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Die Abschirmer und die Ablenker

Der NSU-Prozess geht weiter - mit 3+1 Zschäpe-Pflichtverteidigern

Von René Heilig *

Beate Zschäpe hat »heute das erste Mal richtig gestrahlt«, bemerkte Gül Pinar, eine der Nebenklagevertreterinnen. Nach aller Aufregung scheint das unterm Strich die bleibende Nachricht des Tages zu sein.

Was am Montagmorgen wie die finale Eskalation des Konfliktes zwischen der Angeklagten Beate Zschäpe und ihren Verteidigern Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm wirkte, fiel am Nachmittag in sich zusammen. Zu Verhandlungsbeginn hatte Heer auch namens seiner Kollegen um die »Aufhebung der Bestellung« als Pflichtverteidiger gebeten. Grund: Eine optimale Verteidigung sei nicht mehr gewährleistet. Mehr wollte er mit Hinweis auf seine anwaltliche Verschwiegenheitspflicht nicht erklären. Doch irgendetwas muss es vor Verhandlungsbeginn im NSU-Prozess gegeben haben, das das randvolle Misstrauensfass zum überlaufen brachte.

Mehrfach habe er ihn darauf hingewiesen, dass das Verfahren gefährdet sei, warf Heer dem Vorsitzenden Richter Manfred Götzl vor. Doch der habe ja die Warnungen »in den Wind geschlagen«. Götzl, der Heers Sticheleien inzwischen locker wegsteckt, unterbrach die Verhandlung. Vorerst für eine halbe Stunde. Die dauerte dann bis gegen 15.30 Uhr. Dann verkündete Richter Götzl: Antrag abgelehnt!

So war es insbesondere von den Vertretern der Nebenklage auch erwartet worden. Denn ein Aussetzen des Prozesses, also einen Neustart und die denkbare Entlassung der Angeklagten Beate Zschäpe sowie Ralf Wohlleben aus der Untersuchungshaft - die anderen drei Angeklagten sind frei - wollten und konnten sich die Vertreter der Opfer nicht vorstellen. Zudem sieht das Gesetz die Mandatsniederlegung eines Pflichtverteidigers nicht vor. Zwar gibt es Fälle, in denen es dazu kam, doch nur dann, wenn das Vertrauensverhältnis zum Mandanten so »nachhaltig erschüttert« war, dass eine Verteidigung objektiv unmöglich wurde.

Zwar stimmt es, dass die Angeklagte im Juni bereits die »Entbindung« von Anja Sturm beantragt hatte, doch Götzl stimmte dem nicht zu. Stattdessen berief er Mathias Grasel zum vierten Pflichtverteidiger. Zschäpe bespricht sich jetzt nur noch mit ihm. Grasel bietet sich überdies als Sitzpuffer zwischen den drei Kollegen und der Mandantin an. Damit seien seine Qualitäten ausgereizt, lästern anwesende Juristen. Dass Heer, Stahl und Sturm sich zurückgesetzt fühlen, ist logisch. Immerhin haben sie Zschäpe über zwei Jahre hinweg abgeschirmt - vor Kameras und Fragen.

Mit dem Auftreten von Grasel hatten manche Prozessbeobachter einen Wandel der Verteidigungsstrategie erhofft. Wird Zschäpe ihr Schweigen brechen? Gegenüber Götzl hatte sie vage erklärt, »da ich mich durchaus mit dem Gedanken beschäftige, etwas auszusagen«, sei eine weitere Zusammenarbeit mit Heer, Stahl und Sturm »unmöglich«.

Eine vollständige Aussage der NSU-Frau wäre nicht nur für den Fortgang des dahindümpelnden Prozesses wichtig. Auch die ausstehende Aufklärung des damaligen und weiter aktuellen Terrorumfeldes könnte profitieren. Schließlich führt die Bundesanwaltschaft - mit Hilfe des Bundeskriminalamtes (BKA) - ein sogenanntes Strukturermittlungsverfahren. »Gegen Unbekannt«. So, wie ermittelt wird, bleiben die weiteren NSU-Täter und Unterstützer unerkannt und unbelangt. Die Strafverfolger, so verstärkt sich der Eindruck, wollen mehr vom NSU ablenken als seine Strukturen, die womöglich in den Staat hineinwirken, aufzudecken.

Laut Bundesregierung sind im Zuge des Verfahrens bislang nur 112 Personen vernommen worden. Trotz zahlreicher Auslandsbeziehungen des NSU-Netzwerkes wurde nur ein Mann in Polen befragt. Man lud lediglich drei V-Leute des Verfassungsschutzes und offensichtlich nur wenige Mitarbeiter des Bundesamtes, darunter drei Verbindungsführer von Nazispitzeln und drei Referatsleiter, zum Gespräch. Auch zeigte man wenig Eifer bei Durchsuchungen. Es gab nur drei. Zwei standen im Zusammenhang mit dem überraschenden Tod des einstigen V-Mannes »Corelli« im April 2014.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 21. Juli 2015


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