Aussage verweigert
NSU-Prozeß - Der Weg der Mordwaffe: Früherer Szeneladenbetreiber soll erneut vor Gericht erscheinen, weiterer Zeuge will sich nicht selbst belasten
Von Claudia Wangerin, München *
Der frühere Inhaber des Jenaer Szeneladens »Madley«, Frank Liebau muß im Prozeß um die Mord- und Anschlagsserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) erneut als Zeuge erscheinen. Die 6. Strafkammer des Oberlandesgerichts München will den angeblich von großen Gedächtnislücken geplagten Thüringer diese Woche noch einmal hören, nachdem er bereits am Donnerstag mehrere Stunden befragt wurde. Die extreme Vergeßlichkeit, auf die er sich ständig berief, die komme eben mit dem Alter, hatte der 40jährige am späten Nachmittag einem Nebenklageanwalt erklärt, als dieser ihn fragte, ob er beim Kampfsport einmal Schläge auf den Kopf bekommen habe. In der polizeilichen Vernehmung vor knapp zwei Jahren hatte Liebau sich laut Protokoll noch deutlich besser an Ereignisse vor zehn bis fünfzehn Jahren erinnert, gab aber am Donnerstag an, das Protokoll sei nicht wortgetreu, die Ermittler hätten »die Sätze zusammengebaut«.
In den Pausen unterhielt sich Liebau vor dem Gerichtsgebäude mit einem weiteren Zeugen. Der gelernte KfZ-Mechaniker Jürgen Lenger soll um die Jahrtausendwende die spätere Tatwaffe der NSU-Mordserie an Liebaus Mitinhaber Andreas Schultz verkauft haben, der sie dann »unter dem Ladentisch« an den heute wegen Beihilfe zum Mord angeklagten Carsten S. weiterverkaufte. Anders als Liebau berief sich Lenger am Donnerstag auf sein Aussageverweigerungsrecht nach Paragraph 55 der Strafprozeßordnung, das Zeugen zusteht, wenn sie sich bei wahrheitsgemäßen Angaben selbst belasten könnten.
Während einfache Verstöße gegen das Waffengesetz, die 1999 oder 2000 begangen wurden, heute verjährt sind, wäre der Verkauf einer Pistole mit Schalldämpfer bei Kenntnis des Verwendungszwecks in diesem Fall Beihilfe zum Mord. Die Bundesanwaltschaft geht aber nicht automatisch davon aus, daß der Lieferant einer Waffe mit diesem Zubehör wissen mußte, daß sie zum Töten bestimmt war – Andreas Schultz, der die Weitergabe der Ceska mit Schalldämpfer an Carsten S. gestanden hat, befindet sich nicht nur auf freiem Fuß, sondern hat zudem noch den Status eines Zeugen. Liebau gab am Donnerstag an, er habe erst nach diesem Geständnis seines alten Freundes von dessen Waffengeschäft erfahren – und Schultz daraufhin erklärt, es sei »sein Ding«, er müsse das alleine klären.
Zum Kundenkreis des 1995 eröffneten »Madley« gehörte vor seinem Untertauchen nicht nur das mutmaßliche NSU-Kerntrio, als dessen einzige Überlebende Beate Zschäpe gilt. Auch der heute wegen Beihilfe zum Mord angeklagte Ralf Wohlleben ging in dem Szeneshop ein und aus, der offiziell vor allem Klamotten, Aufnäher, Schuhe und CDs führte. Carsten S., der sich heute in einem Zeugenschutzprogramm befindet, wurde nach eigener Aussage von Wohlleben dorthin geschickt, um die Waffe für die drei untergetauchten Neonazis zu besorgen. Frank Liebau hatte im Januar 2011 laut Vernehmungsprotokoll ausgesagt, es könne sein, daß Wohlleben ihn einmal »zwischen Tür und Angel« nach einer Waffe gefragt habe. Er könne sich daran aber nicht konkret erinnern. »Wahrscheinlich habe ich ihn dann abgewimmelt und an Schultz verwiesen«.
Liebau selbst wollte angeblich mit solchen Dingen nichts zu tun haben, kannte aber zufällig auch den aktenkundigen Nagelbombenbauer Henning Heydt, den er vor Gericht auf Nachfrage von Nebenklageanwalt Yavuz Narin als »Kumpel« bezeichnete. Heydt habe »mal einen größeren Böller gebaut« und deshalb ein Strafverfahren bekommen, erklärte Liebau. Nebenklagevertreterin Gül Pinar hatte ihn zuvor nach seiner Clique in den 1990er Jahren befragt. »Das glaube ich Ihnen nicht«, erklärte die Anwältin auf seine Behauptung, er wisse nicht mehr, wer dazugehört habe. Pinar bescheinigte Liebau »Erinnerungslücken, die an Aussageverweigerung grenzen«, Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten erklärte zum Verhalten des Zeugen, hier stehe eine Straftat im Raum. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hatte Liebau mehrfach auf seine Wahrheitspflicht hingewiesen.
Mit lautstarkem Unverständnis reagierte Götzl aber auch auf zahlreiche Fragen der Nebenklage – etwa nach verbotenen CDs im »Madley« oder Anleitungen zum Terror gegen politisch Andersdenkende und Migranten, die auf Propagandavideos bei einer Hausdurchsuchung in Liebaus Räumen gefunden worden waren. Selbst die Frage nach der Bekanntschaft zu Heydt schien Götzl nicht auf Anhieb relevant für das Verfahren, obwohl dem NSU zwei Sprengstoffanschläge zugerechnet werden.
* Aus: junge Welt, Montag, 11. November 2013
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