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„Die Rassisten nutzen Unmut der Bürger in der Krise“

Pro Deutschland will am Wochenende in Berlin vor Moscheen und linken Projekten aufmarschieren. Ein Gespräch mit Dirk Stegemann *


Für das Wochenende ruft das Bündnis »Zusammen Handeln« dazu auf, Pro Deutschland »die Tour zu vermasseln«. Was plant diese islamfeindliche Partei in Berlin?

Die Rassisten von Pro Deutschland wollen Provokationen vor muslimischen Einrichtungen, selbstbestimmten Wohnprojekten und dem Rathaus Kreuzberg starten. Sie haben sich zwei Schwerpunkte gesetzt: Die Hetze gegen Musliminnen und Muslime und gegen alternative Lebensweise. Das Rathaus Kreuzberg haben sie gewählt, weil Pro Deutschland im Juni 2011 dort keine Veranstaltung abhalten konnte. Damals wurden sie von Gegendemonstranten blockiert und sind nicht in das Gebäude hineingekommen. Seitdem gilt es für sie als Symbol für sogenannte »linke Meinungsdiktatur«.

Zu welchen Gegenaktionen rufen Sie auf?

»Zusammen Handeln«, ein Bündnis aus antifaschistischen und antirassistischen Initiativen, Partei- und Gewerkschaftsgruppen, will diese Provokationen der geistigen Brandstifter nicht hinnehmen und sich den Rechten entgegenstellen. Am Samstag um zehn Uhr will Pro Deutschland eine Pressekonferenz durchführen und eine Ausstellung mit Mohammed-Karikaturen eröffnen. Wir nehmen an, daß sie dies in ihrem Büro in der Alten Rhinstraße 16 veranstalten, was aber noch nicht bekannt ist. Wir werden aktuell reagieren, wenn wir wissen, wo sich die Rechten treffen. Dort werden wir ab 9.30 Uhr protestieren und dann unsere antifaschistische Stadtrundfahrt beginnen. Mit einem Doppelstock-Bus mit offenem Dach werden wir all die Orte anfahren, die Pro Deutschland für Samstag und Sonntag anvisiert hat. Der Bus wird mit Transparenten ausgestattet sein. Drin zeigen wir Karikaturen gegen Nazis, Rassisten und »Pro Deutsche«. Mit unserer Tour werden wir zum »Festival gegen Rassismus« auf den Kreuzberger Blücherplatz mobilisieren, wo parallel dazu Workshops und Diskussionen stattfinden.

Welche Ideologie steht hinter Pro Deutschland?

Pro Deutschland selber ist eine rassistische Partei, als Organisation jedoch klein, unbedeutend und intern zerstritten. Ein Teil ihrer Köpfe kommt aus dem extrem rechten Spektrum; der Deutschen Liga für Volk und Heimat, NPD, DVU, den Republikanern. Das Gefährliche: Sie versuchen, ihre rassistischen Positionen in der Mitte der Gesellschaft anzusiedeln. Weil sie inhaltlich und personell nicht in der Lage sind, Akzente zu setzen, brauchen sie dazu Provokationen – ähnlich wie die NPD mit ihrer Deutschland-Tour, die vergangene Woche zu Ende ging.

Ist es neu, daß sich Pro Deutschland gegen linke Projekte wendet?

Nein. Eine der Ausrichtungen dieser Rechtspopulisten ist, sich ständig als Opfer darzustellen; sich gegen vermeintlich »linken Meinungsterror« zu verwahren – in welchen sie mitunter sogar die CDU einbeziehen. Sie betreiben Hetze gegen Musliminnen und Muslime, Migranten, Flüchtlinge, gegen Sinti und Roma. Die Rassisten nutzen den Unmut der Bürger in der Krise. Sie versuchen, sich bei Occupy anzubiedern: positionieren sich gegen Obrigkeiten, das politische Etablissement, Eliten, um sich selbst als solche anzupreisen.

Es gibt Religionskritiker, die – anders als Pro Deutschland – Salafisten nicht aus fremdenfeindlichen Motiven kritisieren, sondern weil diese für einen Gottesstaat plädieren. Was sagen Sie dazu?

Religionskritik halte ich für legitim – jedoch nicht, diese wie Pro Deutschland als Deckmantel zu benutzen, um Hetze gegen Muslime zu betreiben. In unserem Zusammenschluß gibt es zu Religionen unterschiedliche Meinungen. Wir lassen uns nicht von Rassisten treiben, dies zu einem ihnen genehmen Zeitpunkt zu diskutieren.

Am Sonnabend findet parallel zu den Aktionen der Rechtspopulisten die Al-Quds-Demo statt. Medien behaupten, Demonstranten riefen zur Vernichtung Israels auf …

Kritik an der israelischen Politik ist in Ordnung, wir wenden uns aber gegen Antisemitismus. Rechtspopulisten nutzen indes solche Anlässe, um die Debatte zu polarisieren. An die Polizei und die Medien möchte ich appellieren, verantwortlich damit umzugehen und nicht etwa im Vorhinein »Gewalt« herbeizuschreiben oder Eskalation zu betreiben.

* Dirk Stegemann ist Sprecher der Berliner Kampagne »Zusammen handeln«, das aus dem Bündnis »Rechtspopulismus stoppen« hervorgegangen ist, das sich anläßlich der Berliner Wahlen 2010 gebildet hatte

Interview: Gitta Düperthal *

Aus: junge Welt, Mittwoch, 15. August 2012


Verdrängung ist Rassismus

Bündnis will mit einem Festival auf die Facetten von Diskriminierung aufmerksam machen und sich besser vernetzen

Von Nissrine Messaoudi **


Menschen mit ausländischen Namen haben schlechte Chancen auf dem Wohnungsmarkt. »Rassismus im Alltag ist gang und gäbe, auch wenn Probleme gerne in der Öffentlichkeit als Einzelfälle dargestellt werden«, sagte ein Mitglied des Bündnisses »Festival gegen Rassismus« gestern vor Journalisten.

Um mehr auf Diskriminierung und Ausgrenzung aufmerksam zu machen, veranstaltet das Bündnis daher vom 17. bis 19. August in Berlin-Kreuzberg ein Festival. Insgesamt haben sich 46 verschiedene Initiativen auf dem Blücherplatz angekündigt, darunter die Mietergemeinschaft »Kotti & Co« und das »Flüchtlingsprotestcamp am Heinrichplatz« in Kreuzberg.

»Es gibt bereits zahlreiche Gruppen, die sich gegen Rassismus engagieren. Leider vernetzen sich die Initiativen viel zu selten«, so das Bündnis. Das soll sich am kommenden Wochenende ändern. Das Festival will vor allem eine Plattform zum Austausch von Ideen und Erfahrungen sein. Die »eigenen Kräfte zu bündeln«, sei wichtig, um sich künftig mehr Gehör und Gewicht bei Vertretern der Regierung zu verschaffen. Rassismus werde noch viel zu selten in der Öffentlichkeit thematisiert, monierte die Initiative. Selbst nach der Mordserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) habe ein gesellschaftlicher Aufschrei gefehlt. Dies zeige unter anderem, wie verbreitet Rassismus in der Gesellschaft ist. »Sich einfach nur zu entschuldigen und ein zwei Leute zu entlassen, reicht nicht«, meint Frau Uluturk von der Mietergemeinschaft am Kottbusser Tor. Einseitig werde von Politikern hingegen immer wieder die Forderung laut, Migranten müssten sich besser integrieren und sich nicht isolieren.

Die Verdrängung der Mieter am Kotti sei letztlich auch eine Facette von Rassismus, sagte Ulrike Hamann vom Protestcamp der Mietergemeinschaft. Sogenannte Gastarbeiter, die bereits vor 50 oder 60 Jahren Deutschland mit aufbauten, haben trotz der ausbeuterischen Löhne Kreuzberg attraktiv gemacht. »Nun können sich diese Menschen mit ihrer niedrigen Rente die Miete am Kotti nicht mehr leisten und werden verdrängt«, so Hamann. Mit einer weiteren »Lärmdemo« werde die Gemeinschaft auf dem »Festival gegen Rassismus« auf sich aufmerksam machen. Geplant sind an den drei Tagen außerdem Podiumsdiskussionen, Workshops und Konzerte.

Die angekündigten acht Kundgebungen der rechtspopulistischen Partei »Pro Deutschland«, die ebenfalls am Wochenende - und zum Ende des Ramadan - stattfinden sollen, bezeichnete das Bündnis als Spitze des Eisbergs. Wie man dennoch künftig gemeinsamen Widerstand gegen Veranstaltungen von extrem Rechten organisiert, wird unter anderem Thema auf dem Festival sein. Gegen »Pro Deutschland« hat sich bereits Protest formiert. Ein Zusammenschluss antirassistischer und antifaschistischer Initiativen sowie Gewerkschaften und linken Parteien wird der Partei mit einer antirassistischen Stadtrundfahrt und Karikaturen entgegentreten.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 15. August 2012


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