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Aufklärungshindernisse

Hauptangeklagte stört NSU-Prozess mit immer neuen Vorstößen gegen ihre Pflichtverteidiger. Hessischer Untersuchungsausschuss blockiert sich selbst

Von Claudia Wangerin *

Während der Münchner NSU-Prozess von der Hauptangeklagten Beate Zschäpe torpediert wird, die wiederholt versucht, einen oder mehrere Pflichtverteidiger loszuwerden, stellt sich der Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags zum »Nationalsozialistischen Untergrund« und der Rolle der Landesbehörden selbst ein Bein. Am Montag hatte das Gremium neben dem Verfassungsschutzbeamten Peter Stark Bundesanwalt Herbert Diemer als Zeugen geladen, der normalerweise als Anklagevertreter in München sitzt.

Wegen der Regeln, die sich der Ausschuss unter dem Vorsitz von Hartmut Honka (CDU) auferlegt hat, durften den beiden Staatsdienern aber wichtige Fragen im Zusammenhang mit dem Mord an Halit Yozgat 2006 in Kassel noch gar nicht gestellt werden. CDU und Grüne, die in Hessen die Landesregierung stellen, hatten mit ihrer Mehrheit im Ausschuss eine strikte zeitliche Trennung durchsetzt, so dass bei den Vernehmungen zunächst nur die Zeit vor Yozgats Tod behandelt werden darf. Die Abläufe danach – unter anderem im Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) – sollten später behandelt werden.

Dabei soll der Zeuge Stark, ehemals »Abteilungsleiter Beschaffung« und kommissarischer Leiter der Abteilung Rechtsextremismus im Landesamt für Verfassungsschutz (LfV), nach dem Mord an Halit Yozgat mit dem Tatvorwurf gegen den V-Mann-Führer Andreas Temme befasst gewesen sein. Dies habe Stark selbst angedeutet, teilte der Landtagsabgeordnete Hermann Schaus (Die Linke) nach der unvollendeten Vernehmung mit. »Leider müssen wir den Zeugen Peter S. erneut laden, weil zwei zentrale Fragen zu den Abläufen im Landesamt nach dem Mord an Halit Yozgat nicht gestellt werden durften.«

Dennoch habe Starks Vernehmung am Montag drei Dinge offenbart: Erstens sei die rechte Szene Hessens intern anders – nämlich als »bundesweit bedeutsam, vernetzt und terroristisch« – eingeschätzt worden, als es sich in den öffentlichen Verfassungsschutzberichten widerspiegelte. Die Landesregierung habe dies nach außen hin »vollkommen heruntergespielt«. Zweitens habe die Zeugenbefragung von Stark ergeben, dass sich mehrere V-Leute im Umfeld des 2014 verstorbenen Rechtsterroristen Manfred Röder bewegt hätten, dessen Hof im hessischen Schwarzenborn der Szene als Schulungs- und Tagungsort gedient hatte. Es existierten angeblich 16 Aktenordner allein zu Röder, die dem Ausschuss bis heute nicht vorlägen, monierte Schaus. »Veranstaltungen auf Röders Hof waren ein bundesweites V-Personen-Treffen«, twitterte die Initiative NSU-Watch Hessen am Montag aus dem öffentlichen Teil der Ausschusssitzung.

»Drittens war das Dezernat Rechtsextremismus im hessischen LfV vollkommen unterbelichtet«, so Schaus weiter. »Es hatte im Jahr 2006 die wenigsten Mitarbeiter und über neun Monate keinen Abteilungsleiter.« Außerdem sei kaum zu begreifen, dass es dort keine Kenntnisse über neofaschistische Terrorstrategien wie den »führerlosen Widerstand« oder die Gefährlichkeit des 2000 verbotenen »Blood and Honour«-Netzwerks gegeben haben soll. Offenbar sah das LfV für die Bereiche »Rechts- und Linksextremismus« Fachtagungen als ausreichend an, um das Personal zu schulen, während es jedoch ab 2001 Islamwissenschaftler warb.

Laut NSU-Watch Hessen erzählte Stark im Zeugenstand außerdem »nostalgische Anekdoten aus der Zeit vor dem Internet«, redete über »Linksextremismus« und gab an, er habe zur Vorbereitung seiner Vernehmung keine Akten lesen wollen. Er kenne – angeblich – nicht einmal die berüchtigte Kasseler Neonazigruppierung »Sturm 18«.

Bundesanwalt Herbert Diemer geht als Ankläger davon aus, dass der NSU nur aus drei Personen bestand. Er wollte vor dem Ausschuss in Wiesbaden erwartungsgemäß keine örtlichen Unterstützer in Kassel ausgemacht haben.

Am Dienstag wollte Beate Zschäpe vor dem Oberlandesgericht München ihren Pflichtverteidiger Wolfgang Heer loswerden, nachdem dieser am Vortag zusammen mit Wolfgang Stahl und Anja Sturm erfolglos beantragt hatte, Zschäpe nicht mehr verteidigen zu müssen. Dem Vernehmen nach beklagte sie sich nun darüber, dass Heer sich dem Gericht gegenüber vorab kritisch zur geplanten Bestellung ihres vierten Pflichtverteidigers Mathias Grasel geäußert habe.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 22. Juli 2015


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