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Ein Verzeihen gibt es nicht

In Berlin wird das Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma eingeweiht *

»Es ist eine so große, große Freude «, sagt Hugo Höllenreiner über die heutige Einweihung des Mahnmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma.

20 Jahre wurde geplant und gestritten; der Gedenkort nahe des Berliner Reichstages wurde ein Langzeitprojekt. Höllenreiner hat den Tag der Einweihung herbeigesehnt. Als Kind war er im KZ; 36 Menschen aus der Familie seines Vaters überlebten den NS-Terror nicht. »Ein Verzeihen gibt es nicht«, sagt Höllenreiner.

Jetzt kann Hugo Höllenreiner das fertige Denkmal erleben, das der israelische Künstler Dani Karavan entworfen hat. Ein Denkmal für die Opfer, darauf legt er Wert – kein Monument, denn das ist »etwas für Generäle«. Es war eine ganz große Aufgabe, meint Karavan in einem Interview. Er könne mit diesem Denkmal den Sinti und Roma geben, »was sie verdient haben: die Ehre, die ihnen gebührt«.

Er wollte einen Ort schaffen, an den man wieder zurückkehrt – wie eine Kirche, eine Synagoge oder eine Moschee. Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, sagt gegenüber »nd«, er hoffe, dass das Mahnmal ein Bewusstsein dafür schafft, dass der Holocaust an 500 000 Sinti und Roma »nicht ein Anhängsel der Shoah gewesen ist, sondern eine eigene Dimension hatte«. Vielleicht kann es auch den Blick dafür schärfen, dass Sinti und Roma bis heute krasser Diskriminierung ausgesetzt sind.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 24. Oktober 2012


"Wir haben den Antiziganismus toleriert"

Romani Rose erreicht mit dem Denkmal der ermordeten Sinti und Roma ein lang ersehntes Ziel. Interview **

In Berlin wird heute das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma eingeweiht. Sinti und Roma und ihre Vertretungen haben lange gekämpft, um öffentlich als rassistisch verfolgte Minderheit anerkannt zu werden. Fast 70 Jahre hat die Bundesrepublik gebraucht, um dieses notwendige Zeichen der Solidarität mit den Opfern zu setzen. Das ist spät, aber kommt gerade im richtigen Moment. Antiziganismus ist europaweit auf dem Vormarsch, aus Ungarn kommen aktuelle Meldungen von Diskriminierung und Übergriffen in trauriger Regelmäßigkeit. Holocaustüberlebende und junge Roma in Deutschland nutzen die Denkmaleröffnung, nicht nur um auf ihre Geschichte, sondern auch auf ihre Forderungen an die Zukunft aufmerksam zu machen.


nd: 20 Jahre hat es gedauert vom Beschluss zum fertigen Denkmal.

Rose: Es ist müßig, auf die einzelnen Widerstände einzugehen. Das Entscheidende ist, dass es das Denkmal jetzt gibt. Ich verspreche mir davon, dass es ein Bewusstsein dafür schafft, dass der Holocaust an 500 000 Roma nicht ein Anhängsel der Shoah gewesen ist, sondern eine eigene Dimension hatte. Und dass die deutsche Politik mit diesem Denkmal, das am besten Ort steht, nämlich am Brandenburger Tor und in der Nähe des Bundestages, sich jetzt auch stark nach außen zu diesem Teil deutscher Geschichte bekennt.

Welche Art von Denkmal wollten Sie schaffen?

Wir hatten einen Anspruch. Das war auch der Grund, warum wir uns für Dani Karavan entschieden haben: Wir wollten kein monumentales Denkmal. Wir wollen keinem Besucher Gefühle aufzwingen. Jeder soll frei dorthin kommen und sich an Hand der angebrachten Chronologie informieren. Die Menschen können auch meditieren, sich vorstellen, was das bedeutet, das Wort Holocaust.

Welche Bedeutung hat es für heutige Generationen?

Mit dem Denkmal soll nicht Schuld an die Enkel und Urenkel übertragen werden. Es ist auch nicht verbunden mit irgendwelchen Forderungen, außer einer, an uns alle: für unseren Rechtsstaat einzutreten. Rechtsextreme stellen Minderheiten in den Vordergrund - Sinti und Roma, jüdische Menschen - weil sie wissen, dass Klischees und Vorurteile tief in der europäischen Gesellschaft sitzen und jederzeit abrufbar sind. Aber die Gesellschaft, ganz Europa muss wissen, dass diese Geisteshaltung Deutschland und den ganzen Kontinent in den Abgrund gerissen hat.

Kann man nach der langen Zeit noch von einer Geste der Bundesrepublik sprechen?

Das Denkmal ist eine absolute Notwendigkeit, und auch eine Geste der Bundesregierung gegenüber den Opfern. Die Bundesregierung drückt mit diesem Denkmal den Respekt für die Sinti und Roma aus. Und diese Opfer sprechen über das Denkmal auch zur Bundesregierung und sagen: Es gibt eine Verantwortung, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Rassismus, Ausgrenzung, Diskriminierung nicht mehr zu akzeptieren, nicht zuzuschauen, und im Namen unseres Landes und seiner Geschichte das Wort zu erheben.

Wird das ausreichend getan?

Den Antisemitismus ächten wir gesellschaftlich und politisch, aber den Antiziganismus haben wir in Deutschland toleriert. Auch auf der politischen Ebene und auch bei befreundeten Ländern, mit denen wir verfassungstechnisch auf einer Ebene stehen. Wenn ich da an Frankreich und Sarkozy denke, der die Grande Nation damals - zum Glück heute nicht mehr - vertreten hat, indem er pauschal die Minderheit diffamiert hat. Er sprach von der Gefährdung der inneren Sicherheit durch Sinti und Roma und hat damit gegen ein rechtsstaatliches Prinzip verstoßen: nämlich dass jeder einzelne nur für sich und sein Handeln verantwortlich ist, nicht das seiner Gruppe oder von Menschen seiner Hautfarbe. Das gleiche gilt für Berlusconi. Da sollte Politik mehr Charakter zeigen, solche Leute ihr Fehlverhalten spüren zu lassen.

Mit dem Denkmal kann der Einsatz der Bundesregierung gegen Antiziganismus nicht abgeschlossen sein.

Ich verspreche mir von den Abgeordneten, dass, wenn es Vorkommnisse gibt wie in Ungarn, Tschechien oder Italien, man nicht nach dem Prinzip der drei Affen handelt. Sondern dass man auf der Grundlage deutscher Verantwortung und in Anbetracht des Denkmals, das vor der Haustür steht, den Mund aufmacht, die Ohren aufmacht und die Augen nicht verschließt.

** Romani Rose, Jahrgang 1946, ist seit 1982 Vorsitzender des Zentralsrats Deutscher Sinti und Roma. Für das Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma hat er sich jahrzehntelang eingesetzt. Künstler Dani Karavan schuf einen schwarzen Brunnen, über dessen Rand lautlos Wasser fließt. Er soll Symbol des Lebens, der Trauer und der Erinnerung sein.

Fragen: Marlene Göring

Aus: neues deutschland, Mittwoch, 24. Oktober 2012





Umfassend ausgegrenzt

Roma leiden in ganz Europa unter Diskriminierung und Benachteiligung

Von Katja Herzberg ***


Die prekäre Lage von Roma ist bekannt. Doch die Diskriminierung der größten Minderheit Europas hält an.

Menschen werden aus Zelten und Wohnwagen geschubst, nur das Nötigste können sie mitnehmen. Es sind Roma, die von Polizisten aus ihren notdürftig eingerichteten Siedlungen vertrieben werden. Nicht mehr ganz so gewalttätig wie noch unter dem konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy, der 2010 hunderte Roma aus Frankreich ausweisen ließ, wurden in den letzten Monaten immer wieder zumeist rumänische Migranten aus den Vororten französischer Großstädte verjagt.

Roma erleben Diskriminierung aber nicht nur durch Polizei und staatliche Behörden, sie sind in ganz Europa einer umfassenden Ausgrenzung ausgesetzt. Gewalttätige Übergriffe von Faschisten in Griechenland bilden nur den Höhepunkt eines Rassismus' gegen die größte ethnische Minderheit auf dem Kontinent.

Noch schlechter als in den westlichen EU-Mitgliedstaaten geht es vielen Roma in Osteuropa. Nach Angaben der EU-Kommission leben 80 Prozent der insgesamt geschätzten Zahl von zehn bis zwölf Millionen Roma in den seit 2004 beigetretenen EU-Ländern. Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit, Vertreibung, fehlende Gesundheitsversorgung und Ausgrenzung von Kindern im Schulsystem prägen das Leben der meisten Roma. 90 Prozent von ihnen leben unterhalb der Armutsgrenze. Besonders gravierend ist die Lage noch immer in den EU-Staaten Rumänien und Bulgarien sowie in Ländern auf dem Westbalkan, die bald der EU beitreten wollen.

Wenn derzeit von der prekären Lage für Roma in Mazedonien und Serbien die Rede ist, hört man von der deutschen Regierung aber nur eines: Bundesinnenminister Hans- Peter Friedrich setzt sich wegen der gestiegenen Zahl von Asylanträgen für die Wiedereinführung der Visumspflicht ein. Damit ist er nicht allein. Weitere fünf EU-Innenminister aus Frankreich, Österreich, Belgien, Luxemburg und den Niederlanden haben bereits die EU-Kommission aufgefordert, eine Aussetzung des visafreies Reisens für Serbien und Mazedonien zu prüfen.

Dies wird auch beim Ratstreffen am Donnerstag Thema sein. Pro Asyl appelliert an die Minister, »keine neuen Grenzen und Mauern in Europa zu errichten«. Es sei aber zu befürchten, so der Europa- Referent Karl Kopp, dass sich die sechs Staaten durchsetzen werden. »Durch diese populistische Debatte werden Themen wie die Flüchtlingskrise in und um Syrien weggedrängt«, so Kopp.

Doch es gibt auch Bestrebungen der EU, die Situation von Roma zu verbessern. Im Sommer 2011 haben die Mitgliedstaaten und die EU-Kommission eine »Roma- Strategie« vereinbart. Bis 2020 soll Roma fairer Zugang zu Bildung, Beschäftigung, Gesundheitsversorgung und Wohnraum ermöglicht werden. Für die nationalen Programme stellt die EU 26 Milliarden Euro zur Verfügung. In einer ersten Bewertung im Mai gestand das zuständige EU-Kommissariat für Justiz und Bürgerrechte den Mitgliedstaaten zwar Bemühungen zu. »Dennoch muss auf nationaler Ebene noch weit mehr getan werden. « Stärkere Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und mehr Geld für Projekte wurden gefordert. Dafür spricht sich auch Karl Kopp aus: »Das Geld muss auch bei den Roma ankommen, um die Lebensverhältnisse grundlegend zu verändern.«

Sanktionen fordert die Europa- Abgeordnete Cornelia Ernst (LINKE). »Obwohl die EU den Mitgliedsstaaten mit der ›Roma-Strategie‹ auferlegt hat, konkrete Maßnahmen zur Zurückdrängung von Benachteiligung und Diskriminierung von Roma zu ergreifen, ändert sich in zahlreichen Mitgliedsstaaten nichts. Vielmehr wird die Situation für viele Menschen immer drastischer. Dies zeigt sich nicht zuletzt an den Vorgängen in Ungarn«, so Ernst.

*** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 24. Oktober 2012


Roma unerwünscht

Mahnmal und Fußtritt

Von Ulla Jelpke ****


Den von den Nazis ermordeten Sinti und Roma ein Mahnmal zu widmen, ist zweifellos ein überfälliger Schritt. Eigentlich müßte dem Mahnmal gleich noch eines folgen, das die Diskriminierung der Sinti und Roma durch die BRD thematisiert. Denn die ist bis heute nicht beendet.

Solche Mahnmale sind stets multifunktional: Sie dienen nicht nur der notwendigen Erinnerung an die Ermordeten, sondern sie dienen auch jenen, die sie errichten lassen, als Alibi einer gelungenen »Aufarbeitung« der Geschichte und Nachweis einer sauberen antifaschistischen Weste. Es hat eine Weile gedauert, bis die BRD das verstanden hat, aber seither boomt der Gedenksektor.

Sinti und Roma, die von den Nazis ermordet wurden, bekamen jetzt ein Mahnmal. Sinti und Roma, die von den Nazis nicht erwischt wurden, bekommen einen Fußtritt. Die Heuchelei des Gedenkens springt ins Auge, wenn man sich ansieht, wie gerade wieder dieser Tage antiziganistische Ressentiments geschürt werden. Einige jener Politiker, die gestern noch mit Trauermiene einträchtig um das Mahnmal herumstanden, fahren heute damit fort, Sinti und Roma zu latenten Kriminellen zu erklären. Weil, wie schon in den Vorjahren, vor Beginn des Winters aus Serbien und Mazedonien einige tausend Flüchtlinge – fast alle Roma – hierzulande Schutz suchen, wettern die führenden Politiker dieses Landes gegen den angeblichen Asylmißbrauch. In der Tatsache, daß Roma in ihren Herkunftsländern massiv diskriminiert werden, sehen sie keinen legitimen Fluchtgrund. Sie sehen auch keine Verantwortung, zum Abbau der Diskriminierung beizutragen, im Gegenteil: Sie schüren diese noch, indem sie die serbische und mazedonische Regierung unter Druck setzen, »ihre« Roma an der Ausreise zu hindern. Wenn ihnen das nicht gelingt, so die Drohung, wird eben die Visafreiheit für alle Serben und Mazedonier abgeschafft. Der Tenor ist der gleiche wie 1991, als schon einmal Roma dafür herhalten mußten, das Asylrecht einzuschränken. Die Stimmung gipfelte damals im Pogrom von Rostock-Lichtenhagen.

Der Mainstream in der deutschen Politik – womöglich auch in der deutschen Bevölkerung – erklärt Sinti und Roma zu einer in »Kerneuropa« unerwünschten Bevölkerungsgruppe. Sie werden als »Fremde« und als Bedrohung für unseren Wohlstand zurechtkonstruiert. Damit wird die ideologische Grundlage dafür gelegt, »Zigeuner« bei Bedarf erneut als Sündenböcke für jene Krisen, die das kapitalistische System produziert, zu präsentieren – und der Verfolgung preiszugeben.

Die Instrumentalisierbarkeit des Gedenkens macht nicht das Gedenken überflüssig. Es verdeutlicht nur, daß dessen wahrer Wert sich nicht in Feierstunden zeigt, sondern im konkreten Handeln. Das bleibt eine Herausforderung für Antirassisten.

Ulla Jelpke ist innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag

**** Aus: junge Welt, Donnerstag, 25. Oktober 2012 (Gastkommentar)


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