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Mutter Zschäpe schweigt

Keine Aussage zur NSU-Tochter / Cousin vernommen: Auch er war "gegen Staat, gegen Ausländer, gegen Linke"

Von René Heilig, München *

Während die Mutter von Beate Zschäpe die Aussage vor dem Münchner Oberlandesgericht verweigert hat, war Cousin von Zschäpe gesprächiger – aber als Zeuge auch nicht sehr hilfreich.

Schon gut eine Stunde vor Prozessbeginn waren alle Zuschauerplätze besetzt, vor dem Gerichtsgebäude waren wieder einmal Übertragungswagen aufgefahren. Der Tag begann mit der Vernehmung des auf Mallorca lebenden Cousins. Sie gestaltete sich schwierig. Stefan A. hatte wahlweise »keine Ahnung« oder bezeichnete alles ohne nähere Beschreibung als »normal«. Als Kinder hatten er und Beate viel Kontakt, waren an den Wochenenden im Garten bei den Großeltern, die sich auch sonst um das Mädchen gekümmert hatten. Die Großmutter sei eine »liebe Frau, herzlich eben«.

Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl mühte sich redlich, doch die Antworten waren dürftig. Zur Klärung der Lebensumstände seiner dann jugendlichen Cousine wusste A. ebenfalls nicht viel beizutragen. Immer wieder murmelte er sein »Weiß ich nicht«. Denn von 1987 bis 1989 sei ja auch er im Kinderheim gewesen. Er glaube nur, dass sich Mutter und Tochter zerstritten, nachdem Beate Zschäpe Uwe Mundlos als Freund gewählt hatte. »Lieb, nett, sympathisch« habe er seine Cousine dennoch in Erinnerung.

Die späteren mutmaßlichen NSU-Mörder Mundlos und Uwe Böhnhardt habe er in Wendezeiten kennengelernt. Da führte der heute 39-jährige Zeuge ein »Lotterleben. Ich habe gesoffen, kaum gearbeitet und so.« Mehr oder weniger hätten sich Mundlos und Zschäpe über ihn kennengelernt. Man traf sich im Jugendklub oder bei einer Party im Wald. »Rechtsgerichtet« sei er »auf jeden Fall« gewesen. »Bomberjacke, Stiefel, kurze Haare ...« Er war »gegen Staat, gegen Ausländer, gegen Linke, gegen alles«. Man sei zu Konzerten der Szene gefahren. Mit Mundlos sei er auch in Chemnitz gewesen, bei Freunden. Doch brach der Kontakt mit Mundlos ab, nachdem er A. als »Assi« bezeichnet hat. Er sei Skinhead gewesen: »Party, saufen, ab und zu eine Prügelei, das war unsere Lebensweisheit.« Mundlos dagegen »hat sich nach oben gesteigert«, ist zu Demos und Kameradschaftstreffen gefahren. Da seien Mundlos, Böhnhardt und seine Cousine schon immer zusammen gewesen und hätten sich »abgekapselt«. Die hätten »sich da rein gesteigert, keinen Alkohol mehr getrunken«.

Richter Götzl hatte zunehmend Probleme, sich ein Bild von der Jenaer Szene zu machen. A. half mit Beispielen, erzählte, wie Mundlos Flugblätter und Hetzgedichte gegen Ausländer am Computer schrieb. Einmal habe Mundlos auf der Straße einer Zigeunerin ein Stück Kuchen an den Kopf geworfen. Die Sozialarbeiter im Jugendklub beschimpfte er als »rote Schweine«. Böhnhardt dagegen war vor allem Waffennarr und trug immer Schreckschusspistolen. Das, was bei einer Durchsuchung in Beates Wohnung gefunden wurde – »so eine Armbrust und so eben« – waren seine Sachen. Die Drei seien unter anderem mit den Rechtsextremen Ralf Wohlleben, der auch angeklagt ist, und André Kapke, der vor einer Woche als Zeuge auftrat, befreundet gewesen.

Natürlich kenne er die »Kameradschaft Jena« und den »Thüringer Heimatschutz«. »Die haben irgendwelche politischen Aktivitäten gemacht. Wer da alles drin war, weiß ich nicht.« Aber »Ralf und André waren dabei«. Ob Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt dazu gehörten, wisse er nicht. Jedenfalls seien die Drei ebenfalls mit dem Angeklagten Holger Gerlach befreundet gewesen. So wie der Zeuge selbst.

Die Angeklagten hörten regungslos zu, Zschäpe – mit verkniffenem Gesicht – mied den Blickkontakt, als der Zeuge sagte, dass sie sich »nichts habe gefallen lassen« und selbst »einen großen Mund« gehabt habe. Sonst aber sei sie »lieb und nett« gewesen und habe »keiner Seele was getan – in dieser Zeit«, schränkte er eilig ein. Bei der Polizei hatte A. ausgesagt, Zschäpe »hatte die Jungs im Griff«.

Termingemäß um 13 Uhr wurde die Zeugin Annerose Zschäpe (61) aufgerufen. Der Vorsitzende begrüßte sie, um dann die üblichen Belehrungen kund zu tun. Er fügte hinzu: »Als Mutter der Angeklagten habe Sie ein Zeugnisverweigerungsrecht. Wollen Sie Angaben machen?« Die Antwort der Zeugin bestand nur aus einem Wort: »Nein!« Sie wünsche auch nicht, dass ihre Angaben aus der polizeilichen Vernehmung in den Prozess einfließen.

Die weitere Vernehmung des Cousins gestaltete sich so zäh wie am Vormittag. Am heutigen Donnerstag sind drei Zeugen geladen, die die abgetauchten NSU-Mitglieder Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt unter anderem mit Krankenkassenkarten unterstützt haben sollen. Eigentlich sollten die Zeugenvernehmungen zum Umfeld der NSU-Angeklagten in diesem Monat abgeschlossen werden. Von diesem Ziel ist man Monate entfernt.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 28. November 2013


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