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An der Grenze zur Aussageverweigerung

NSU-Prozeß: Kompagnon des Waffenverkäufers wollte nichts wissen – und beruft sich auf Erinnerungslücken

Von Claudia Wangerin, München *

Frank Liebau, ehemals Inhaber des rechten Szeneladens »Madley« in Jena, ist ein stämmiger Mann von 40 Jahren mit ausrasiertem Nacken. Vor dem Oberlandesgericht München erschien der Zeuge im Prozeß um die Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) am Donnerstag in einem schwarzen T-Shirt mit dem Logo der Blackmetal-Band »Stigmata«. Im Kontrast zu diesem Äußeren stand der quengelige Tonfall seiner beiden Standardsätze: »Das weiß ich nicht mehr, das ist alles schon so lange her« und »Das wollte ich gar nicht wissen«. Letzteres bezog sich auf den Umstand, daß sein Mitinhaber im »Madley« um die Jahrtausendwende ein folgenreiches Waffengeschäft abgewickelt haben soll: Die spätere Tatwaffe der NSU-Mordserie, eine Pistole vom Typ Ceska 83 mit Schalldämpfer, erhielt der mutmaßliche Terrorhelfer Carsten S. von Liebaus Partner Andreas Schultz. Beide hatten den Laden im Jahr 1995 eröffnet, 2008 wurde er aufgegeben.

Der eigentliche Gegenstand des Geschäftsbetriebs waren laut Liebau »Sachen, Schuhe, alles was dazu gehört« – darunter »Thor Steinar«-Kleidung – sowie Tonträger. In der richterlichen Befragung vermied er zunächst jede Äußerung über den politischen Inhalt von Liedern oder Sprüchen auf T-Shirts. »Die bestimmte Kundschaft, die kam halt, aber abgezielt haben wir auf alle«, erklärte er auf Nachfrage.

Von dem Waffenverkauf durch seinen Freund und Mitinhaber will Liebau erst nach Aufdeckung des NSU Ende 2011 erfahren haben, als Schultz die Transaktion der Polizei gestanden hatte. Angeblich stellte Liebau ihn daraufhin nicht zur Rede. Wenig plausibel erschien das dem Vorsitzenden Richter Manfred Götzl. Er fragte den Zeugen mehrfach nach dem Inhalt von Gesprächen, die beide nach diesem Geständnis geführt hätten. »Jetzt sagen Sie, der Herr Schultz ist Ihr Freund, jetzt hören Sie von der Polizei, in Ihrem Laden ist eine Waffe verkauft worden, und da fragen Sie nicht nach?« – »Ich habe gesagt, das ist sein Ding, ich will es gar nicht wissen, das soll er alleine klären.« Und schließlich: »Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß«. Man bekomme nur Probleme, wenn man zu viel wisse. Den mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt will er »ganz früh in der Jugend beim Mopedfahren« getroffen haben. Böhnhardt war allerdings vier Jahre jünger als Liebau.

Mehrere Prozeßbeteiligte wunderten sich auch über den schnellen Verlust von Erinnerungen, die in Liebaus polizeilicher Vernehmung vor knapp zwei Jahren anscheinend noch sehr präsent waren, obwohl sie sich auf zehn bis fünfzehn Jahre zurückliegende Ereignisse bezogen. Laut Vernehmungsprotokoll erinnerte sich Liebau im Januar 2012 an ein Gespräch mit dem Angeklagten Ralf Wohlleben über das mutmaßliche NSU-Kerntrio kurz nach dessen Untertauchen – Wohlleben sei ihm damals eine Antwort schuldig geblieben. Liebau schloß zudem laut Protokoll nicht aus, daß ihn Wohlleben mal nach einer Waffe gefragt und er ihn an Schultz verwiesen habe. Er wisse das nicht mehr genau, sagte Liebau vor Gericht. Zudem sei das Polizeiprotokoll nicht wortgetreu. Er habe es nur überflogen, bevor er unterschrieben habe.

Von einer früheren Vernehmung nach einer Hausdurchsuchung im Jahr 2000, bei der in seinen Räumen zwei Videos mit dem Titel »Kriegsberichter« des Neonazivertriebs NS 88 gefunden worden waren, wollte er ebenfalls nichts mehr wissen. Über die Relevanz ihrer Fragen nach solcher »Bückware« mußte die Nebenklage mit Richter Götzl streiten.

Nebenklageanwältin Gül Pinar, die Angehörige des NSU-Mordopfers Süleyman Tasköprü vertritt, bescheinigte dem Zeugen am Donnerstag »Erinnerungslücken, die an Aussageverweigerung grenzen«. Götzl wies ihn mehrfach auf seine Wahrheitspflicht hin. Schließlich beantragten mehrere Nebenklagevertreter die wörtliche Protokollierung einer möglichen Falschaussage Liebaus, als dieser sich nicht erinnern wollte, was er mit Schultz wenige Tage vor seiner Zeugenaussage besprochen habe. Das Gericht lehnte dies nach geheimer Beratung ab.

* Aus: junge welt, Freitag, 8. November 2013


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