Ende gut, alles gut?
Wolfram P. Kastner über die "Bibliothek der verbrannten Bücher" / Der Münchner Künstler Wolfram P. Kastner ist Vorsitzender des Vereins "Patenschaften für verbrannte Bücher" *
Der Münchner Künstler Wolfram P. Kastner ist Vorsitzender des Vereins "Patenschaften für verbrannte Bücher". Das im Folgenden dokumentierte Interview führte Markus Drescher vom "Neuen Deutschland" (ND) mit ihm.
ND: Mit Ihrem Verein haben Sie sich seit Jahren dafür eingesetzt, dass die »Bibliothek der verbrannten Bücher«, eine private Sammlung von Erstausgaben der von den Nazis 1933 verbrannten Bücher, einen öffentlich zugänglichen Ort in Deutschland findet. Gestern konnte endlich ein Vertrag mit der Universitätsbibliothek Augsburg unterzeichnet werden. Können Sie nun sagen »Ende gut, alles gut«?
Kastner: Nun ja, alles ist nicht gut und das Ende hätte besser sein können. Aber es ist unter den Bedingungen, die in diesem Lande offenbar herrschen, und nach den Erfahrungen, die ich über zehn Jahre hinweg gemacht habe, eine gute Lösung. Das heißt, die Bibliothek wird gesichert, öffentlich zugänglich gemacht und wissenschaftlich bearbeitet.
Was könnte besser sein?
Augsburg gehört nicht zu den über 70 deutschen Städten, in denen 1933 diese Bücher mit spektakulären Inszenierungen verbrannt wurden, wie zum Beispiel Berlin, München, Frankfurt am Main und Greifswald. Alle diese Städte hätten einen Anlass gehabt, in ihrem Zentrum, in der Nähe der Orte, wo die Nazis diese Brandstiftungen durchgeführt haben, ein Denkmal für die beste Literatur deutscher Sprache des 20. Jahrhunderts zu errichten. Ein benutzbares Bücherdenkmal mit guter Erreichbarkeit für die Öffentlichkeit. In Augsburg ist die Universität hingegen etwas am Rande der Stadt.
Warum wollten die anderen Städte die Bücher nicht haben?
Darüber rätsele ich immer noch ein bisschen. Ich habe natürlich meine Interpretationen für diese Erfahrungen und diese Reaktionen. Es scheint wohl so zu sein, dass viele Politiker überhaupt mit Bücherlesen, sagen wir mal, nicht sehr häufig beschäftigt sind. Und die Bücher, um die es geht, wohl zum großen Teil gar nicht kennen. Da kamen solche hoch qualifizierten Argumente wie: Diese Bücher könne man alle über Ebay besorgen. Es handelt sich hier aber um die Erstausgaben der Bücher, die 1933 verbrannt und vernichtet wurden, die bekommt man nicht über Ebay. Es fehlt an der politischen Wertschätzung dieses Kulturgutes. Man gibt für jede Parklücke und für jede notleidende Verbrecherbank Geld aus, aber für Literatur? Da scheint offenbar der Horizont zu fehlen.
Die Bücher wurden vom Sammler Georg P. Salzmann zusammengetragen. Wie viele Bände sind es und wie lange hat er dafür gebraucht?
Er hat wohl 40 Jahre seines Lebens damit zugebracht, diese Bücher ausfindig zu machen, in Antiquariaten, auf Flohmärkten. Wie viele es sind, kann ich nicht genau sagen, weil die Bücher bisher nicht systematisch gezählt wurden, aber sicher über 12 000.
Wie kam nun die Finanzierung zu Stande?
Mit unserem Verein wollten wir über Patenschaften den gesamten Kaufpreis finanzieren. Das haben wir nicht geschafft, konnten aber den Grundstock legen. Nun gibt es weitere Beteiligungen der Universität und Stadt Augsburg, der bayerischen Landesregierung und zweier Augsburger Sponsoren.
Was bedeutet es, dass die Bibliothek einen Platz gefunden hat?
Es ist ein Zeichen dafür, dass es den Nazis mit der Verbrennung und Verbannung der Bücher doch nicht ganz gelungen ist, sie vergessen zu machen. Ein Großteil der Bücher ist bis heute verschwunden, aus den Köpfen, Bibliotheken, Verlagen, Schulbüchern. Die »Bibliothek der verbrannten Bücher« ist eine Möglichkeit, diesem Erfolg etwas entgegenzuhalten, ihn nicht auf Dauer zu dulden und die Bücher dem Vergessen zu entreißen. Daran muss man weiterhin arbeiten, und die Bibliothek ist ein Grundstock dafür.
Fragen: Markus Drescher
* Aus: Neues Deutschland, 25. Juli 2009
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