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Deutschland hat ein Rassismusproblem

Europarat kritisiert Ignoranz gegenüber Fremdenfeindlichkeit

Von Aert van Riel *

Nach Ansicht der Antirassismus-Kommission des Europarats (ECRI) muss Deutschland mehr gegen Rassismus tun. In ihrem Bericht fordert die ECRI eine Verschärfung des Strafrechts.

Deutschland steht wegen seines Umgangs mit Rassismus in der Kritik. In einem Bericht der Antirassismus-Kommission des Europarats, der am Dienstag in Straßburg veröffentlicht wurde, erklären die Autoren, dass einige Themen Anlass zur Sorge geben würden. Dazu zählt der Rassismus in der Mitte der Gesellschaft. Die Kommission, die die Zeit zwischen 2008 und 2013 untersucht hatte, kritisiert in diesem Zusammenhang die Debatten nach der »Warnung« des Deutschen Städtetages vor Einwanderern aus Rumänien und Bulgarien. Die CSU hatte sich dabei für einen harten Kurs gegen osteuropäische Migranten ausgesprochen. Auch die rassistischen Bemerkungen in Thilo Sarrazins Buch »Deutschland schafft sich ab« und die Unterstützer des SPD-Mannes werden in dem Bericht gerügt.

Ein schlechtes Zeugnis stellen die Autoren der deutschen Polizei aus. Trotz der fehlerhaften Ermittlungen zur NSU-Mordserie würden rassistische Motive von Straftaten weiter viel zu schnell ausgeschlossen. Dies habe dazu geführt, dass bei Brandstiftungen in Wohnungen, in denen Türken leben, türkische Behörden die deutsche Polizei darauf hinweisen mussten, auch möglichen fremdenfeindlichen Motiven nachzugehen. Die LINKE-Abgeordneten Ulla Jelpke und Sevim Dagdelen meinten, dass »Polizeibehörden und Regierungspolitiker dem Rassismus in Deutschland vielfach aktiv Vorschub leisten«. Im vergangenen Jahr habe die Bundespolizei bei der Suche nach Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis rund 380 000 Personen nur aufgrund ihres vermeintlich nichtdeutschen Aussehens in Zügen und Bahnhöfen kontrolliert.

Allerdings sieht der Bericht auch Fortschritte. So wird die Arbeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gelobt, die allerdings nach Auffassung der ECRI mehr Geld bekommen sollte. Zudem erneuert die Kommission ihre Forderung, bei Straftaten eine rassistische Motivation als erschwerenden Umstand zu werten. Insgesamt werde bei Gerichtsurteilen sehr selten Rassismus als Grund für eine Straftat erwähnt. Eine Gesetzesinitiative des Bundesrats, die eine härtere Bestrafung von Tätern ermöglichen sollte, die aus menschenverachtenden Motiven gehandelt haben, scheiterte im Oktober 2012 an der damaligen schwarz-gelben Mehrheit im Bundestag. Die ECRI moniert, dass es im Bereich Aufstachelung zum Hass »einen erheblichen Grad von Straffreiheit« gebe.

Ein düsteres Bild zeichnet der Bericht von der Situation der LGBT-Personen (Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans). Es gebe eine erhebliche Diskriminierung, was tendenziell dazu führe, dass LGBT-Personen ihre sexuelle Orientierung verbergen. Besonders in den Schulen gebe es ein hohes Maß an Homo- beziehungsweise Transphobie.

Auch deswegen rät die Kommission, das System zur Erfassung von »rassistischen, fremdenfeindlichen, homo- und transphoben Zwischenfällen« zu reformieren. Das Ausmaß von Fremdenfeindlichkeit und Homophobie werde von offiziellen Statistiken nicht wiedergegeben. So haben etwa Recherchen von Nichtregierungsorganisationen höhere Zahlen von rechten Gewalttaten ergeben, als offiziell verlautbart wird.

Dass in einigen Regionen die rechte Gewalt zunimmt, zeigt eine Erhebung der Opferberatung RAA Sachsen. Sie registrierte im Freistaat im vergangenen Jahr insgesamt 223 Angriffe, bei denen 319 Menschen zu Schaden kamen. 2012 wurden 155 Angriffe gezählt. Ein Großteil der Angriffe wurde aus rassistischen Motiven begangen.

Um ein realistisches Bild vom Ausmaß rechter Gewalt nach 1990 zu bekommen, sollen nach dem Willen der sächsischen Grünen nun auch Körperverletzung oder Banküberfälle auf mögliche rechte Motive untersucht werden.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 26. Februar 2014


Staatsverdacht wegen Hautfarbe

Nach der Kritik des Europarats am Umgang mit Rassismus in Deutschland fordert das Deutsche Institut für Menschenrechte ein Aus von Personenkontrollen aufgrund der Hautfarbe. Die Institutsdirektorin Beate Rudolf begrüßte am Dienstag in Berlin die Kritik der Kommission gegen Rassismus und Intoleranz an der Praxis des sogenannten Racial Profiling. Rudolf verlangte, Personenkontrollen der Polizei immer an einem konkreten Verdacht festzumachen.

Das Institut und weitere Menschenrechts- und Migrantenorganisationen haben in der Vergangenheit wiederholt eine Abschaffung des Gesetzes gefordert, das verdachtsunabhängige Personenkontrollen aufgrund äußerer Erscheinungsmerkmale erlaubt. Ein genereller Verdacht liegt dem Vorgehen zugrunde: Verstoß gegen das Aufenthaltsrecht nämlich.

Die Praxis ist in Deutschland umstritten: Das Oberverwaltungsgericht in Koblenz gab im Oktober 2012 einem Studenten aus Kassel Recht, der sich gegen solch eine Kontrolle juristisch wehrte. Die Richter erklärten damals für unzulässig, die Hautfarbe zum Auswahlkriterium bei Personenkontrollen zu machen.

(nd, 26.02.2014)



Afrikaner leben gefährlich

In Merseburg wurden binnen einer Woche ein Algerier und ein Somalier attackiert **

Im sachsen-anhaltischen Merseburg sind in kurzer Zeit zwei Afrikaner brutal angegriffen worden. In einem Fall will die Polizei nun einen Tatverdächtigen vernehmen.

Merseburg. Nach dem fremdenfeindlichen Überfall auf einen Mann aus Somalia hat die Polizei einen 22-Jährigen aus Merseburg (Saalekreis) im Visier. »Wir werden ihn als Tatverdächtigen befragen«, sagte ein Polizeisprecher am Dienstag in Halle. Der Afrikaner war den Angaben zufolge am Donnerstagabend vor dem Bahnhof in Merseburg rassistisch beleidigt, zusammengeschlagen und verletzt worden.

Die Polizei geht von zwei Tatverdächtigen aus. Der 22-Jährige sei von dem Mann aus Somalia erkannt worden, als dieser sich nochmals zur ambulanten medizinischen Behandlung in einer Klinik befand. Der Merseburger sei daraufhin vor dem 23 Jahre alten Somalier geflüchtet. Der junge Afrikaner sagte in einem Zeitungsinterview, er habe Angst und wolle in eine andere Stadt.

Eine Panne bei der Bahn erschwert nun allerdings die weiteren Ermittlungen nach dem Überfall auf den Afrikaner. Die beiden Überwachungskameras auf dem Bahnhofsgelände hätten zur Tatzeit am vergangenen Donnerstag keine Bilder aufgezeichnet, sagte eine Sprecherin der Bundespolizei der »Mitteldeutschen Zeitung«. Für die Überwachungstechnik trage die Bahn die Verantwortung. Die Deutsche Bahn gab an, dass der Sachverhalt derzeit noch ausgewertet werde.

Die für Bahnanlagen zuständige Bundespolizei soll die Überwachsungsvideos in der Hoffnung angefordert haben, darauf die Täter identifizieren zu können. Als die Beamten jedoch die Daten überspielen wollten, mussten sie feststellen, dass die Kameras zur Tatzeit zwar in Betrieb waren, aber keine Aufzeichnungen vorlagen.

Außerdem beschäftigt die Polizei ein weiterer Übergriff in der Stadt. Ein 41-jähriger Algerier wurde am Montagabend in einer Bahnunterführung von einem Unbekannten angesprochen und unvermittelt ins Gesicht geschlagen, wie die Polizei weiter mitteilte. Das Opfer erlitt eine Nasenbeinfraktur. »Wir gehen von einer Raubstraftat aus«, erklärte der Sprecher. Der Unbekannte habe dem Mann aus Algerien seinen Rucksack entwendet. Der 41-Jährige musste ambulant im Krankenhaus behandelt werden. Der Staatsschutz ermittle in beiden Fällen.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 26. Februar 2014


Haß in Schwarzrotgold

Europarat ist besorgt über Rassismus und Diskriminierung in Deutschland. Aktueller Prüfbericht offenbart staatliche Defizite

Von Michael Merz ***


Ein beschämendes Zeugnis der alltäglichen Diskriminierung, komprimiert auf weniger als 40 Seiten. Das ist der Deutschlandbericht der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz des Europarats (ECRI), der am Dienstag in Strasbourg veröffentlicht wurde. Ob menschenverachtende Hetze der NPD oder die Verleumdungen eines Thilo Sarrazin, Straftaten mit rechtsextremer Motivation oder Verunglimpfung von Homosexuellen – der Haß in Deutschland muß schärfer bekämpft werden. Zu diesem Schluß kommen die Experten des Europarats, in dem 47 Staaten organisiert sind. In den letzten 16 Jahren gab es vier Reports zu Deutschland. Im aktuellen fünften Prüfbericht sind die (Nicht-)Reaktionen der Bundesregierung auf die vorangegangenen dokumentiert.

Dem Land, das sich gern als Vorreiter der Toleranz darstellt, wird ein entlarvendes Attest ausgestellt. »Anlaß zur Sorge« geben dem Europarat etliche Vorfälle mit diskriminierendem Hintergrund und die Versäumnisse der Regierung hierzu. Zum Beispiel prangern die Experten den Fakt an, daß rassistische Motive für eine Tat noch immer nicht strafverschärfend wirken. Gesetzesinitiativen dazu wurden 2008 und 2012 vom Bundesrat abgeschmettert. Auffällig groß sei die Differenz zwischen offiziellen Zahlen und den Statistiken von Nichtregierungsorganisationen zu rechtsextremer Gewalt. »Das System zur Erfassung und Verfolgung der rassistischen, fremdenfeindlichen, homophoben und transphoben Vorfälle sollte reformiert werden«, heißt es im ECRI-Report.

Ganz Europa sei geschockt gewesen über die Aufdeckung der NSU-Morde seit dem letzten ECRI-Bericht im Jahr 2008. Die Verdächtigung der Angehörigen der Opfer ist einer der Kritikpunkte im Zusammenhang damit, aber auch, daß der Verfassungsschutz potentiell kompromittierende Dateien zerstörte. Die Experten bezweifeln, daß die Behörden dazugelernt hätten und manche Fehler nicht noch einmal begehen würden. Zu schnell würden rassistische Motive von der Polizei ausgeschlossen. Noch 2013 hätten türkische Behörden mehrfach die deutschen Stellen darauf aufmerksam gemacht, daß fremdenfeindliche Impulse Ursache für verschiedene Brandstiftungen in von türkischstämmigen Menschen bewohnten Häusern sein könnten.

Die Liste der Handlungsempfehlungen ist lang. Deutschland sollte zum Beispiel das Protokoll Nummer zwölf der Europäischen Menschenrechtskonvention unterzeichnen. Das sei bisher nicht geschehen, weil deutsche Behörden die Sorge geäußert hätten, daß Nichtdeutsche bestimmte Sozialleistungen in Anspruch nehmen dürften. Außerdem sei die Praxis des Racial Profilings, den Identitätsüberprüfungen durch die Polizei, abzuschaffen. Angeprangert wird auch der Umgang mit Menschen, die lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender sind. Es müsse eine Strategie erarbeitet werden, um die Masse der Bevölkerung aufzuklären. Ausdrücklich positiv erwähnt werden Initiativen gegen Diskriminierung, die aber chronisch unterfinanziert seien und dringend mehr Geld benötigten.

»Der Europarat kritisiert völlig zu Recht die Defizite staatlicher Stellen. Doch wir haben es nicht nur mit Ignoranz zu tun. Polizeibehörden und Regierungspolitiker leisten dem Rassismus in Deutschland vielfach aktiv Vorschub«, erklärten am Dienstag die innenpolitische Sprecherin der Linke-Fraktion, Ulla Jelpke, und die migrationspolitische Sprecherin Sevim Dagdelen zum Prüfbericht. Sie fordern, einen unabhängigen Beauftragten zur Untersuchung rassistischer Polizeigewalt zu berufen.

*** Aus: junge Welt, Mittwoch, 26. Februar 2014


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