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Plaudertasche Zschäpe

Im NSU-Prozeß wurden Polizisten befragt, die die mutmaßliche Neonaziterroristin auf einem Gefangenentransport begleiteten. Dort zeigte sie sich gesprächig

Von Sebastian Carlens, München *

Wie ist mit einer Verdächtigen umzugehen, die den Ermittlern gegenüber schweigt? Hartnäckig bleiben, könnte sich das Bundeskriminalamt (BKA) im Falle Beate Zschäpe gedacht haben. Am 18. Verhandlungstag im Prozeß gegen den »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) befragte das Münchner Oberlandesgericht unter Richter Manfred Götzl weiterhin Polizisten, die mit Zschäpe nach ihrer freiwillig beendeten Flucht zu tun hatten. Ihnen gegenüber zeigte sich die sonst schweigende Angeklagte stellenweise auskunftsfreudig (jW berichtete). Kein Wunder also, daß die Gesprächsnotizen das besondere Interesse des Gerichts und den Unmut ihrer Verteidiger wecken. Am Mittwoch war ein Erster Hauptkommissar des BKA vorgeladen, der Zschäpe am 25. Juni 2012 während einer Gefangenenüberführung von der Justizvollzugsanstalt (JVA) Köln in die JVA Gera begleitete. Während der Hin- und Rückfahrt, die der Inhaftierten bewilligt worden war, um in ihrer Heimatregion einen Besuch ihrer kranken Großmutter zu ermöglichen, entspann sich ein insgesamt fast achtstündiges Gespräch. Der BKA-Beamte und eine anwesende Kollegin verfaßten dazu später ein Gedächtnisprotokoll.

Erfreulich unkompliziert gestaltete sich die Aussagegenehmigung des hochrangigen Beamten: »Die werden bei uns nicht mehr unterschrieben«, erläuterte er den Richtern: »Die druckt man sich einfach selbst aus, das ist eine Blankogenehmigung.« Nach den quälenden Hinhaltetaktiken, denen sich der NSU-Untersuchungsausschuß des Bundestags mit Verweis auf eben jene Aussagegenehmigungen ständig ausgesetzt sah, war das Gelächter auf der Presse- und Zuschauertribüne nach dieser Erklärung groß. Zschäpe, die frühzeitig ankündigte, von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen, war vor der Fahrt nach Gera darauf hingewiesen worden, daß über etwaige Unterhaltungen mit den Beamten eine Notiz angefertigt werde. Vom Plaudern hielt sie das nicht ab – sie wisse, was sie sagen dürfe und was nicht, erklärte sie den Polizisten.

Die Stimmung im VW-Bus sei locker und entspannt gewesen; Zschäpe habe sich auf den Besuch ihrer Oma gefreut, so der BKA-Beamte. Nur die Furcht, daß die Presse Wind von der Fahrt bekommen haben könnte, habe sie umgetrieben. Ein Thema, das die Angeklagte häufiger beschäftigt: Bei der Lektüre der Süddeutschen Zeitung, die sie in der Untersuchungshaft abonniert habe, seien ihr wiederholt abgedruckte Teile der Ermittlungsakten über sie aufgefallen, habe sie während der Fahrt erzählt. Dies hätte sie »nachhaltig erbost«. Auch einen Verdacht äußerte Zschäpe gegenüber den Beamten: Ihr eigener Verteidiger Wolfgang Heer habe »hervorragende Beziehungen« zu Herrn Leyendecker von der Süddeutschen. Heer habe ihr sogar ein kostenloses Jahresabo der Zeitung in Aussicht gestellt. Doch Zschäpe will dies abgelehnt haben. Anwalt Heer habe bestritten, die Dokumente durchgestochen zu haben, berichtete sie im Gespräch mit den Polizisten. Doch der Unmut über ihren Verteidiger sei damit nicht erschöpft gewesen: Heer habe außerdem ihre Mutter gedrängt, einem seiner Bekannten, dem Journalisten John ­Goetz, ein Interview in der ARD-Sendung »Panorama« zu geben. Goetz ist häufiger Koautor Hans Leyendeckers in der SZ, beide haben großformatige Artikel zum Thema NSU verfaßt. Im »jetzigen Stadium« des Verfahrens würde sie ihren Verteidiger aber wohl kaum noch loswerden, gab der Beamte Zschäpes Worte vom Juni 2012 wieder. Daher wolle sie ihr Recht auf einen dritten Anwalt in Anspruch nehmen, zumal ihr zweiter Verteidiger Wolfgang Stahl sowieso »immer die gleiche Meinung« wie Heer vertrete. Anwältin Anja Sturm komplettierte schließlich das Verteidigerteam.

Der BKA-Beamte, der Zschäpe auf der Fahrt begleitete, könne gezielt ausgewählt worden sein, um ihrer schweigenden Mandantin doch noch etwas zu entlocken – diese Vermutung äußerten Zschäpes Anwälte und widersprachen der Verwertung der Aussage des Polizisten. Sturm bezeichnete ihn als »fröhlichen Rheinländer, der ganz gut reden kann« – doch saß er als Lockvogel im Polizeiwagen? Der freundlich und redselig auftretende ältere Beamte konnte diesen Eindruck nicht ganz zerstreuen: Bei konkreter Nachfrage, warum er als Begleitperson ausgewählt worden sei, griff dann doch die Aussagegenehmigung: Zu Polizeitaktiken dürfe er hier nichts sagen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 4. Juli 2013


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