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Der Liebhaber schweigt

NSU-Prozeß: Zschäpes Exfreund aus dem »Blood & Honour«-Netzwerk verweigert die Aussage. BKA-Beamter schildert Vernehmung des V-Mannes

Von Claudia Wangerin, München *

Wenn im Münchner NSU-Prozeß ein ehemaliger V-Mann ohne behördlich bezahlten Zeugenbeistand vor dem Oberlandesgericht erscheint, können alle im Saal davon ausgehen, daß er die Aussage vollständig verweigern wird. Für den 46jährigen Thomas Müller, ehemals Starke, war es einerseits naheliegend, sich auf dieses Recht zu berufen, da er wegen Unterstützungshandlungen für das mutmaßliche Kerntrio des »Nationalsozialistischen Untergrunds« noch als Beschuldigter geführt wird. Andererseits hatte er Anfang 2012 gegenüber Polizeibeamten umfangreiche Angaben gemacht und sich auch in einem Interview sehr mitteilungsbedürftig gezeigt. Tenor: Seine Schwäche für die heutige Hauptangeklagte Beate Zschäpe habe in den 1990er Jahren dazu geführt, daß er dem Trio Sprengstoff besorgt habe, um sie zu beeindrucken. Aus der Affäre, die er von Ende 1996 bis April 1997 mit ihr gehabt habe, sei aber nicht mehr geworden, da sie ständig mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt unterwegs gewesen sei, sagte Starke im Herbst 2012 der Berliner Morgenpost. Prozeßbeobachter hatten schon Wetten abgeschlossen, ob der frühere sächsische »Blood & Honour«-Aktivist und zeitweilige V-Mann des Berliner Landes­kriminalamts (LKA) im Zeugenstand weiter die Rolle des enttäuschten Liebhabers spielen würde. Doch er gab nur seine Personalien an. Erst kürzlich muß er geheiratet haben, auf der Ladungsliste stand der gelernte Installateur noch als Starke.

In polizeilicher Vernehmung hatte er auf mehrmalige Nachfrage Uwe Mundlos als denjenigen benannt, der den Sprengstoff bei ihm bestellt habe. Das Trio habe damals Gewalt und militante Aktionen abgelehnt und mit dem Sprengstoff nach seiner Kenntnis nur »experimentieren« wollen, sagte Starke im Januar 2012 im Beisein eines Kriminalhauptkommissars, der am Mittwoch als Zeuge vor Gericht befragt wurde. Das Protokoll des Bundeskriminalamts (BKA) habe Starke handschriftlich an mehreren Stellen korrigiert oder ergänzt. Anfangs hatte er nach Aussage des Kommissars noch versucht, bestimmte Dinge zu verschweigen – und das, nachdem das Berliner LKA ihn ab 2000 gut zehn Jahre lang als Informanten geführt hatte. Das wußten die BKA-Beamten bei der Vernehmung aber – zumindest offiziell – noch nicht. Der Polizeizeuge sagte vor dem Oberlandesgericht München, dank Jörg Winter, eines Bekannten aus dem »Blood & Honour«-Netzwerk, habe Starke 1996 oder 1997 nach eigener Aussage tatsächlich Sprengstoff besorgen können. Das Päckchen in der Größe eines Schuhkartons habe Mundlos am nächsten Tag abgeholt.

Vieles deutet darauf hin, daß Starke in der BKA-Vernehmung seine Rolle in der Szene und seine Stellung gegenüber dem deutlich jüngeren Trio heruntergespielt hat. Zum Zeitpunkt des Kennenlernens auf einem Konzert der Band »Oitanasie«, den Starke auf 1991 oder 1992 datierte, waren Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe noch im Teenageralter, er selbst aber mindestens 23. Als er später eine Haftstrafe absitzen mußte, hätten ihm »die drei Jenaer« Briefe geschrieben und aus Spenden finanzierte Geschenke zukommen lassen. Ein »nationaler Gefangener« also, der die moralische Unterstützung jüngerer Kameraden genoß und nach seiner Haftentlassung ein »Techtelmechtel« mit einer Frau aus diesem Unterstützerkreis hatte. Die ständige Anwesenheit der »beiden Uwes« bei den Treffen mit Zschäpe ging ihm nach Aussage des BKA-Beamten »auf den Zeiger«.

Zur politischen Einordnung sagte Starke einerseits dem BKA, im Gegensatz zu ihm seien alle drei keine Mitglieder des später verbotenen Netzwerks »Blood & Honour« gewesen und hätten daher nicht an allen Veranstaltungen teilnehmen dürfen. Andererseits gab Starke an, das Trio sei politisch interessierter gewesen als er und sein Chemnitzer Freundeskreis, dem es eher um Feiern und Konzerte gegangen sei. Zschäpe sei damals »ruhig und verschlossen« gewesen. »Alkohol und Drogen waren ein rotes Tuch für sie.« Aber: »Bei rechten Themen wurde sie munter.« Nach Starkes Aussage sympathisierte sie zeitweise deutlich mit der NPD. Alle drei »Jenaer« seien wiederum begeistert von Tino Brandt, dem Verfassungsschutzinformanten und Anführer des »Thüringer Heimatschutzes«, gewesen. Nach dem Untertauchen der drei »Bombenbastler« 1998 besorgte ihnen Starke Übernachtungsmöglichkeiten. Heute werden Zschäpe und den inzwischen toten Uwes zehn Morde und auch mehrere Sprengstoffanschläge mit über 20 Verletzten zur Last gelegt.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 3. April 2014


Springer und die Zschäpe

100 Tage Personenkult um die Hauptangeklagte im NSU-Prozeß Von Claudia Wangerin **

Die Welt konnte es am 1. April nicht lassen, meinte es aber durchaus ernst: »Am Tag 100 ihres Mordprozesses trägt Beate Zschäpe Piraten-Ringel, ein Shirt mit schmalen Querstreifen. Im zurückgesteckten Haar glitzert eine Spange. Beate Zschäpe hat sich schick gemacht, aber nicht büroschick wie am 6. Mai 2013 bei ihrem ersten Auftritt im Münchner Justizzentrum, sondern lässig-schick.« Auf die neuerliche Stilkritik an der Hauptangeklagten folgte eine ausführliche Rechtfertigung, »für jene Medien, die Zschäpes Garderobe allzuviel Aufmerksamkeit gewidmet hatten«, als der Prozeß um die Mord- und Anschlagsserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« vor knapp einem Jahr begonnen hatte. Dafür habe es »gehörig Schelte gegeben«, hieß es in der Springer-Zeitung. Doch: »Was hätte damals auch noch mitgeteilt werden können, das noch nicht beschrieben war? Noch vor Auftakt des Prozesses waren alle Ermittlungsakten durchgestochen und medial ausgeschlachtet, alle Opfer und Hinterbliebenen befragt, die Unterschlüpfe und möglichen Helfer ausgeleuchtet.«

Die weniger zimperliche Bild, die ebenfalls im Axel-Springer-Verlag erscheint, hatte ihren Lesern nach gut zweieinhalb Verhandlungmonaten im Juli 2013 noch die Schlagzeile »Wo hat die Zschäpe ihre Klamotten her?« gegönnt. »Fast jeden Tag trägt die 1,66 Meter große Frau ein anderes Outfit«, hieß es unter der Fotostrecke des Blattes, das von Tag eins der Verhandlung auf der Titelseite mit dem Covergirl Zschäpe berichtet hatte: »Der Teufel hat sich schick gemacht.« Am 24. Oktober, nach 50 Verhandlungstagen, hatten die Outfits dann doch begonnen, sich zu wiederholen. Da tönte Oliver Grothmann: »So erlebte ich, der Bild-Reporter, die Nazibraut.« Sein großes Thema war nun das Schweigen der Hauptangeklagten, das für die Angehörigen der Opfer schwer zu ertragen ist, was Grothmann am Beispiel der Mutter von Halit Yozgat betonte. Ayse Yozgats Appell, dieses Schweigen zu brechen, war für viele Prozeßbeobachter tatsächlich einer der eindrucksvollsten Momente gewesen. Wer aber fest davon ausgeht, daß Beate Zschäpe schuldig im Sinne der Anklage als gleichberechtigte Mittäterin ist, hatte schon reichlich Gelegenheit, die Bezeichnung »Nazibraut« zu überdenken. Das Wort, mit dem Frauen in der rechten Szene als private Anhängsel politischer Aktivisten dargestellt werden, ist schon lange vor Prozeßbeginn als verharmlosend kritisiert worden. Doch an solchen sprachlichen Feinheiten soll Springers Personenkult um Beate Zschäpe nicht scheitern. Daß neben der angeblich einzigen Überlebenden des NSU vier mutmaßliche Helfer vor Gericht stehen, wird dabei ebenso hintan gestellt wie die Rolle staatlicher Akteure und der für Strafprozesse eher untypische Dauerkonflikt zwischen Bundesanwaltschaft und Nebenklage. »Sie haben kein Interesse, die terroristische Struktur des NSU aufzuklären«, sagte Rechtsanwältin Gül Pinar anläßlich des 100. Verhandlungstags dem Hamburger Abendblatt. »Die Staatsanwälte deckeln die Aufklärung.« Wer unter diesen Umständen allzu sehr auf Beate Zschäpe fixiert ist, beteiligt sich an einer symbolischen Teufelsaustreibung. Egal, wie schick der Teufel ist.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 3. April 2014


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