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"Ich kann verstehen, daß sie unzufrieden war"

NSU-Prozeß. Nicht alle Nebenklagevertreter hofften auf Aussage von Zschäpe. Verteidiger an wichtigen Stellen passiv. Ein Gespräch mit Seda Basay *


Rechtsanwältin Seda Basay vertritt im Prozeß um die rechte Terrorgruppe »­Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) Angehörige des im Jahr 2000 ­erschossenen Enver Simsek.


Als Beate Zschäpe am 16. Juli ihren drei Anwälten das Vertrauen entzog, hofften einige Nebenklagevertreter, daß die Hauptangeklagte im NSU-Prozeß ihr Schweigen beenden will. Das hat sich nicht bestätigt. Wie war Ihr Eindruck von der darauffolgenden Prozeßwoche?

Ich selbst hatte nicht damit gerechnet, daß sie aussagt. Denn das Schlaueste ist es nun mal, in einem solchen Verfahren zu schweigen. Die Verteidigung kann ihr nur das empfehlen. Nach der Strafprozeßordnung muß sie nicht an ihrer Verurteilung mitwirken. Deshalb hatte ich von ihr keine Aussage erwartet – in meinen Augen war klar, daß sie mit der Verteidigungsstrategie unzufrieden ist. Vermutlich erhofft sie sich, daß ihre Anwälte die Zeugen etwas engagierter befragen – gerade was die Rolle des Verfassungsschutzes und seiner V-Leute im Umfeld der Gruppe angeht. Es war wohl allgemeine Unzufriedenheit und Frustration. Zu ihrer Untersuchungshaft seit November 2011 kommen seit mehr als einem Jahr lange Verhandlungstage hinzu.

Die meisten Prozeßbeteiligten schätzen sie aber als so belastet ein, daß das Schweigen eine Verurteilung in den meisten der angeklagten Mordfälle nicht verhindern wird.

Sie ist auf jeden Fall belastet, keine Frage. Aber das Schweigen bringt ihr mehr als zu sprechen und die Taten zu bestreiten. Wenn sie das täte, kämen so viele Fragen auf sie zu, daß es nach hinten losgehen müßte. Wahrscheinlich würde sie sich in Widersprüche verwickeln. Und ich erwarte nicht, daß sie ein Geständnis ablegt – dann wären wir schon morgen fertig. Ich gehe davon aus, wenn sie redet, würde sie bestreiten, was ihr vorgeworfen wird. Da es aber nach Aktenlage und der bisherigen Beweisaufnahme nicht gut für sie aussieht, ist es aus ihrer Sicht das Beste, wenn sie weiter schweigt. Ihr Problem ist, denke ich, daß sie sich eine engagiertere Verteidigung wünscht.

Was ist Ihr Eindruck von der Verteidigungsstrategie?

Ich weiß nicht, was sie intern besprochen haben. Beate Zschäpe hat schriftlich begründet, warum sie den Anwälten nicht mehr vertraut – es geht wohl darum, daß sie von ihnen erwartet, mehr zu hinterfragen. Allerdings könnten dadurch auch aus ihrer Sicht unerwünschte Dinge herauskommen. An der Stelle der Verteidigung würde ich darüber sehr ausführlich mit meiner Mandantin sprechen. Wenn sie verurteilt wird, soll sie nicht sagen: Ich wurde nicht angemessen verteidigt. Sondern: Meine Anwälte haben alles für mich getan – ich wurde trotzdem verurteilt. Sie soll nicht sagen: Ich hatte aber tausend Fragen, die meine Verteidiger nicht gestellt haben.

Ist es nur eine Vermutung, daß es dabei um den Verfassungsschutz ging?

Ja. Das habe ich aus ihren Reaktionen geschlossen, wenn V-Leute im Zeugenstand saßen. Schließlich ist es ja beim früheren V-Mann Tino Brandt eskaliert. Gerade über ihn wissen wir aus den Akten soviel, da lassen sich etliche Vorhalte machen. Ich kann verstehen, daß sie mit der Befragung unzufrieden war. Ob die Anwälte internes Wissen haben, das ihre Zurückhaltung erklären würde, weiß ich natürlich nicht.

Bei der Befragung von Lutz Irrgang, dem früheren Chef des hessischen Verfassungsschutzes, hat Zschäpes Anwalt Wolfgang Stahl sogar interveniert und einer Anwältin der Nebenklage gesagt, sie dürfe nicht zum Verrat vom Dienstgeheimnissen anstiften.

Ja, soweit ist es auch gekommen. Aber wie gesagt: Vielleicht sollten Zschäpes Anwälte mit ihr besprechen, ob sie Fragen in diese Richtung wünscht. Es kam ja schon vor, daß sich die Verteidigung des Mitangeklagten Ralf Wohlleben Anträgen der Nebenklage angeschlossen hat, als es um die Rolle des Verfassungsschutzes ging. Tino Brandt wird ja nun erneut geladen. Und ich bin sehr gespannt, ob die Verteidigung von Zschäpe sich dazu durchringt, noch ein paar Fragen in diese Richtung zu stellen.

Kann es denn auf das Urteil Einfluß haben, ob V-Leute wie Brandt zur Radikalisierung von Zschäpe beigetragen haben?

Letztendlich war es ihre Entscheidung, in den Untergrund zu gehen. Aber die Frage ist, ob es noch rechtsstaatlich ist, soviel Geld in V-Leute zu stecken und selbst Gewalttäter wie Carsten Szczepanski, der wegen eines Mordversuchs an einem Nigerianer zu acht Jahren Haft verurteilt wurde, danach mit insgesamt 50000 D-Mark an V-Mann-Honoraren zu belohnen. Was soll man denn dem Opfer sagen? Auch aus dem NSU-Verfahren müssen Schlüsse gezogen werden, ob es so weitergehen kann.

Interview: Claudia Wangerin

* Aus: junge Welt, Dienstag, 29. Juli 2014


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