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Zeuge "Otto" sagt aus

NSU-Prozeß: Ehemaliger V-Mann Tino Brandt mit Handfessel in den Saal geführt. Seine Erinnerungslücken soll der Verfassungsschutz füllen

Von Claudia Wangerin, München *

Erstmalig ist am Dienstag im Münchner NSU-Prozeß ein Zeuge mit Handfessel in den Gerichtssaal geführt worden: Tino Brandt, heute 39, war in den 1990er Jahren »Führungskraft« des sogenannten Thüringer Heimatschutzes, aus dessen Reihen der »Nationalsozialistische Untergrund« hervorging, sowie V-Mann des Landesamtes für Verfassungsschutz mit dem Decknamen »Otto«.

Er wurde aus der Untersuchungshaft vorgeführt, weil er minderjährige Jungen sexuell mißbraucht haben soll. Seine Unterstützungshandlungen für das mutmaßliche Kerntrio des NSU gelten dagegen als verjährt. Der Mann mit dem massigen Kopf trägt Haare und Bart kurz geschoren, was heute kaum noch etwas über die Gesinnung aussagt. Aber daß sie sich in seinem Fall nicht grundlegend geändert hat, wurde in der Befragung durch den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl sehr schnell deutlich. Als er die Ideologie seiner Gruppierung sowie seinen heutigen Standpunkt schildern sollte, erklärte Brandt zunächst, es habe in der DDR und in der BRD »kaum große Unterschiede« in Sachen Zensur und Unterdrückung gegeben. Auf die Frage von Götzl, was er damit meine, beklagte sich der Ex-V-Mann über den Volksverhetzungsparagraphen. Er erklärte »bestimmte wissenschaftliche Themen« würden in der BRD nicht zugelassen – etwa die Beschäftigung »mit bestimmten Zahlen zu Konzentrationslagern«, die man hierzulande nicht anzweifeln dürfe.

Über die mutmaßlichen NSU-Mitglieder sagte Brandt, vor ihrer Flucht aus Jena hätten die drei im »Thüringer Heimatschutz« dieselben Ansichten vertreten »wie wir alle«. Er habe sie »sehr positiv in Erinnerung«. Was das gewaltbereite Auftreten von Uwe Böhnhardt und dessen mögliche Teilnahme an Wehrsportübungen anging, ruderte er im Vergleich zu seiner Vernehmung bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe kurz nach Aufdeckung des NSU deutlich zurück. Ihm wurde aus dem Protokoll vorgehalten, er sei überzeugt, daß Böhnhardt und der Neonazi Sven R., »beide Waffennarren«, gemeinsam Wehrsportübungen durchgeführt hätten. Darauf erklärte Brandt jetzt, ihm sei keine einzige bekannt, an der sie teilgenommen hätten.

Über Beate Zschäpe, die einzige Überlebende des untergetauchten Trios, sagte Brandt am Dienstag auf Nachfrage, sie sei »keine dumme Hausfrau« gewesen. Sie habe bei Rechtsschulungen oder Seminaren über Germanentum durchaus mitdiskutieren können und fundiertes Wissen gehabt.

Bei der Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz habe für ihn der Grundsatz der Quellenehrlichkeit gegolten, er habe aber durchaus versucht, bestimmte Dinge nicht zu berichten. Allerdings seien seine V-Mann-Führer auch nicht an Informationen über Straftaten interessiert gewesen. Sie hätten eher etwas zu den Teilnehmerzahlen rechter Aufmärsche wissen wollen. Mit Ausnahme der Fahndungsarbeit nach den 1998 untergetauchten Neonazis Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe habe er keine Informationen über einen bestimmten Personenkreis sammeln sollen. Er habe aber auch gar nicht viel über das untergetauchte Trio wissen wollen.

Den Fakt, daß er selbst für die flüchtigen »Bombenbastler« Spenden in der Szene gesammelt und auch Gelder des Verfassungsschutzes an sie weitergeleitet hatte, kommentierte Brandt vor Gericht mit den Worten: »Das ist ’ne Geschichte wie bei ’nem Erdbeben, das passiert, dann sammelt man, und irgendwann ist das Thema tot.« Nach einem Vierteljahr oder einem halben Jahr sei es »durch« gewesen.

Er sei von dem heutigen Mitangeklagten Carsten S. kontaktiert worden, wenn einer der Untergetauchten ihn sprechen wollte – er selbst habe dann in Coburg, wo er für den Verlag »Nation Europa« tätig war, anrufbare Telefonzellen herausgesucht.

Er wisse nicht mehr genau, wann er aufgehört habe, Geld für das Trio zu sammeln. Da müsse das Gericht wohl »beim Landesamt nachfragen«. Auch erinnere er sich nicht mehr genau an die Summen. Ein vierstelliger Betrag sei aber nach seiner Erinnerung vom Verfassungsschutz zur Weiterleitung bestimmt gewesen.

* Aus: junge Welt, Mittwoch 16. Juli 2014


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