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Keine Namen im Kopf

NSU-Prozeß. Frühe Helferin Mandy S. sagt vor Gericht aus. Hat sie ihre Rolle beim Abtauchen des Terrortrios heruntergespielt?

Von Claudia Wangerin, München *

Eine Aussageverweigerung der Frau, die der Hauptangeklagten ihre Identität geliehen hatte, lag durchaus im Bereich des Möglichen. Doch Mandy S. hat sich entschieden, als Zeugin im Prozeß um die Mord- und Anschlagsserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) Fragen zu beantworten. »Ich möchte gerne aussagen«, erklärte die 38jährige Friseurin am Mittwoch [26. Feb.] vor dem Oberlandesgericht München. Sie wolle aber gleich vorher sagen, daß es »wirklich sehr lange her« sei. Gemeint sind Erinnerungslücken, auf die sie sich später immer wieder beruft.

So will ihr nicht mehr einfallen, mit welchen Namen sich die drei Personen vorstellten, die sie 1998 in der Wohnung ihres Freundes Max Florian B. untergebracht hatte. Ein Bekannter habe bei ihr geklingelt und nur erklärt, die drei »Kameraden« hätten »Scheiße gebaut« und bräuchten eine Übernachtungsmöglichkeit. »Mehr müßten wir nicht wissen.« Als der Vorsitzende Richter Manfred Götzl meint, das seien ja schon sehr spärliche Informationen, erklärt die Zeugin, sie selbst habe auch schon zweimal auf der Straße gestanden, da habe ihr auch jemand geholfen. Sie habe nicht genauer nachgefragt: »Da ich ja selber in der rechten Szene war, und es ist halt ein Kamerad von mir war.« Sie selbst habe das Trio erst gesehen, als die »Kameraden« es schon in der Wohnung ihres Freundes untergebracht hatten. »Sie haben eigentlich einen sehr friedlichen, netten Eindruck gemacht«, sagte sie zuerst über alle drei Personen. Wenig später erklärte sie, einer der beiden Männer habe böse ausgesehen. Er habe nichts Böses gesagt, es sei nur so ein Gefühl gewesen. Den »Netteren« habe sie womöglich vorher schon einmal in Jena gesehen.

»Es war halt noch ein Mädchen dabei«, sagte sie über die Frau, die sie später nicht wiedererkannt haben will. Sie habe eine sehr sympathische Art gehabt, sei freundlich auf einen zugegangen. »Klein, Lockenkopf, so schulterlanges Haar«, beschrieb sie die mutmaßliche Neonaziterroristin. »Niedlich halt. Auf ihre Art und Weise habe ich sie niedlich in Erinnerung.« Obwohl sie angeblich nicht mehr weiß, mit welchen Namen sich die drei Personen vorstellten, will Mandy S. mit der Frau über ihren »Beziehungsstreß« mit Max Florian B. gesprochen haben, als dieser sich weigerte, mit ihr zu reden. Er sei der Meinung gewesen, sie sei fremdgegangen – und sie habe ihm erklären wollen, daß das so nicht stimme. Die Frau sollte dabei vermitteln, sie habe sich aber heraushalten wollen, erklärte die 38jährige. Als die Frau weinend mit Bauchkrämpfen auf dem Sofa gelegen habe, lieh sie ihr ihre Krankenversicherungskarte – »damit sie zum Frauenarzt gehen kann«. Wenige Tage später habe sie die Karte wie vereinbart in ihrem Briefkasten gefunden. Pässe für die beiden Männer – einer davon auf den Namen von Max Florian B. – habe sie bei der Stadtverwaltung in Chemnitz abgeholt. Sie habe aber nicht mitbekommen, wie sie beantragt wurden.

Seit 1998 will sie keinen Kontakt mehr zu den Personen gehabt haben, die 2011 als Kerntrio des NSU bekannt wurden. Sie könne sich auch heute nicht mehr vorstellen, daß sie Max Florian B. nicht gefragt habe, ob sie die Personen in seiner Wohnung unterbringen dürfe. Ihrer Erinnerung nach sei er sogar bei ihr gewesen, als danach gefragt wurde – sie wisse aber, daß er bei der Polizei ausgesagt habe, er sei auf einem Konzert gewesen.

Die Pressebank war gut gefüllt, unter den Medienvertretern auch Stern-Journalistin Lena Kampf, der es kurz zuvor gelungen war, mit Mandy S. ins Gespräch zu kommen, indem sie sich von ihr die Haare schneiden ließ, nachdem die mutmaßliche NSU-Helferin zahlreiche Interviewanfragen abschlägig beschieden hatte. Kampfs Eindruck: Die Frau spiele ihre Rolle herunter, sie stelle sich als Anhängsel dar, das sich in der rechten Szene von starken Männern beschützt gefühlt habe – bis ihr klargeworden sei, daß es dabei auch um Kontrolle ging. Dabei war Mandy S. immerhin als Mitautorin eines ideologischen Artikels im Blood&Honour-Fanzine Landser aufgetaucht.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 27. Februar 2014


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