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Gericht mit Lehrauftrag

Münchner NSU-Prozess gibt Einblicke in angeblich normale Nachbarschaften

Von René Heilig *

Gestern absolvierte der zuständige Senat des Münchner Oberlandesgerichtes den 28. Verhandlungstag gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer der rechtsextremistischen NSU-Terrorgruppe, der unter anderem zehn Morde aus zumeist rassistischen Motiven zugeschrieben wird.

In München entsteht derzeit ein NS-Dokumentationszentrum. Gebaut wird es in der heutigen Brienner Straße 34, also exakt auf jenem Gelände, auf dem sich die Zentrale von Hitlers NSDAP, das sogenannte »Braune Haus« befand. 2014 soll das Zentrum eröffnet werden.

Die Initiatoren wollen, dass ein »zentraler Lern- und Erinnerungsort« entsteht, »der als Teil eines bundesweiten Netzwerks die Auseinandersetzung mit der Geschichte und den Nachwirkungen des Nationalsozialismus fördern und eine zukunftsorientierte Bildungsarbeit am historischen Ort ermöglichen wird«.

Von der Brienner Straße bis zum Münchner Justizzentrum in der Nymphenburger Straße braucht man zu Fuß vielleicht eine Viertelstunde. Dort kann man sich derzeit beim Prozess gegen mutmaßliche Terrortäter und -helfer des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) ebenfalls über »Nachwirkungen des Nationalsozialismus« kundig machen.

Zschäpe, die nette »Maus«

In dieser Woche befragte das Gericht Brandsachverständige über Zschäpes Versuch der Beweisvernichtung. Das Haus in der Zwickauer Frühlingsstraße 26 explodierte am 4. November 2011, kaum dass die beiden männlichen Mitglieder der NSU-Mörderzelle, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, in Eisenach ums Leben gekommen waren. Die drei untergetauchten Jenaer hatten gemeinsam in der Frühlingsstraße gewohnt.

Die Wohnung soll angezündet worden sein, so sagt der Generalbundesanwalt, um Beweise zu vernichten. Die Ankläger gehen davon aus, dass Zschäpe dabei den Tod anderer Hausbewohner zumindest in Kauf genommen hat. Das wäre neben schwerer Brandstiftung auch dreifacher Mordversuch. Ein Brandermittler des sächsischen Landeskriminalamtes hatte bereits am Mittwoch ausgesagt, die Folgen des Brandes seien für den Verursacher nicht beherrschbar gewesen, für Nachbarn habe daher akute Gefahr bestanden. Das allein kann 15 Jahren Haft bringen.

Gleichfalls am Mittwoch konnte man im Gerichtssaal einiges über gute Nachbarschaft vernehmen. Auch diese Aussagen können sich in die geplante Dokumentation zu Nachwirkungen der Hitlerdiktatur einreihen.

Die »Maus«, so titulierte man die nette Nachbarin Zschäpe, sei eine »liebe Nachbarin« gewesen. Die junge Frau habe gesagt, der eine Mitbewohner sei ihr Freund, der andere dessen Bruder. Beruflich würden die Männer Autos überführen.

»Wir saßen oft zusammen. Ist auch nichts Verwerfliches dran, nachbarschaftlich eben. Ist im Osten so«, belehrte ein 47-jähriger Hausmeister das Gericht samt Nebenklageanwälten. Man habe Sekt getrunken und Zschäpe spendierte auch mal eine Pizza. Über Ausländer und Politik sprach man nicht, guckte aber Fußball. Das Hitlerbild, das man bei ihm auf dem Fernsehapparat gefunden hat, stamme nicht von ihm, gab der Zeuge Auskunft. Ein Nachbar hätte ihm das gerahmte Stück vermacht. Auch bei dem habe es auf dem Fernseher gestanden. Alles normal, oder?

Grillen mit einem Angeklagten

Normal scheint zu sein, wie die nicht einsitzenden Angeklagten ihre gerichtsfreien Tage verbringen. André Eminger beispielsweise war am vergangenen Samstag Gast einer Grillparty in Obermenzing bei München. Das Fest entpuppte sich – so berichtet die Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München (a.i.d.a.) – als bayerische Szeneveranstaltung. »Mit Planen und Handtüchern versuchen die OrganisatorInnen und Teilnehmenden, den Platz so abzuschirmen, dass er von den am Grundstück entlangführenden Straßen möglichst wenig einsehbar ist.« Neben Eminger identifizierte man den als Rechtsterroristen verurteilten Karl-Heinz Statzberger (Markt Schwaben), die Führungskader des Freien Netzes Süd Norman K. (Nürnberg), Tony G. (Regnitzlosau-Oberprex) und Matthias B. (Karlstadt).

So ist das Haus im Münchner Stadtteil Obermenzinger auf seine sehr üble Weise auch eine Art Dokumentation zu Nachwirkungen des Nationalsozialismus.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 26. Juli 2013


Ganz liebe Nachbarn

In ihrer Wohngegend startete nicht nur die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe eine Charmeoffensive. Freunde des Mitangeklagten André Eminger können das auch

Von Claudia Wangerin **


Eigentlich wollte der Angeklagte André Eminger an der Hauptverhandlung im Prozeß um die Mord- und Anschlagsserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) vorerst nicht mehr teilnehmen. Nachdem das Oberlandesgericht München seine häufige Anwesenheit in der bayerischen Landeshauptstadt erzwang, nutzt er nun die Zeit zwischen den Terminen, um Freunde aus der dortigen Neonazi­szene zu besuchen. Die Verteidigung der mutmaßlichen Terrorhelfers hatte beantragt, ihn von der Anwesenheitspflicht zu befreien, da ihn zur Zeit verhandelte Tatkomplexe nicht beträfen. Das Gericht lehnte dies mit der Begründung ab, es könnten jederzeit Eminger betreffende Sachverhalte zur Sprache kommen.

Auf seine Münchner Kontakte zu Teilen der früheren »Schutzgruppe« um Martin Wiese, der im Jahr 2003 einen Sprengstoffanschlag auf das jüdische Gemeindezentrum plante, machte das Münchner Bündnis gegen Naziterror und Rassismus am gestrigen Donnerstag aufmerksam. Karl-Heinz Statzberger, der mit Wiese im Jahr 2005 zu einer Haftstrafe verurteilte wurde und inzwischen wieder auf freiem Fuß ist, begleitete schon am ersten Verhandlungstag im NSU-Prozeß Emingers Bruder Maik zum Gericht. Am 20. Juli soll André Eminger das Sommerfest eines Neonaziszentrums im Münchner Stadtteil Obermenzing besucht haben. Die als Aktivisten des »Freien Netzes Süd« bekannten Mieter hätten das Einfamilienhaus bisher als reine Wohngemeinschaft dargestellt, um rechte Treffen auf dem Grundstück möglichst geheimzuhalten, berichtet die Antifaschistische Informations- Dokumentations- und Archivstelle München e.V. (a.i.d.a.).

Nach den Polizeirazzien gegen das »Freie Netz Süd« am 10. Juli wollten sie sich offenbar in der Nachbarschaft beliebt machen. In einem namentlich unterzeichneten Brief luden die Neonazis Vanessa Becker, Daniel Thönnessen und Franz Sedlbauer die Anwohner zu einem »Sommerfest« mit Spanferkel und »Kinderschminken« am 20. Juli ein. Nach a.i.d.a.-Informationen tauchten auf dem vermeintlich harmlosen Grillfest auch Karl-Heinz Statzberger und André Eminger auf.

Von fünf Angeklagten im NSU-Prozeß befinden sich mit Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben zur Zeit nur zwei in Untersuchungshaft. Das Bündnis gegen Naziterror und Rassismus fordert nun Aufklärung darüber, ob sich NSU-Beschuldigte und ihre derzeitigen bayerischen Freunde schon vor der Aufdeckung des NSU im Jahr 2011 oder gar während der Mordserie von 2000 bis 2007 kannten. »Die Frage nach einer direkten Unterstützung der Morde des NSU durch Münchner Neonazis drängt sich auf und muß restlos geklärt werden«, erklärte Bündnissprecher Thomas Spree am Donnerstag.

Gute Beziehungen zur Nachbarschaft waren auch Beate Zschäpe wichtig, als sie in Zwickau unter dem Namen Lisa Dienelt lebte und mitunter Pizza spendierte. Olaf B., der am Mittwoch im NSU-Prozeß als Zeuge aussagte, machte es ihr offenbar nicht schwer. In seinem Keller traf man sich zum Trinkgelage unter einem alten Hitlerbild. Vor Gericht behauptete der 44jährige, das habe nichts mit seiner politischen Einstellung zu tun. Es sei nur die Erinnerung an einen verstorbenen Nachbarn.

** Aus: junge Welt, Freitag, 26. Juli 2013


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