Gibt man Staatssendern ein Interview?
Nur eine Erzählung aus der Provinz? Hasstiraden gegen eine Publizistin in Erlangen
Von Leonhard F. Seidl *
Tagelang wurde die Medienpädagogin Dr. Sabine Schiffer aus Erlangen mit
Hass-Mails bombardiert.
Auslöser war ein Interview, das sie dem Iranischen Sender I.R.I.B.
(Islam Republic of Iranian
Broadcasting -- Stimme der Islamischen Republik Iran) gab. Darin wurden
unter anderem die
Ursachen für den Mord an der schwangeren Ägypterin Marwa al-Sherbini im
Dresdner Landgericht
thematisiert.
Das gemütliche mittelfränkische Städtchen Erlangen ist geprägt von
Studenten und Siemens-
Arbeitern. Beschaulich geht es in den meisten Gassen zu. In der
Altstadt, nahe dem Schlosspark
und der Universität, liegt das Institut für Medienverantwortung, ein
unscheinbares, in altrosa Rauputz
gegossenes Hugenottenhaus von 1860. Das Institut will einen
verantwortlichen Umgang mit Medien
vermitteln, will die Entstehung von Mediendarstellungen nachvollziehbar
machen, damit die Inhalte
souveräner beurteilt werden können -- so heißt es auf der Internetpräsenz.
Gründerin und Leiterin des Instituts ist Dr. Sabine Schiffer. Sie ist
eine gefragte Frau in diesen
Tagen. Was daran liegt, dass sie sich seit Jahren mit dem Thema
Islam-Darstellung in den Medien
beschäftigt, worüber die 43-jährige Sprach-, Wirtschafts-, Politik- und
Islamwissenschaftlerin auch
promoviert hat. Aber nicht erst, seit die 32-jährige Marwa al-Sherbini
in Dresden ermordet wurde,
wird Schiffer als Fachfrau herangezogen. Sie schrieb Aufsätze für die
Heinrich-Böll-Stiftung, für die
Bundeszentrale für politische Bildung, diskutierte im letzten Jahr
anlässlich einer Fachtagung zum
Islambild im Rahmen der Deutschen Islamkonferenz des
Bundesinnenministeriums, schult
Pädagogen bei der Arbeiterwohlfahrt und gibt Interviews. Und damit fing
es an. Doch dazu später
mehr.
Schon in einer Pressemitteilung des Instituts bemängelte sie, dass der
Mord tagelang verschwiegen
und das Tatmotiv, die muslimische Herkunft, »nicht benannt« wurden. »Mit
Kategorisierungen durch
Begriffe wie 'ausländerfeindlich' oder 'rassistisch' wird versucht, die
Tatsache zu umgehen, dass
die antiislamische Agitation, die wir seit rund 30 Jahren beobachten und
seit etlichen Jahren
anmahnen, eine neue Stufe erreicht hat«, so der Wortlaut. Aber warum war
die Tat nicht
»ausländerfeindlich« und nicht »rassistisch«? Wo doch der aus Russland
stammende Deutsche
verkündete, bevor er 18 Mal auf sein Opfer einstach: »Haben Sie
überhaupt ein Recht, in
Deutschland zu sein? Sie haben hier nichts zu suchen. Und wenn die NPD
an die Macht kommt, ist
damit Schluss. Ich habe NPD gewählt.«
Die Antwort gab Schiffer in einem Interview mit der »jungen Welt«.
»Ausländerfeindlich«
widerspreche der Tatsache, dass der Täter auch in diese Kategorie
gehöre, »rassistisch« wäre als
Oberbegriff treffend, würde aber »das Problem islamfeindlicher
Einstellungen« umgehen.
Schiffer geißelt auch die gängige Straftatberichterstattung, in der das
Problem aus der deutschen
Gesellschaft verbannt wird, weil es sich bei dem Täter um einen
Russlanddeutschen gehandelt hat.
Dass der Täter das Opfer als »Islamistin« und »Terroristin« beschimpft
hat, ist für sie ein Zeichen
dafür, dass die »Saat der antiislamischen Hassprediger wie auch deren
Pendants« aufgegangen ist.
In den Mainstream-Medien wurden Gewaltthemen erfolgreich mit Symbolen
des Islams verknüpft.
Dann kam die Steilvorlage für eine Website, die vermeintliche News gegen
den Mainstream
präsentiert, aber in pervertierter Form genau das tut, was Schiffer
rügt. Sie gab dem Iranischen
Staatssender I.R.I.B. ein Interview. Sie sagte, dass seit der iranischen
Revolution 1979 eine
»stereotype Mediendarstellung, was islamische Sachverhalte anbelangt«
gegeben ist, oder »immer
eine negative Auswahl getroffen« wird. Der 11. September 2001 habe dies
noch verstärkt, weil diese
Tat als eine »islamische« interpretiert wird. Außerdem kritisierte sie
die fehlenden oder »lapidaren«
Erklärungen von Politikern nach dem Mord in Dresden als keinesfalls
angemessen und nicht, wie
wenn »ein jüdischer Mitbürger zu Schaden kommt, oder andere
Minderheitenvertreter«. Dabei
erwähnte sie ganz bewusst, wie wichtig sie es fand, dass »Vertreter der
Juden und Vertreter der
Muslime« gemeinsam den überlebenden Ehemann im Krankenhaus besucht haben.
Am selben Tag wurde ihr Bild mit der Überschrift »Dr. Sabine Schiffer
hetzt gegen Deutschland«
samt E-Mail-Adresse auf der Internetseite »Politically Incorrect«
veröffentlicht. Die Macher der
dubiosen Seite, die sich als vermeintlich pro-israelisch bezeichnen und
gegen die Islamisierung
Europas sind, sprechen von einem »Hetzinterview«, in dem Schiffer
»Verschwörungstheorien«
äußert. Sie werfe der BRD vor, »seine Bevölkerung gezielt gegen den
Islam zu hetzen, um die
Bereitschaft zu steigern, gegen islamische Staaten Krieg zu führen«.
Hatte sie doch in dem Interview
von einem »politischen Interesse« an einem »antiislamischen Feindbild«
gesprochen mit dem unter
anderem die Beteiligung deutscher Soldaten am Krieg in Afghanistan
legitimiert werden solle --
obwohl 80 Prozent der Deutschen dagegen seien.
Es folgte zwei Tage lang ein beleidigendes, nur in seltenen Fällen
sachliches E-Mail-Bombardement.
Schiffer nimmt's sportlich: »Die expliziten Drohungen waren anonym, die
meisten Mails nicht. Aus
der Antisemitismusforschung weiß man: In Zeiten, wo der Antisemitismus
hoffähig war und eine
gesellschaftliche Anerkennung vermutet oder vorausgesetzt werden konnte,
äußerten sich vermehrt
Menschen unter ihrem Klarnamen antisemitisch.«
Dass sie dem iranischen Staatssender ein Interview gegeben hat, dem
antizionistische und
antiamerikanische Propaganda vorgeworfen wird, relativiert sie mit dem
Hinweis, dass »jedes
Medium in gewisser Weise auch Propaganda transportiert« und sie die
»idealtypische Dichotomie«
nicht mitmache: »DIE machen Propaganda, WIR informieren«.
Auch der bekannte Publizist und Autor Henryk M. Broder kritisierte
Schiffer scharf dafür, dem
Iranischen Sender ein Interview gegeben zu haben. »Für jede Profession
gibt es eine Endstation ...
Für Nahostexperten das deutsche Programm des staatlichen iranischen
Rundfunks, I.R.I.B. Hier
treffen sich Kaffeesatzanalysten mit den ins Archiv entsandten
Sonderkorrespondenten ... Und jetzt
auch noch Dr. Sabine Schiffer ... «, so Broder auf der Seite »Achse des
Guten«. Allerdings vergaß
Broder eine nicht unwesentliche Tatsache: 2005 stand kein anderer als er
selbst I.R.I.B. Rede und
Antwort.
Schiffer brachte kürzlich gemeinsam mit Constantin Wagner das Sachbuch
»Antisemitismus und
Islamophobie: Ein Vergleich« heraus, in dem unter anderem die Rolle von
Broder und Ralph
Giordano in der öffentlichen Diskussion um Juden und Muslime näher
beleuchtet wird. Darin stellen
die Autoren fest, dass die beiden sehr viel mehr Aufmerksamkeit
erhalten, als Menschen oder
Gruppen wie etwa die Jüdisch-Islamische Gesellschaft in Deutschland --
die versuchen, sich die
Hände zu reichen. Schiffer ist davon überzeugt, dass nur ein
»Schulterschluss zwischen Juden und
Muslimen Abhilfe schaffen kann«.
Der deutschnationale C. A. schrieb der »Werten Frau Schiffer«, er stellt
sich »wegen der
»angeblichen Islamophobie (sic!) der Deutschen die Frage, ob, »die
Deutschen für so ein
vorsintflutliches Unicum (sic!), wie es der Islam ja nun einmal
darstellt, einfach zu aufgeklärt sind, um
ihn zu verstehen? Sie können nicht so primitiv denken, um ihn verstehen
zu können.«
Schiffer stellt ironisch fest: »Da es Islamophobie nicht gibt, muss hier
Chauvinismus vorliegen. Wenn
Rassismus als Strukturmerkmal in einer Gesellschaft geleugnet wird, gilt
man dann als Denunziant,
wenn man es thematisiert.« Wie immer sieht sie es positiv und hofft,
»eine konstruktive Diskussion
angestoßen zu haben«.
* Aus: Neues Deutschland, 8. August 2009
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