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Die "Kameraden" zieht's nach Osteuropa

Bundesregierung offenbart ein nur geringes Wissen über die grenzüberschreitenden Kontakte deutscher Neonazis

Von René Heilig *

Die länderübergreifende Vernetzung diverser rechtsextremistischer Gruppierungen ist bislang viel zu wenig im Blickfeld der Verantwortlichen. Das bestätigt auch eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion.

Eine Fehlstelle in den Untersuchungsergebnissen sämtlicher parlamentarischer Untersuchungsausschüsse zur Terrororganisation Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) sind dessen weitreichende internationale Verbindungen. Auch der Generalbundesanwalt hat mit dem Bundeskriminalamt nur wenige Kontakte ausgeleuchtet.

Nun hat die Linksfraktion im Bundestag die generellen Beziehungen deutscher Rechtsextremisten Richtung Osteuropa zum Thema einer Anfrage gemacht. Man beobachte sehr aufmerksam die Vorgänge im rechtsextremistischen Spektrum osteuropäischer Staaten, behauptet die Regierung und verweist auf eine Reihe von rechtsextremen und ultranationalistischen Gruppen in Russland, der Ukraine, Belarus, in Ungarn, Lettland, Estland und Litauen, Rumänien, sowie Bulgarien. Umso erstaunlicher ist es, dass die Antworten bestenfalls die Oberfläche des Problems berühren. Dargestellt wird vor allem die Teilnahme an Aufmärschen jenseits der Oder zwischen 2010 und 2012. Und das nur sehr lückenhaft.

»Deutsche Rechtsextremisten reisten in dem genannten Zeitraum vereinzelt zu rechtsextremistischen Aufmärschen nach Osteuropa«, antwortet die Regierung zu Litauen, Lettland, Ungarn und Bulgarien. Im März sei eine Gruppe deutscher Rechtsextremisten aus Sachsen nach Litauen gereist, um in Vilnius am sogenannten Unabhängigkeitsmarsch der litauischen Rechtsextremisten teilzunehmen. Gleichfalls im März zieht es deutsche Neonazis nach Lettland, wo sie sich am »Rigamarsch« beteiligen. Das ist ein Aufmarsch von SS-Veteranen.

Auch zu dem jährlich im Februar stattfindenden »Tag der Ehre« – anlässlich der »Schlacht um Budapest« am 11. Februar 1945 – sind in den vergangenen Jahren deutsche Rechtsextremisten angereist. Beim jährlich stattfindenden »Lukov Marsch« in Sofia, der vom »Bulgarischen Nationalbund« (BNS) veranstaltet wird, seien in den vergangenen Jahren nur vereinzelt Personen aus dem neonazistischen deutschen Spektrum aufgetaucht.

Die Regierung weiß von vereinzelten Absprachen zur Zusammenarbeit. Erwähnt wird der seit April 2009 bestehende Deutsch-Böhmische-Freundeskreis (DBF) zwischen deutschen und tschechischen Kameradschaftsgruppen. Die Vereinbarung wurde im Rahmen eines informellen Arbeitstreffens zwischen Aktivisten des »Freien Netzes Chemnitz« und den »Kameraden aus Böhmen/Mähren« eingegangen.

Die Zusammenarbeit der NPD mit ihren osteuropäischen Partnern beschränkt sich nach Erkenntnissen der Bundesregierung »in der Regel auf bloßen Informations- und Materialaustausch. Eine intensivere Zusammenarbeit – wie sie zwischen der NPD und bulgarischen bzw. tschechischen Rechtsextremisten besteht – beruht hauptsächlich auf einzelnen persönlichen Kontakten der beteiligten Protagonisten und beinhaltet beispielsweise wechselseitige Einladungen zu Parteitagen, Kongressen, Demonstrationen oder ähnlichen Veranstaltungen.«

Auch über die Teilnahme osteuropäischer Neonazis an Veranstaltungen ihrer deutschen Kameraden ist die Erkenntnislage der deutschen Behörden – glaubt man der Bundesregierung – gering. Als Treffpunkt aufgelistet ist lediglich der »jährlich stattfindenden Trauermarsch der ›Junge Landsmannschaft Ostdeutschland e. V.‹ (JLO) in Dresden. Auch da ist nur die Rede von vereinzelten Besuchern.

Darüber hinaus hätten »einzelne osteuropäische Rechtsextremisten« am jährlich stattfindenden »Antikriegstag« Dortmunder Neonazis teilgenommen. Man registrierte Gäste aus Ungarn beim Eichsfeldtag der NPD in Leinefelde (Thüringen). Kameraden aus der Ukraine tauchten in Sachsen auf.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 10. September 2013


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