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Lücken in der Akte Eminger

NSU-Prozeß. Mitangeklagter Neonazi wegen gelöschter Daten unter V-Mann-Verdacht

Von Claudia Wangerin *

Ein Jahr lang war der Mitangeklagte André Eminger kaum Thema im Münchner Prozeß um die rechte Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU). Die einzige nennenswerte Aktivität, die seine Verteidiger entfalteten, war der im Sommer 2013 vom Gericht abgelehnte Antrag, ihn von der Anwesenheitspflicht zu befreien. Es könnten jederzeit Sachverhalte zur Sprache kommen, die auch ihn beträfen, hieß es damals zur Begründung. Dem 35jährigen Neonazi wird Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nach Paragraph 129a vorgeworfen – zum mutmaßlichen Kerntrio des NSU hatte er bis zum Bekanntwerden der Gruppe im November 2011 Kontakt. Knapp drei Wochen später kam er vorübergehend in Untersuchungshaft, weil er unter anderem verdächtigt wurde, maßgeblich an der Produktion des zynischen Paulchen-Panther-Bekennervideo zu neun rassistischen Morden und zwei Sprengstoffanschlägen mitgewirkt zu haben. Erhärten ließ es sich nicht. Vor seiner Festnahme konnte der Vater von zwei Kindern, der sich vor einiger Zeit »Die, Jew, Die« (»Stirb, Jude, stirb«) auf den Bauch tätowieren ließ, allerdings erhebliche Datenmengen von seinem Computer löschen. Seine Gesinnung zeigt er nach wie vor offen. Erst am 21. Mai stand er wegen eines gewaltverherrlichenden Motivs auf seinem Kapuzenpullover im Mittelpunkt – nachdem Nebenklagevertreter das Kleidungsstück mit dem Bild eines Vermummten mit zwei Sturmgewehren und dem Schriftzug der rechtsextremen Black-Metal-Band »Satanic Warmaster« sicherstellen lassen wollten, ordnete das Gericht an, es zu fotografieren.

Eine Woche später haben Anwälte der Nebenklage nun die Frage aufgeworfen, ob Eminger V-Mann des Bundeskriminalamtes (BKA) gewesen sein könnte. Anlaß waren Unregelmäßigkeiten bei der Auswertung seiner Telefondaten. Kriminalbeamte sagten am Mittwoch im Zeugenstand, sie könnten nach Auswertung Tausender Handyverbindungsdaten viele Telefonate und SMS zwischen Eminger und der Hauptangeklagten Beate Zschäpe nachweisen. Die Spezialisten des BKA und der bayerischen Polizei hatten sich auf die letzten Monate vor dem 4. November 2011 konzentriert, als Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in dem brennenden Wohnmobil in Eisenach starben und Zschäpe in Zwickau die gemeinsame Wohnung in Brand setzte und floh. Am Nachmittag dieses Tages habe Eminger drei Anrufe von einem Handy bekommen, das mutmaßlich Zschäpe genutzt habe, so ein BKA-Beamter. Zwei weitere Anrufe seien von ihm ausgegangen.

Nach dem 4. November 2011 waren aber nahezu alle Daten bis zum 11. November von Emingers Handy gelöscht. Das ging aus einer Auswertung des BKA aus den von der forensischen Abteilung gewonnenen »Rohdaten« hervor. Eine Spezialeinheit der Bundespolizei hatte in Amtshilfe für das BKA von einem der Handys die Daten ausgelesen. Als das erfolgt war, soll von seiten des BKA sofort die Anweisung zum Löschen dieser Dateien auf dem Rechner der Bundespolizei ergangen sein. Einer der Ermittler stellte dies als normale Anweisung dar. Nebenklageanwalt Sebastian Scharmer hakte nach. Es sei nicht klar, ob sich in den Prozeßakten wirklich alle Daten befinden. Auf die Nachfrage an einen der Experten, ob er wisse, ob der Angeklagte Eminger eine Vertrauensperson des BKA gewesen sei, antwortete dieser, das wisse er nicht.

* Aus: junge Welt, Freitag 30. Mai 2014


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