Hilfsbereiter alter Kumpel
Ein Neonazi, der nicht nein sagen konnte? NSU-Helfer Gerlach packte als erster aus
Von Sebastian Carlens, München *
Holger Gerlach, Mitangeklagter im Prozeß gegen den »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU), geriet nach dem mutmaßlichen Doppelselbstmord von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos am 4. November 2011 in Eisenach als erster in Verdacht. Am Donnerstag wurde vor dem Oberlandesgericht München unter anderem der Polizist befragt, der Gerlach am 5. und 6. November 2011 vernommen hatte.
Gerlach gehörte bereits in den 1990er Jahren in Jena zum Freundeskreis von Mundlos und Böhnhardt – die rechte Clique soll den mutmaßlichen NSU-Gründern 1998 beim Gang in den Untergrund geholfen haben. Gerlach, der später mit seiner Familie nach Niedersachsen zog, transportierte eine Waffe und stellte seinen Führerschein und Reisepaß zur Verfügung, als ihn Mundlos und Böhnhardt darum baten. Mit diesen Dokumenten mieteten sie am 25. Oktober 2011 das Wohnmobil, in dem sie zehn Tage später starben. So konnte rasch ermittelt werden: Laut Papieren mietete Holger Gerlach das Fahrzeug. Am 5. November identifizierten die Ermittler Mundlos’ Leiche anhand von Fingerabdrücken. Der zweite, noch unbekannte Tote müsse also Gerlach sein, schlußfolgerte die Kripo. Doch ein Anruf aus Bad Nenndorf überraschte die Beamten: Gerlach sei festgenommen worden. Der nun als Zeuge vernommene Beamte reiste mit einer Kollegin von Eisenach nach Niedersachsen, um ihn zu befragen.
Gerlach hatte jedoch ein Alibi. Zunächst habe er abgestritten, mit der Anmietung zu tun zu haben, so der Polizist. Dann allerdings »geriet die Vernehmung ins Stocken, er rang mit sich«: Die Unterschrift im Mietvertrag ähnele zwar seiner eigenen, doch nicht er habe unterzeichnet. Gerlach nannte die Namen Mundlos und Böhnhardt – sowie den des mutmaßlichen NSU-Helfers Ralf Wohlleben. Er selbst habe seinen Reisepaß an Böhnhardt »verliehen«, räumte Gerlach vor den Beamten ein.
Bis dahin waren den Fahndern keine politischen Hintergründe bekannt, die Polizei ermittelte wegen der Todesfälle und einem Bankraub. Im Verhör machte Gerlach allerdings Andeutungen: Er sei »gerade in einer Phase, wieder Kontakt zu ›Nationalen‹ und ›freien Kräften‹ aufzunehmen«. Der Beamte fragte damals nicht nach. »Aus heutiger Sicht ein Fehler.« Nach und nach packte Gerlach weiter aus: Seine alten Freunde hätten ihn jährlich besucht. Bis auf das letzte Jahr, 2011, sei auch Beate Zschäpe stets dabei gewesen. Die drei seien in teuren Autos vorgefahren: »Mal ein weißer Audi, dann ein grauer oder schwarzer BMW.« Ihre schlichte Bekleidung sei im Kontrast zu den Wagen aufgefallen. Mundlos, der »den Geschäftsmann raushängen ließ«, will einen Computerladen in Chemnitz betrieben haben; Böhnhardt sei in Gelegenheitsjobs tätig gewesen, hätten sie auf Nachfrage erklärt. Seinen alten Kumpels habe er die Bitten nach gültigen Papieren nicht abschlagen können, um nicht als »Verräter« dazustehen – auch hier will der vernehmende Beamte nicht nachgehakt haben. Er habe nicht gewußt, was sie mit seinen Papieren anfangen wollten, habe Gerlach gesagt, und das sei »vielleicht auch besser gewesen«.
* Aus: junge Welt, Freitag, 5. Juli 2013
Zurück zum NSU-Prozess
Zurück zur Homepage