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Das Ausmaß an globaler Polarisierung hat eine neue Qualität erreicht

Vor der UN-Konferenz gegen Rassismus tagte in Genf auch ein "Forum der Zivilgesellschaft"

Von Irene Eckert

Unter dem Motto „United Against Racism“ tagte bei strahlendem Sonnenschein vom 17. bis 19. April am Genfer See das „Civil Society Forum“ zur Vorbereitung und Vertiefung des Antirassismus–Gipfels/Durban II. Das Zustandekommen des internationalen Austausches der Nichtregierungsorganisationen war diesmal, anders als bei der Weltkonferenz in Durban/Südafrika 2001, keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Schon die Verlagerung der UN-Konferenz in die Alpenrepublik war Ausdruck der Reserven, die einige Staaten dem Konferenzthema unter fadenscheinigen Vorwänden entgegenbrachten. Es hatte massive Behinderungen nicht nur gegenüber der lange geplanten UN-Gipfel-Konferenz gegeben: Finanzmittelmittel wurden zurückgehalten und Boykottaufrufe machten die Runde, ein Forum der Zivilgesellschaft war schon gar nicht vorgesehen. Ja, noch mehr, die Organisatoren des NGO-Forums wurden persönlich diffamiert und unter Druck gesetzt. Das allerdings spornte sie in ihrer Entschlossenheit an.

Während im alten Völkerbundpalast noch der Vorbereitungsausschuss des UN-Menschenrechtsrats an einem Konsenspapier für Durban II feilte, das Durban I „den Zahn ziehen“ und somit allen Regierungen die Teilnahme am Antirassismus-Gipfel ermöglichen sollte, begann im Kinosaal des Auditorium Arditi die feierliche Eröffnung der Veranstaltung der Nichtregierungsorganisationen mit einer Filmdokumentation. Selbst auf der Filmleinwand wirkt die kreative Kraft der Frauen im von der Apartheid befreiten Südafrika, die den Geist des Antirassismusgipfels in Durban spiegelt, noch ansteckend. Der Film zeigt die Aufbruchsstimmung, die unter den annähernd 20.000 Teilnehmern des Anti-Rassismusforums in den frühen Septembertagen des Jahres 2001 geherrscht hatte.

Immerhin, auch nach Genf war eine aufrechte Schar engagierter Verfechter des so wichtigen Menschheitsanliegens dem kurzfristigen Aufruf der Veranstalter gefolgt und freute sich über das herzliche Willkommen, das der Vizebürgermeister Remy Pagany der Stadt des Multikulti und des Friedens den Teilnehmern entgegenbrachte. Die Stadt Genf, so versicherte er, unterstütze das Ringen der Veranstalter sich gegen jede Form der Rassendiskriminierung stark zu machen.

Die nachfolgenden Redner des Abends brachten allerdings große Besorgnis zum Ausdruck über die Defensive, in die der Kampf gegen Rassismus global gesehen geraten sei. Professor Doudou Diene, der Grandseigneur aus dem Senegal, vormals Spezialberichterstatter der UNO über gegenwärtige Erscheinungsformen von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und verwandte Formen der Intoleranz, sprach darüber, dass der fragwürdige Rassenbegriff in die akademische Debatte zurückehrt sei. Ein Träger des Nobelpreises für Medizin habe mit Anspielungen auf die angebliche „Minderwertigkeit der schwarzen Rasse“ gegenüber den Weißen solche Denkansätze wieder salonfähig gemacht. Das sei insbesondere deswegen alarmierend, weil es derzeit am politischen Willen mangele, derlei unwissenschaftlichen Konzepten mit der gebotenen Entschiedenheit zu begegnen. Eine besondere Gefahr sah er im Aufschwung der Islamphobie, der es durch eine entsprechende nationale Gesetzgebung Einhalt zu gebieten gelte. Gesetze, die sich gegen die Aufstachelung zum Rassenhass richteten und gegen die daraus erwachsenden Gewaltakte, seien die erforderliche Antwort, wolle man den bedrohlichen Entwicklungen entgegenwirken. Es gehe darum, auch auf nationaler Ebene die UN-Charta aktiv und entschieden zu verteidigen, gegen deren Grundgehalt sich rassistisches Ideengut richte. Regierungen müssten an die Verpflichtungen erinnert werden, die sie mit Unterzeichnung der Charta eingegangen seien.

Frau Edna Poland, die brasilianische Vertreterin einer Expertengruppe, die sich mit der Implementierung der in Durban konsensual verabschiedeten Programmatik richtete, war voll des Lobes über die klare, vorwärts weisende Sprache des Durban I Papiers. Es sei aber leider ziemlich untergegangen durch die unmittelbar auf die UN-Konferenz in Durban folgenden Ereignisse des 11. September. „Der Raum auf dem wir jetzt agieren ist sehr viel enger geworden und täglich werden neue Barrieren errichtet. Die Sprache wird in demagogischer Manier eingesetzt: Jene, die den Rassismus sogar durch entsprechende Gesetzgebung fördern, bezichtigen andere des Rassismus“, hob die Expertin hervor. Während der Vorbereitungsarbeit für die Rassismus-Nachfolgekonferenz sei es sehr konfrontativ zu gegangen. Frau Poland sprach gar von einer Art „Guerillakrieg“ zwischen der Europäischen Gruppierung (einschließlich Israels und den USA, die ja bereits „Durban I“ boykottiert hatten) und der muslimischen Welt mit Afrika und Teilen Asiens. Als eine der Konfliktlinien charakterisierte sie die „europäischen Anstrengungen“, die darauf abzielten, jede Aufforderung zu einer staatlichen Gesetzgebung gegen aggressive Aktivitäten zu blockieren, die in den Staaten des Südens als Aufstachelung zum Rassenhass empfunden würden. Selbst Vergleiche zwischen dem Koran und Hitlers „Mein Kampf“ würden durch eine solche Haltung mit dem Hinweis auf das Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt. Sie hielt es für notwendig, klare Definitionen zu entwickeln bezüglich dessen, was nicht mehr durch ein wie auch immer verstandenes Recht auf Meinungsfreiheit toleriert werden könne, zum Schutze der UN Charta, zum Schutze der Menschenwürde, wie sie im „humanitären Menschenrecht“ festgelegt sei.

Nach der Lateinamerikanerin sprachen Frauen, mit so unterschiedlichen Erfahrungshintergründen und Weltverständnissen, wie etwa die Tochter des ermordeten US-amerikanischen Black Panter Führers Malcolm X, Malaak Shabazz und die Senatorin Anne Mary Lizin, Ehrenpräsidentin des Belgischen Senats. Während beide Rednerinnen auf die große Bedeutung des Aktionsplanes von Durban I hinwiesen und der bevorstehenden UN-Konferenz einen darüber hinaus weisenden Erfolg wünschten, nutzte Frau Shabazz das Forum, um die neue US-amerikanische Regierung, für dessen Präsidenten Obama sie im Wahlkampf aktiv war, zur Teilnahme am nahen UN-Gipfel aufzufordern. Vergeblich, die USA boykottierten, ebenso wie Israel und die Bundesrepublik Deutschland trotz deutlicher Stimmen aus ihren Zivilgesellschaften die Konferenz. Durban I waren nur Israel und die USA ferngeblieben.

In der Plenarsitzung am Samstagfrüh drängte Frantz Fanons Tochter, Mireille Fanon, die Gattin von Mendes France, darauf, falsche, auf den Kopf gestellte Begriffe ins rechte Licht zu rücken. Es sei unvereinbar mit der UN-Charta und der humanitären Gesetzgebung, dass es Staaten gäbe, die unter dem Deckmantel des Anspruchs den Rassismus zu bekämpfen, rassistische Gesetze erließen, meinte sie und unterstrich damit Worte des Vorabends. Professor Yash Tandon, ein ugandischer Staatsbürger mit indischem Hintergrund, sekundierte solche Reflexionen, als er vom langen Weg von Durban sprach. Mit Hinweis auf seine neuste Publikation, die das Genfer „Süd-Zentrum“ gerade herausgebracht hatte (Reflections and Forsight on Development – Daring to think different, published by South Centre in Geneva, April 2009), wurde er sogar noch deutlicher: Das „kolonialistische Siedler Regime“ im heutigen Israel, befände sich wie alle Siedler-Regime im völligem Widerspruch zur Universellen Erklärung der Menschenrechte von 1948. Der Hinweis auf das Wirken einer „zionistischen Lobby“ in den Vereinigten Staaten ziele zu kurz, wolle man dem Wesen des Regimes gerecht werden und eine notwendige und starke Opposition dagegen unterstützen. Den moralischen Rahmen für den anti-kolonialen revolutionären Prozess, der zu seiner Überwindung notwendig sei, böte die Französische Revolution mit ihrem grundlegenden Beitrag zu den Menschenrechten. Er zitierte Mahatma Ghandi, der einerseits tiefe Sympathie mit den Juden (in Südafrika) zum Ausdruck gebracht und ihre Behandlung durch die Christen dort mit jener verglichen habe, die den Ausgestoßenen durch die Hindus zuteil wurde. „Diese meine Sympathie aber verschließt meine Augen nicht vor den Erfordernissen der Gerechtigkeit. Ihr Ruf nach einer nationalen Heimat gefällt mir nicht sehr. … Palästina gehört den Arabern wie sinngemäß England den Engländern oder Frankreich den Franzosen. Es ist ein Fehler und unmenschlich, dass die Juden über die Araber bestimmen. Das, was heute in Palästina geschieht, kann nicht durch irgendein moralisches Gesetz legitimiert werden. Das Mandat ist illegal, es ist ein Ergebnis des letzten Krieges. Eine teilweise oder ganze Überführung des Landes der Araber, die Palästina bevölkern, an die Juden als ihre nationale Heimstätte, ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“ So Gandhi im Jahre 1938. Professor Tandon stellte die Sache des palästinensischen Volkes in den Zusammenhang der Forderung nach Reparationen für koloniale Ausbeutung und für die Versklavung ganzer Bevölkerungen. Palästina warte darauf entkolonialisiert zu werden, hob er hervor, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass einer der Folgeschäden, die das Bombardement von Gaza nach sich zöge, die „Zweistaatenlösung“ sein könne.

Karl Flecker, ein führender Gewerkschaftsrepräsentant aus Kanada, Direktor des Menschenrechtsprogramms der CLUC (Canadian Labour Union Congress), ging auf die sozialen und ökonomischen Zusammenhänge der Rassismusfrage ein. Erweitert wurden seine Überlegungen durch den Beitrag von Frau Nimalka Fernando aus Sri Lanka, die Präsidentin der Internationalen Bewegung gegen alle Formen der Diskriminierung. Sie zeigte auf, inwiefern der 11.September zu einer Verschlechterung der schon vorhandenen ausbeuterischen Arbeitsbedingungen im globalen Süden geführt habe. Insbesondere beschrieb sie die Umstände, die Bauern in Not brächten und sie zwängen Arbeit im Ausland zu suchen. Arbeitsmigranten, in besonderem Maße Frauen, fänden aber besonders schlimme Bedingungen vor und seien oft mit sexueller Gewalt konfrontiert.

Die Arbeitsgruppen boten Gelegenheit viele der angesprochenen Problemkreise und solche darüber hinaus zu vertiefen. So bot ein gut besuchter Workshop über das Schicksal des palästinensischen Volkes Gelegenheit, Informationen aus erster Hand über die gegenwärtige Lage im Gazastreifen zu erhalten. Charles Dedon (vormals Direktor des Genfer Zivilschutzes) und Dr. Saad Elnounoun (französischer Experte in Sachen Humangesundheitswesen) zeigten Dias von einer eben beendeten Reise in das Gebiet. Sie waren mit dem Auftrag dort gewesen für eine internationale Zivilschutzorganisation zu evaluieren, welche Mittel für den Wiederaufbau der zivilen Infrastruktur erforderlich seien. Ihre Bilder dokumentierten die offenbar systematische, zum Teil punktgenaue Zerstörung ziviler Infrastruktureinrichtungen, wie etwa Feuerwehr-Ämter samt Ausrüstung, Polizeistationen, Krankenhäuser, Schulen, Laboratorien einer Universität. Die beiden erfahrenen Experten eines neutralen, unpolitischen Verbandes konnten ihre Erregung angesichts des Leides der Zivilbevölkerung kaum verbergen. Insbesondere lösten die Bilddokumente von Opfern des Einsatzes von Phosphorbomben oder Streumunition auch im Publikum schwer zu ertragende Gefühle aus.

Eine weitere Konferenz zum Thema Palästina war in Vorbereitung des UN-Gipfels vom Badil Resource Centre organisiert worden. In dem nahe dem Maison des Associations gelegenen Tagungsort konnte man sich weitergehend über die Menschenrechtsverletzungen in der Region informieren. Die knapp 100 Teilnehmer dieser Sachverständigenrunde , die in Form eines Russel Tribunals organisiert war, entwickelte auch ein Positionspapier für Durban II mit Empfehlungen, die, wenn sie angenommen würden, Würde und Gerechtigkeit für alle Menschen bringen könnten, die gegenwärtig unter der rassistischen Politik in der Region leiden.

Die Diskussionen im Verlauf des Wochenendes befassten sich auch mit der Sorge um die zunehmende Fremdenfeindlichkeit, die sich gegen Arbeitsmigranten und Asylsuchende richteten. Die Aufstachelung zum Hass gegenüber religiösen Überzeugungen, insbesondere die Islamfeindlichkeit wurde ebenso verurteilt wie der Antisemitismus. Die Konferenz schloss mit einer Plenarsitzung, in der Ramsey Clark, der ehemalige US-Justizminister, als bekanntester Redner auftrat.

Am Samstagnachmittag nahmen viele Kongressteilnehmer an einer Demonstration durch die Genfer Innenstadt teil, zu der ein Schweizer Netzwerk aufgerufen hatte. Ziel war es, die auch in der Schweiz vernehmliche Fremdenfeindlichkeit anzuprangern, sich mit der weltweiten Bewegung zu verbinden und auch die Freilassung prominenter und weniger prominenter politischer Gefangener zu fordern, so etwa die Freilassung des seit über 25 Jahren im Todestrakt sitzenden US-Journalisten Mumia Abu Jamal.

Bis in die Morgenstunden des blauen Montags hinein feilten einige Forumsteilnehmer noch daran ein bedeutungsvolles Abschlussstatement zu redigieren, das die Durban Nachfolgekonferenz begrüßen würde und das an alle Nationen appelliert, nicht nur das Aktionsprogramm von Durban I zu bestätigen und in nationale Aktionspläne umzusetzen, sondern noch darüber hinaus zu gehen.

Am Montag, den 20. April, hieß es dann schon wieder in der Frühe Schlange zu stehen, um eine Zugangskarte für die UN-Konferenz zu erhalten. Denn auch die bereits akkreditierten NGO-Vertreter mussten sich noch einmal in einem besonderen Verfahren einschreiben. Nur eine Zugangskarte pro Organisation wurde ausgestellt. Trotzdem waren einige Organisationen offensichtlich überrepräsentiert, was deutlich wurde, als am Nachmittag der iranische Präsident Ahmadinedjad als ranghöchster anwesender Staatsmann die Eröffnungsrede hielt. Der Konferenzraum, der für NGOs zusätzlich zur Verfügung stand, konnte wegen „technischer Probleme“, die die Übertragungsanlage lahm legten, die Worte des Staatsoberhauptes nicht empfangen. Die Tumulte aber waren vernehmlich, die die Worte des Präsidenten von der ersten Silbe an begleiteten. Clowns warfen Bälle durch den Saal, es wurde gebuht und die meisten westlichen Vertreter verließen die Versammlungshalle unter Protest. Nach Auskunft von Experten waren derartige Störmanöver erstmalig innerhalb des UN-Geländes, selbst in den Hochzeiten des Kalten Krieges sei Derartiges nicht vorgekommen. Den Sicherheitskräften schienen die Hände gebunden. Wer am Inhalt der Rede interessiert war und sich nicht auf die äußerst tendenziöse Berichterstattung aller Nachrichtenkanäle verlassen wollte, konnte diese in aller Ruhe über webcam empfangen. Bei solch ruhiger Überprüfung der Botschaft aus dem Iran konnte man feststellen, dass Ahmadinedjad nichts gesagt hat, was nicht auch viele Regierungsvertreter aus dem globalen Süden oder viele NGO-Vertreter, die am Wochenende der Konferenz der Zivilgesellschaft teilgenommen hatten, so gedacht haben mochten. Der Vertreter Norwegens, der im Anschluss an die iranische Rede sprach, verteidigte das Recht auf Meinungsfreiheit. Obwohl auch er am Inhalt seines Vorredners heftig Kritik übte, so verteidigte er doch immerhin das Recht den divergierenden Inhalt vorzutragen.

Das Ausmaß an globaler Polarisierung, das am 20. April 2009 im UN-Gebäude spürbar geworden ist, hat eine neue Qualität erreicht. Ein kaum noch latent zu nennender Rassismus und vor allem der ungelöste Nahostkonflikt bringen die Gemüter der Welt ganz offensichtlich zum Kochen. Der überwunden geglaubte West-Ost Konflikt hat sich nur verwandelt und kommt jetzt in der Nord–Süd-Polarisierung zum Ausdruck. Es ist unübersehbar, unüberhörbar und nicht mehr von der Hand zu weisen: Frieden und Verständigung zwischen den Nationen bedürfen als Grundlage der Gerechtigkeit. Koloniale Ausbeutung und Interventionskriege im Zeichen von Menschenrecht und Demokratie bilden kein Fundament für eine gerechte und friedliche Weltordnung, die frei ist von Rassismus und aller Arten von Diskriminierung. Ohne eine gerechte Lösung, die allen Menschen in Palästina und den von dort Vertriebenen eine gemeinsame Zukunft ermöglicht, auf der Basis von Demokratie und im Geiste der UN-Charta, wird es keinen Frieden in der Welt geben können, die frei ist von Rassismus und kolonialem Überlegenheitswahn, dem Nährboden für neue Konflikte.


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