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NSU-Verfahren: Wieder über Inhalte reden

Bündnis kündigt Demo an, Presseplatz-Debatte geht weiter

Von René Heilig *

Der NSU-Prozess gegen die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe und vier Helfer soll am Montag vor dem Münchner Oberlandesgericht (OLG) beginnen. Noch aber gibt es vor allem Debatten um Arbeitsmöglichkeiten von Journalisten.

Am Donnerstagnachmittag musste abermals das Los entscheiden. Nach einer erneuten Panne bei der Akkreditierung galt es, einen der insgesamt 50 Presseplätze neu zu vergeben. Gezogen wurde der Antrag des freien Journalisten Oliver Renn.

Im anhaltenden Streit um die Vergabe der Presseplätze ist indessen ein weiterer Journalist vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Die Karlsruher Richter nahmen die Beschwerde nicht zur Entscheidung an. Sie sei unbegründet, weil Grundrechte des Beschwerdeführers nicht verletzt seien.

Der freie Journalist Martin Lejeune hatte im ersten Vergabeverfahren einen garantierten Sitzplatz im NSU-Prozess bekommen, war bei der folgenden Verlosung der Plätze am vergangenen Montag aber leer ausgegangen. Bereits am Mittwoch hatte das Bundesverfassungsgericht die Beschwerde eines Kollegen abgewiesen. Sein Recht »auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb« sei nicht verletzt.

Ursprünglich hatten verschiedene Medien über eine Klage gegen das zweite Akkretierungsverfahren nachgedacht, bei denen sie - wie »neues deutschland«, das zunächst akkreditiert war - ohne Losglück blieben. Die »Welt«-Gruppe, »Die Zeit« und die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« verzichten jedoch auf Klagen, damit der Prozess am Montag beginnen kann. Auch »nd« visiert - statt zu klagen - vom Gericht angeregte Kooperationen zur Berichterstattung an. Strittig ist weiter die Entscheidung des OLG, keine Videoübertragung des Prozesses in einen anderen Saal des Gerichtsgebäudes zuzulassen. Paragraf 169 des Gerichtsverfassungsgesetzes bestimmt, dass »Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts« unzulässig sind. Ob das für eine Überspielung des Geschehens in einen Raum gilt, in dem nur akkreditierte Journalisten sitzen, ist fraglich.

Ein Anspruch auf Bild- und Tonübertragung lasse sich aus dem Grundrecht der Pressefreiheit nicht herleiten, hatten die Verfassungsrichter am Mittwoch entschieden. Dem schließt sich der einstige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, an, meint jedoch, eine Entscheidung pro Videoübertragung wäre eine »Frage der pragmatischen Klugheit«.

Yavuz Sekim Narin, ein Anwalt der Nebenklage, hat das Gericht derweil mit dem Antrag konfrontiert, die Besetzung der Plätze für die Angehörigen der Opfer weniger restriktiv zu handhaben. Sollten einige der Hinterbliebenen nicht die Kraft haben, dem Verfahren zu folgen, will Narin deren Plätze an Angehörige oder Journalisten und andere Vertreter der Öffentlichkeit vergeben wissen. Narin machte gegenüber »nd« darauf aufmerksam, dass die Ehefrau des angeklagten NSU-Unterstützers Ralf Wohlleben mit Beschluss vom 11. April als Beistand beigeordnet wurde.

Eine Platzreservierung für Vertreter der Türkei hatte das Gericht abgelehnt. Dennoch wird der Menschenrechtsausschuss des türkischen Parlamentes vier Mitglieder zur Beobachtung des Prozesses nach München entsenden.

»Es ist an der Zeit, wieder über Inhalte zu reden - es geht um Nazis, die über Jahre hinweg aus rassistischen Motiven zehn Menschen töteten, um Behörden, die das hätten verhindern können, und um Rassismus«, erklärte Thomas Spree vom »Bündnis gegen Naziterror und Rassismus«. Zum Auftakt des NSU-Prozesses ruft das Bündnis wie andere zu Protesten vor dem Gericht auf.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 3. Mai 2013


Umkämpfte Plätze

NSU-Prozeß: Karlsruhe weist Klage gegen Presseplatzvergabe ab. Angeklagter Neonazi Wohlleben soll Ehegattenbeistand erhalten

Von Claudia Wangerin **


Nach einer Serie von Pannen und Tricksereien bei der Vergabe der Presseplätze für den NSU-Prozeß hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Donnerstag die Klage eines freien Journalisten abgewiesen. Martin Lejeune war beim ersten Akkreditierungsverfahren nach »Windhundprinzip« unter den ersten 50 Bewerbern gewesen und hatte somit einen der umkämpften Plätze bei der Hauptverhandlung um die Mordserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« erhalten. Bei der Verlosung nach Untergruppen, zu der sich das Oberlandesgericht (OLG) München entschloß, weil die Karlsruher Richter verlangt hatten, auch Medien aus den Herkunftsländern der meisten NSU-Opfer zu berücksichtigen, war Lejeune leer ausgegangen. Seine Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen, weil keine Grundrechte verletzt seien, hieß es in dem Beschluß. Größere Medien wie Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Welt und Die Zeit, die bei der Verlosung ebenfalls leer ausgingen, wollen vorerst auf Klagen verzichten, um eine weitere Verschiebung des Prozesses zu vermeiden, der planmäßig am 6. Mai beginnt. Einzig die taz behält sich noch rechtliche Schritte vor. Die junge Welt kann dank Losglück aus erster Hand berichten. Einer der 50 Plätze wurde am Donnerstag nachmittag neu verlost, weil einer der »Gewinner«, ein freier Mitarbeiter des WDR, wegen eines Irrtums sein Akkreditierungsgesuch zurückgezogen hatte.

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat unterdessen ein Gutachten erstellt, demzufolge eine Videoübertragung in einen weiteren Gerichtssaal unzulässig sein soll. Die Juristen verweisen laut Osnabrücker Zeitung vom Donnerstag auf die »Menschenwürde der Verfahrensbeteiligten«.

Das erste Gelächter über den Presseplatz für die Modezeitschrift Brigitte im Gerichtssaal hat sich inzwischen gelegt. Sprach sich doch schnell herum, daß das zur Bertelsmann Media Group gehörende Verlagshaus Gruner + Jahr das Blatt neben dem Stern nur ins Rennen geschickt habe, um seine Chancen bei der Verlosung der 50 festen Journalistenplätze zu erhöhen. So wurde der Brigitte-Platz auch umgehend an den Stern abgetreten. Das aufgrund seines Losglücks ebenfalls mit Spott bedachte Anzeigenblatt Hallo München wiederum gehört zur Mediengruppe Münchner Merkur/tz, deren Zeitungen damit versorgt sein dürften. Auch die Süddeutsche Zeitung (SZ) ging nur auf den ersten Blick leer aus, hatte der Süddeutsche Verlag sich doch auch mit dem SZ Magazin beworben.

Nebenklageanwalt Yavuz Narin, der die Angehörigen des NSU-Mordopfers Theodoros Boulgarides vertritt, stellte derweil einen Antrag, der den Nebenklägern ermöglichen soll, »ihnen zustehende Sitzplätze einvernehmlich anderen Zuhörern, Mitarbeitern ihrer anwaltlichen Vertreter oder Medienvertretern zu überlassen.« Hintergrund ist einerseits der Wunsch traumatisierter Nebenkläger, sich im Gerichtssaal von engen Vertrauenspersonen begleiten zu lassen, was aufgrund des Platzmangels nie für alle Betroffenen gleichzeitig möglich sei. Aus beruflichen und finanziellen Gründen könnten sie aber ohnehin nicht alle Verhandlungstermine wahrnehmen. Laut Antrag sollen sie daher in Absprache mit anderen Nebenklägern zu einzelnen Sitzungen entsprechenden Beistand mitbringen können, um an anderen Tagen ihre Plätze für die Vertrauten anderer Nebenkläger freizumachen.

Ob das Gericht sich darauf einläßt, bleibt abzuwarten. Unterdessen soll aber die Ehefrau des mutmaßlichen NSU-Unterstützers Ralf Wohlleben in räumlicher Nähe zu ihrem Gatten im Sitzblock der Angeklagten und Verteidiger Platz nehmen dürfen. Nach dieser Zeitung vorliegenden Informationen wurde sie als Beistand nach Paragraph 149 der Strafprozeßordnung zugelassen. Die Rechtsvorschrift gilt für Ehegatten und Lebenspartner von Angeklagten. Wohlleben sitzt neben Beate Zschäpe als einziger NSU-Beschuldigter noch in Untersuchungshaft. Er soll für das mutmaßliche Kerntrio eine Schußwaffe organisiert haben. Im Herbst 2012 wurden seine Haftbedingungen verschärft, weil er heimlich Briefkontakt mit einer rechten Szenegröße in Freiheit gepflegt haben soll.

** Aus: junge Welt, Freitag, 3. Mai 2013


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