – Die zweite Geschichtsbroschüre der Landsmannschaft Ostpreußen NRW stammte übrigens vom »Kulturpreis«-Träger Schultze-Rhonhof persönlich.

Die NRW-»Ostpreußen«, die beim »Deutschlandtreffen« mit einem eigenen Infostand vertreten sein werden, bauen mit ihrer Geschichtspolitik auch ganz praktische Brücken ins rechte Off. Letztes Jahr druckten sie in ihr Rundschreiben Werbung für den Besuch eines Denkmals, das »Millionen wehrloser deutscher Opfer von Bombenterror, Flucht und Vertreibung, Gefangenschaft und Nachkriegsverbrechen der Sieger seit 1945« ehrt. Das Denkmal befinde sich auf dem Gelände des Ritterguts Hanstein in Fretterode, hieß es; wer in die Gegend komme, »sollte dort zu stillem Gedenken eine Pause machen«. Rittergut Hanstein gehört dem bundesweit bekannten Neonaziführer Thorsten Heise. Ende 2013 fand sich im Ostpreußen-Rundschreiben aus NRW dann die Bitte, für ein »Kultur- und Tagungszentrum« im thüringischen Guthmannshausen zu spenden. Das erwähnte Zentrum gehört dem »Verein Gedächtnisstätte«, der 1992 von der szenebekannten Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel gegründet worden ist; es hat sich zu einer Art Veranstaltungszentrum der äußersten Rechten entwickelt. In einem Brief des »Vereins Gedächtnisstätte« heißt es, eine »Überfremdung Europas« müsse unbedingt verhindert werden: »Unsere Väter und Großväter sind dafür nicht in den Kampf gezogen und haben ihr Leben gegeben. Die großen Opfer der Generationen des 20. Jahrhunderts dürfen nicht umsonst gewesen sein.«

Die Landsmannschaft Ostpreußen und ihre Einrichtungen werden vom Staat unterstützt – auch finanziell, unter anderem aus dem Bundesetat. Auf ihren Veranstaltungen treten zuweilen Politiker der großen Parteien oder Vertreter bekannter Institutionen auf; beim letzten »Deutschlandtreffen« etwa hielt der Direktor der Staatsstiftung »Flucht, Vertreibung, Versöhnung«, Manfred Kittel, persönlich eine Rede, Bundes- und Landtagsabgeordnete waren präsent. Grußworte gab’s vom Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, von den Ministerpräsidenten mehrerer unionsgeführter Bundesländer und von Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz (SPD).

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 15. Mai 2014


Festredner: Arnulf Baring

Arnulf Baring, Historiker, Publizist und vor allem rechts, entwickelt sich mit seinen 82 Jahren zu einer Art Shooting-Star der »Vertriebenen«-Szene. Im August 2013 ist er als Festredner beim »Tag der Heimat« des Bundes der Vertriebenen (BdV) in Berlin aufgetreten, im September dann beim »Tag der Heimat« der CDU-Landtagsfraktion in NRW. Am Sonntag soll er die Festansprache beim Deutschlandtreffen der Landsmannschaft Ostpreußen in Kassel halten. Vor allem seine Rede im Düsseldorfer Landtag hat hohe Erwartungen geweckt.

Baring hat damals, am 10. September 2013, vieles angesprochen, auch die Sache mit dem Hitler. Der habe »uns ja wirklich sehr reingeritten«, stellte er fest: Daß die Deutschen ihren alten Osten verloren hätten, »ganz, ganz wichtige Räume in der Seelenlandschaft unseres Volkes«, das zeige, »daß das Unglück, das der Mann über uns gebracht hat, viel größer ist, als man wahrhaben will«. »Der Mann ist unmöglich gewesen«, schimpfte Baring: Wenn er »nach dem Sieg über Frankreich Schluß gemacht hätte«, dann hätten die Deutschen wohl »in keiner Weise das Gefühl des Unrechts gehabt«. Doch sei der Führer »zu solchen – wie soll ich sagen – kalkulierten Teilmaßnahmen« leider »nicht aufgelegt« gewesen. Man müsse es leider offen sagen: Hitler sei »eine Katastrophe« gewesen, »die über uns kam, weil wir in eine Ecke geraten waren, in die wir in Europa immer wieder geraten können – nämlich relativ isoliert zu sein«. Leider ließen sich die Deutschen »immer noch erpressen mit dem Hinweis auf die unvergleichlichen Verbrechen Hitlers«. Das sei »auf die Dauer aber doch unanständig«: Schließlich hätten »die Völker, die da über uns herfallen, zum Teil eine ganz andere Bilanz aufzuweisen«. Denn Deutschland habe ja »keine imperiale Tradition wie andere europäische Völker«.

Überhaupt: »Wenn Sie uns mit den anderen europäischen Völkern vergleichen, kommen wir sehr viel besser weg«, gab sich Baring im Düsseldorfer Landtag zuversichtlich. »Der Gedanke der Freiheit« beispielsweise sei in Deutschland »viel lebendiger« gewesen »als in Frankreich oder England, die als Zentralstaaten ihre Bürger viel stärker unterdrückten«. Deutschland sei in der Tat »über Jahrhunderte hinweg ein Land der Freiheit« gewesen. Auch könnten »wir ohne weiteres zugeben, daß wir nicht nur das größte, sondern in vieler Hinsicht auch das wichtigste europäische Volk sind«, rief Baring dem erfreuten Publikum zu; und noch mehr: »Wir sind nicht nur das wichtigste Volk, wir sind in vieler Hinsicht auch das friedlichste Volk Europas gewesen«. Nicht so wie die anderen, die Deutschland immer wieder mit Weltkriegen überzogen haben. Auf Barings Festansprache am Sonntag darf man getrost gespannt sein. (jk)




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