Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Im Netz des NSU – der Dortmunder Knoten

Alles nur Zufall? Nein, sagen einige Opferanwälte und machen den Job der Bundesanwaltschaft

Von René Heilig *

In dieser Woche sind im Münchner NSU-Verfahren die Verhandlungstage 157 bis 159 angesetzt. Zeugen sind ein Verfassungsschützer und ein Neonazi. Neue Erkenntnisse sind also kaum zu erwarten.

Wenn Antonia von der Behrens den Mikrofonknopf bedient, versetzt sie zugleich die im NSU-Verfahren Angeklagten sowie ihre Verteidiger in eine Habachtstellung. Die Rechtsanwältin vertritt mit Kollegen die Interessen der Familie Kubasik. Mehmet Kubasik betrieb einen Kiosk in der Dortmunder Nordstadt. Er war am 4. April 2006 vermutlich das achte Opfer des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU).

Am vergangenen Donnerstag stellte von der Behrens so wie ihr Kollege Sebastian Scharmer mehrere »Beweisermittlungsanträge«. Damit die Ermittler des Generalbundesanwaltes nicht lange suchen müssen, benannten die Nebenklagevertreter zu vernehmende Zeugen samt Adresse.

Da ist zum einen Marko Norbert G. Er ist Sänger der 1995 gegründeten Dortmunder Neonaziband »Oidoxie«, die eine große Combat-18-Affinität besitzt. Combat 18 ist so eine Art bewaffneter Arm der verbotenen Blood&Honour-Bewegung. Die wiederum sorgte sich intensiv um die drei untergetauchten Jenaer Bombenbauer Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Vermutlich nicht nur in Thüringen und Sachsen.

Marko G. hat zusammen mit Sebastian S. um das Jahr 2006 herum eine Combat-18-Truppe aufgebaut. Man studierte die »Turner Tagebücher« – das ist eine Art Anleitung für Neonazi-Untergrundzellen –, beschaffte in Belgien Waffen. G. war neben Sigfried Borchardt – genannt SS-Siggi – eine zentrale Figur der »Kameradschaft Dortmund«. Der nun kommunalpolitisch aktive »SS-Siggi« hatte über das »Aktionskomitee Rudolf-Hess-Tag« Kontakte zum Chef des Thüringer Heimatschutzes und Verfassungsschutzspitzel Tino Brandt. Beide sind vertraut mit dem Kroatiensöldner Torsten H., der Kontakte zu Kameraden unter anderem in Südafrika hatte. Marko G. wiederum stellte nach Erkenntnissen des Polizeipräsidiums Dortmund die Verbindung zum belgischen Blood&Honour Flandern sicher. Auch nach Skandinavien, in die Schweiz und nach Österreich reichte das Nazi-Terror-Netz, das in Dortmund einen Knoten hatte.

Das Thüringer NSU-Trio verfügte über auffällig viele Dortmunder Ausspähnotizen. Auf einem Stadtplan ist zum Tatort in der Nordstadt vermerkt: »Wohngebiet wie Mühlheim Köln«. In Köln-Mühlheim liegt die Keupstaße. Man erinnert sich an den dem NSU zugeschrieben Bombenanschlag im Jahr 2004.

In den Beweisermittlungsanträgen werden Neonazis benannt, die in unmittelbarer Nähe des Kubasik-Kiosk gewohnt haben. So wie Toni S. Der stand als »VP Barte« auf der Lohnliste des Brandenburger Verfassungsschutzes. Offenbar wurde nie überprüft, ob er um die Tatzeit herum in der Nähe des Tatorts war. Genannt ist Thomas Starke. Der Zschäpe-Freund und Quartiermacher für das NSU-Trio lebte mehrere Jahre bei Dortmund – was das Berliner Landeskriminalamt womöglich gar nicht freut, weil es den Ausländerhasser als Quelle führte. Starke, so lässt sich aus dem von der Thüringer Zielfahndung abgegriffenen Kommunikationsverkehr herleiten, wusste sehr genau, was die späteren mutmaßlichen NSU-Mörder Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe in Chemnitz trieben.

Als möglicher Zeuge ist – unterstützt von anderen Nebenklagevertretern – auch ein Sebastian S. genannt. Der gehörte zu G.s Combat-18-Zelle. Und er war – obgleich 20-fach vorbestraft – V-Mann des NRW-Verfassungsschutzes, der seine Quelle, die offenbar auch mit Rauschgift dealte, vor Durchsuchungen der Bielefelder Polizei gewarnt hat.

Sebastian S. war im Dezember 2011, also unmittelbar nach dem Auffliegen des NSU im November, vom Dortmunder Staatsschutz befragt worden. Dazu holte man ihn aus dem Knast und fütterte ihn bei McDonalds in Bielefeld durch. Ein paar Tage später deutete S. an, möglicherweise etwas zu zwei Tatwaffen des NSU sagen zu können. Die aufgebohrte Schreckschusswaffe Bruni wurde in München und Hamburg benutzt, die TT 33 beim Polizistenmord in Heilbronn. Offenbar hat man das Angebot nicht angenommen. Zumindest finden sich bisher dazu keinerlei Akten. Obwohl S. auch angegeben hat, wer für einen Umbau der Waffen infrage kommt. Dieser Fred S. hat eine Haftstrafe verbüßt, weil er im Suff jemanden erschossen hat. Sebastian S. wusste auch zu berichten, dass Fred S. eine Radom-Pistole besitzt. Eine Waffe dieses Fabrikats wurde ebenfalls in Heilbronn verwandt.

Doch Sebastian S. ist für das Gericht nicht nur als Waffenexperte interessant. So wie Marko G. kann er über Robin S. berichten. Das ist jener Knasttyp mit Combat-18-Tatoo, der Beate Zschäpe eine Karte schrieb und einen 26-seitigen recht persönlichen Brief zurückbekam. Wie lange kennen sich die beiden wirklich?

Robin S. und Marco G. waren in Kontakt mit Michael F., einer einstigen Nazigröße in Kassel. Das liegt 200 Kilometer von Dortmund entfernt. In Kassel wurde Halit Yozgat erschossen – zwei Tage nachdem Mehmet Kubasik starb. Michael F. erinnert sich, Mundlos und Böhnhardt sollen bei einem Nazi-Treff in Kassel zum Oidoxie-Hit »Terrormachine« ausgeflippt sein. Zwei Wochen vor den Morden in Dortmund und Kassel. Sebastian S. gehörte damals im Klubhaus der »Bandidos« angeblich zum Saalschutz. Ein Benjamin G. will auf dem Konzert gewesen sein und hat davon seinem V-Mann-Führer berichtet. Das soll der Verfassungsschützer Andreas Temme gewesen sein. Dieser in seiner Jugend »Klein Adolf« genannte Möchtegern-Rocker saß zur Mordzeit in Yozgats Internetcafé. Zufällig.

* Aus: neues deutschland, Montag, 10. November 2014


Zurück zum NSU-Prozess

Zum NSU-Prozess (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage