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Wichtigster Erfolg: Routine

Das Münchner NSU-Verfahren macht Sommerpause

Von René Heilig *

Im sogenannten NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München fand gestern der letzte Verhandlungstag vor der Sommerpause statt. Es war der 32. Der Prozess ist nach anfänglichen medialen Aufgeregtheiten und juristischen Scheinkämpfen in Routine versunken. Das kann hilfreich sein.

Die NSU-Prozessroutine hat vor allem dazu geführt, dass falsche Erwartungen in Richtung gesellschaftlicher Aufarbeitung des Rechtsterrorismus verebbt sind. Dazu kann ein Gericht nur begrenzte Beiträge liefern. In München geht es um die individuelle Schuld von Beate Zschäpe als mutmaßlichem Mitglied der sogenannten Zwickauer Zelle sowie um die Tatbeiträge von vier Unterstützern des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU).

Eigentlich sind 14 Fälle zu verhandeln: zehn Morde vor allem aus rassistischen Motiven, zwei Bombenattentate, eine Brandstiftung, diverse Raubüberfalle. Gestern war als Zeuge ein Rechtsmediziner geladen, der die Leiche des 25-jährigen Mehmet Turkut untersucht hatte. Der junge Türke war 2004 in einer Rostocker Döner-Imbissbude hingerichtet worden. Zudem waren sechs Polizisten bestellt, die ab 2005 im Mordfall Ismail Yasar in Nürnberg ermittelten.

Wer geglaubt hatte, dass der Prozess wie ursprünglich geplant Anfang 2014 enden würde, ist eines Besseren belehrt worden. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hat jüngst Termine bis Ende Dezember 2014 festgelegt. Das spricht für die Gründlichkeit des bisweilig schroffen Juristen. Die kann man Götzl, der routiniert das Geschehen im Schwurgerichtssaal 101 lenkt, nicht absprechen. Die Besucher- und Presseplätze im Saal sind übrigens – wider alle Befürchtungen – weiterhin gut besetzt. Mitunter von Neonazis, die den angeklagten Kameraden den Rücken stärken.

Es ist selbst für ständige Beobachter nicht immer einfach, der Logik des Verfahrens zu folgen. Oft gibt es die nicht. Weder chronologisch noch sachlich. Die Beweisaufnahme wechselt bisweilen mehrmals am Tag die Fälle. Viele der fast 60 Nebenkläger stören sich an diesem Versuch eines vermeintlichen Effektivitätsgewinns. Ihrem Wunsch, die Tatkomplexe nacheinander zu behandeln, mag der Senat nicht folgen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich der bei den Nebenklägern angestaute Unmut über zu wenige Antworten auf zu viele Fragen entlädt.

Den Vertretern der Bundesanwaltschaft dagegen ist das egal, solange ihre bisweilen inhaltlich schwache Anklage Bestand hat. Dass das so ist, beklagt manch Verteidiger der Neonazis. So richtig sind die noch nicht »ins Geschäft « gekommen. Anfangs drehte sich vieles um die Aussagen von Carsten Schultze und Holger Gerlach. Beide haben sich erklärt, der ehemalige Neonazi-Funktionär Schultze, der unter anderem als Bote der Ceska-Mordwaffe unterwegs war, stellte sich auch Befragungen. Beide versuchen natürlich, ihre Verbrechen kleinzureden. Mit mäßigem Erfolg. Daher hat sich Gerlach aufs Schweigen verlegt. So wie die Angeklagten André Eminger und Ralf Wohlleben, dessen Drahtzieherschaft als NSUUnterstützer auf verschiedene Art deutlich wurde.

Kaum angenähert hat sich der Senat bislang dem Innenleben der Terrorgruppe. Wie, wo und wovon lebten die mutmaßlichen Mörder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos mit Beate Zschäpe? Es handelt sich immerhin um einen Zeitraum von 13 Jahren, die zwischen dem Abtauchen der Jenaer Bombenbastler bis zum Auffliegen der Rechtsterroristen vergangen waren. Wer plante was? Wie hielt man Kontakt mit wem? Die Angeklagten sehen natürlich keinen Grund, Fehlstellen auszufüllen.

Zschäpe hat den Prozess in den über 30 Verhandlungstagen vor allem teilnahmslos verfolgt. Mal spielte sich mit Trinkbechern, mal hantierte sie mit ihrem Laptop, um keine Müdigkeit aufkommen zu lassen. Nicht einmal die Berichte oder Fotos über Tatorte oder Obduktion der Opfer führten bei ihr zu emotionalen Regungen. Nicht erhellt wurde die beschämende Rolle, die Polizei-, Justizbehörden und Geheimdiensten im NSU-Terrorfall spielten und spielen. Doch die sind ja auch nicht angeklagt.

Der Prozess wird am 5. September fortgesetzt.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 7. August 2013


Mord für Mord

Obduktionsbericht vor der Sommerpause: Am Dienstag sagten im NSU-Prozeß Zeugen zum fünften und sechsten Todesopfer der neofaschistischen Terrorgruppe aus

Von Claudia Wangerin **


Mehmet Turgut hatte keine Chance, als ihn drei Schüsse aus einer Ceska-Pistole in Kopf, Hals und Nackenbereich trafen. Der Rostocker Gerichtsmediziner Rudolf Wegener stellte an der Leiche des Dönerverkäufers »keine abwehrtypischen Verletzungen« fest. Dafür »massive Bluteinatmungsherde in den Lungen«. Zwei der Schüsse wären für sich genommen tödlich gewesen, erklärte Wegener am Dienstag vor dem Oberlandesgericht (OLG) München. Der Racheneingang sei »kanalartig zerstört« worden. »Es ist möglich, daß der Todeseintritt durch massive Blut­einatmung beschleunigt worden ist«, beschrieb der pensionierte Facharzt für Rechtsmedizin den Umstand, daß der 25jährige wahrscheinlich an seinem Blut erstickte.

Der Mord am 25. Februar 2004 kann seit Ende 2011 der Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) zugeordnet werden – wie acht weitere Morde an Männern türkischer, kurdischer und griechischer Herkunft sowie der Mord an einer Polizistin. Fünf Angeklagte müssen sich derzeit vor dem OLG München dafür verantworten. Die sachlogische Reihenfolge der Zeugenvernehmungen war im NSU-Prozeß wegen anfänglicher Verzögerungen durcheinandergeraten. Am Dienstag, dem letzten Verhandlungstermin vor der Sommerpause, wurden vor dem OLG Zeugen zum fünften und sechsten NSU-Mord vernommen: Die Beweisaufnahme sprang vom Obduktionsbericht im Mordfall Turgut zur Auffindesituation der Leiche von Ismail Yasar, der am 9. Juni 2005 in Nürnberg ermordet worden war. Mehrere Polizisten sagten zur sogenannten Radfahrerspur aus, die nach Meinung des Kriminalbeamten Manfred Hensler im Fall Yasar zum ersten Mal »konkret« wurde. Denn zwei Radfahrer waren auch an den Tatorten früherer NSU-Verbrechen gesehen worden – so etwa beim Mord an dem Blumenhändler Enver Simsek 2000 in Nürnberg, oder 2001, als der Gemüsehändler Habil Kilic in München erschossen worden war.

Mal wurde die Spur ignoriert, mal wurden die Radfahrer als Zeugen gesucht. Im Fall Yasar habe aber eine Zeugin die Radfahrer – mutmaßlich die mittlerweile toten Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt – zweimal gesehen, erklärte Hensler am Dienstag. Die Frau habe außerdem gesagt, daß der eine dem anderen einen länglichen Gegenstand in den Rucksack gesteckt habe. Von einem »ausländerfeindlichen Hintergrund« will Hensler schon 2004 oder 2005 ausgegangen sein – zu einer Zeit, als die Ermittler noch Angehörige der Opfer mit ihren Verdächtigungen konfrontierten. Vor Gericht betonte Hensler, für ihn persönlich sei es damals »selbstverständlich« gewesen, daß ein »ausländerfeindliches«, aber aus seiner Sicht nicht unbedingt politisches Motiv vorliegen könnte. Mit dieser Einschätzung sei er auch nicht allein gewesen. Nach dem Nagelbombenanschlag auf einer Einkaufsstraße mit überwiegend türkischen und arabischen Geschäften in Köln habe sich ein dort beschäftigter Kollege namens Markus Weber an ihn gewandt. Womöglich sei das schon 2004 gewesen.

Nebenklageanwalt Yavuz Narin verwies auf eine Begebenheit, die im Untersuchungsausschuß des Bundestags bekannt geworden war: Bei einer Besprechung im März 2007 in München hatten die Ermittler eine Vergleichsanalyse zwischen dem Nagelbombenattentat in Köln und der Mordserie abgelehnt, da »Äpfel nicht mit Birnen verglichen werden können«.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 7. August 2013


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