Natürlich national
NSU-Prozeß. Bizarre politische Statements und ein Befangenheitsantrag. Streit um Beweislage gegen Wohlleben
Von Claudia Wangerin, München *
Nach Schilderung des Zeugen Thomas Gerlach bestand die Neonaziszene Thüringens und Sachsens zu seiner aktiven Zeit im wesentlichen aus friedlichen Kapitalismuskritikern: Daß es mit Gewalt nicht funktioniere, sei »eigentlich Konsens« gewesen, sagte der 35jährige am Dienstag im Prozeß um die Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU). Das Oberlandesgericht München erhoffte sich von ihm Einblicke ins Umfeld der Gruppe, da er engen Kontakt zu früheren Unterstützern des mutmaßlichen Kerntrios hatte und in der gesamten Szene gut vernetzt war. Nach eigenen Angaben war er »kurzzeitig liiert« mit Mandy S., deren Identität die Hauptangeklagte Beate Zschäpe genutzt hatte. Von den fünf Angeklagten habe er »bewußt« nur den früheren NPD-Kader Ralf Wohlleben gekannt. »Organisationen waren eigentlich erst mal egal«, so Gerlach, der sowohl dem »Kampfbund Deutscher Sozialisten« als auch der mittlerweile verbotenen »Hilfsorganisation Nationaler Gefangener« (HNG) angehört hatte.
Als er von 2001 bis 2004 wegen Körperverletzung in Haft war, habe er sich »weitergebildet« und reflektiert, so Gerlach. Für Wohlleben brach der Zeuge eine Lanze, als der Vorsitzende Richter Manfred Götzl nach Gewaltdiskussionen in der Szene fragte. Wohlleben sei immer »derjenige gewesen, der als erstes eingeschritten ist«, wenn jemand zur Gewalt aufgerufen habe.
Die Vernehmung des Zeugen, der mit dem Mitangeklagten Holger Gerlach nicht verwandt ist, hatte mit dreieinhalb Stunden Verspätung begonnen, weil Wohllebens Verteidiger eine längere Unterbrechung beantragt hatten, um ein Ablehnungsgesuch gegen alle fünf Richter des sechsten Strafsenats wegen Besorgnis der Befangenheit vorzubereiten. Das Gericht habe nur belastende Umstände zur Kenntnis genommen, entlastende aber ignoriert, als es die Fortdauer der Untersuchungshaft für Wohlleben angeordnet habe, so dessen Anwältin Nicole Schneiders zur Begründung. Sie bezog sich vor allem auf Aussagen des geständigen Mitangeklagten Carsten S. zur Beschaffung der Tatwaffe vom Typ »Ceska 83«, die der Mitangeklagte im Auftrag von Wohlleben den mutmaßlichen Haupttätern der NSU-Mordserie übergeben haben will. S. habe seit 2011 mindestens 20mal Bilder der Ceska in Medienberichten gesehen. Die Erinnerung könne dadurch überlagert sein. Die Ceska sei nur »mit hoher Wahrscheinlichkeit« als die Waffe identifiziert, die Carsten S. übergeben habe. Zunächst habe er sich an ein deutsches Fabrikat erinnert, erst später an ein osteuropäisches. Über den Befangenheitsantrag muß ein anderer Senat des Oberlandesgerichts entscheiden, bis dahin wird weiter verhandelt.
Thomas Gerlach gab am Nachmittag auf Nachfrage noch einige bizarre politische Statements ab: Er selbst bezeichne sich als »Sozialist«, weil es eigentlich selbstverständlich sei, daß Sozialismus nur national sein könne. Deshalb müsse man das nicht extra dazu sagen. Diejenigen, die sich heute als Sozialisten bezeichnen, seien aber in Wirklichkeit »Internationalisten«. Nach eigenen Angaben ist Gerlach zur Zeit nicht politisch aktiv, sieht wenig Sinn darin und kümmert sich um seine Familie – seine Einstellung habe sich aber nicht geändert.
Zu seiner früheren Selbstbezeichnung als »Hammerskin« wollte er sich vor Gericht nicht äußern. Zunächst gab er vor, es gebe in dieser Gruppierung eigentlich gar keinen Mitgliedsstatus. Dann erklärte er auf Nachhaken des Vorsitzenden Richters: »Mein an mich selbst gestelltes Wertegefühl verbietet mir, da hier darüber zu reden.« Götzl unterbrach schließlich die Vernehmung, um ihm Bedenkzeit zu geben, obwohl Gerlach schon ankündigte, dies werde nichts an seiner Haltung ändern. Dabei blieb es erwartungsgemäß. Götzl setzte dann aber zunächst die Befragung fort, ohne die vorherige Androhung von Ordnungsmitteln wieder aufzugreifen.
* Aus: junge Welt, Mittwoch 2. Juli 2014
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