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"Beate hatte Kuchen gebacken"

Ein Angeklagter spricht über seine Freundschaft zu den NSU-Mördern

Von René Heilig, München *

Chefankläger Harald Diemer meint, mit der gestrigen Beweisaufnahme »ein großes Stück« vorangekommen zu sein – auch wenn der mutmaßliche NSU-Unterstützer Holger Gerlach nur bestätigt habe, was er in vorangegangenen Vernehmungen zugegeben hatte. Er sagte am Donnerstag aus.

Es ist – wie so oft – das Banale, das so schockiert. Nachdem der Angeklagte Carsten Schultze vor dem Münchner Oberlandesgericht zwei Tage lang sein Coming-out als schwuler junger Mann beschrieben hatte, ohne dass er im gleichen Maße Nachdenken über seine Taten und seine politischen Motive erkennen ließ, kam gestern der zweite aussagebereite Angeklagte zu Wort.

Holger Gerlach wurde 1974 geboren, wuchs in Jena auf, zog ob der Perspektivlosigkeit in Thüringen in die Gegend von Hannover. Das, was er über seine schwere Kindheit und Jugend in deutsch-deutschen Umbruchzeiten erzählte, können vor allem Ostdeutsche seines Alters nachvollziehen. Welchen Wert das aber für die Zumessung von Schuld haben wird, müssen die Richter erst noch klären. Und dazu zahlreiche Fragen stellen. Gestern ließ sich der Angeklagte zu den Tatvorwürfen jedoch nicht befragen. Stattdessen verlas er aufgeregt eine Erklärung, die mit »So ist Freundschaft« überschrieben werden könnte.

Nie und nimmer habe er sich vorstellen können, dass seine Freunde Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und die hier in München ebenfalls angeklagte Beate Zschäpe solche Verbrechen verüben könnten wie jene, die hier zur Beurteilung anstehen. Und natürlich hat sich Gerlach niemals als Mitglied oder Helfer einer rechtsex-tremistischen terroristischen Vereinigung gesehen.

Er versuche noch immer, das Bild, das er von seinen Freunden habe, mit jenem in Einklang zu bringen, das die Bundesanwaltschaft zeichne. Gerlach bestätigte immerhin, dass man die gängige Politik habe verändern wollen. Deshalb habe es unter den Freunden sogenannte Richtungsdiskussionen gegeben. Gewalt ja oder nein, lautete dabei die Kernfrage. Die jedoch rein »theoretisch« erörtert worden sei.

Ja, Gerlach hat die Freunde unterstützt, gab ihnen seinen Pass, besorgte eine Krankenkassenkarte für Beate Zschäpe. Er habe sich nicht vorstellen können, dass das Trio mit seinem Führerschein Wohnmobile mietet, um Menschen umzubringen, sagte der Angeklagte und wiederholte zum x-ten Male: »Ich fühlte mich gegenüber den Dreien verpflichtet.« Und die hätten auch immer wieder versichert, die Papiere seien nur für den Notfall. Sie würden schon keinen »Scheiß« damit machen.

Wütend sei er nur geworden, als ihm der Mitangeklagte Ralf Wohlleben einen Beutel für die Drei gegeben hatte, den er nach Zwickau bringen sollte. Darin war eine Waffe. Mundlos habe sie gleich durchgeladen, obwohl er wie alle wusste, dass Gerlach Waffen nicht mochte.

Kommentarlos habe er jedoch akzeptiert, dass sich Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe für ein Leben im Untergrund entschieden. Entsprechend konspirativ seien die regelmäßigen Treffen gewesen, die es bis zum Ende gegeben habe. Doch man habe sich ganz normal in der Öffentlichkeit bewegt, habe Billard gespielt, sei essen gegangen oder in die Kneipe.

Besprochen wurden nur private Dinge. Die Drei hätten von ihren Urlauben und Bekanntschaften berichtet, man sprach über alte Zeiten, trank Bier und spielte Doppelkopf, sagte Gerlach. Einmal standen die Freunde unangemeldet vor der Tür seiner Wohnung bei Hannover. »Beate hatte extra einen Kuchen gebacken.« Doch dann sei es um einen neuen Pass gegangen, weil der alte abgelaufen war. Als Gerlach, wie er sagte, nicht mittun wollte, habe Mundlos gedroht: Wenn wir mit dem alten auffliegen, bist auch du dran... Zur Wahrheit gehört wohl auch, dass das Trio Gerlach 10 000 Mark zur Aufbewahrung gegeben hat, die der dann aber ob seiner Spielsucht durchbrachte.

Trotz anderer Erkenntnisse – Gerlach wollte Glauben machen, seit 2004 aus der Neonaziszene ausgestiegen zu sein. Die Drei hätten das akzeptiert. Auch wenn die politische Überzeugung verloren gegangen sei – »die Freundschaft blieb«, bekannte Gerlach und will sich erinnern, dass auch die drei Freunde »wesentlich entspannter als in früheren Jahren gewirkt haben«. Beate Zschäpe, die unmittelbar vor Gerlach saß, verzog kaum eine Miene. Entspannt aber wirkte sie wahrlich nicht.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 7. Juni 2013


Das Nesthäkchen half

NSU-Prozeß: Angeklagter Gerlach will bei »Freundschaftsdiensten« für mutmaßliche Mörderbande nichts Böses geahnt haben

Von Claudia Wangerin, München **


Holger Gerlach wollte den Neonazis Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe angeblich nur das Leben im Untergrund erleichtern, als er ihnen Ausweispapiere überließ, eine Krankenkassenkarte besorgte – und nicht zuletzt eine Schußwaffe für sie transportierte. Diese »Freundschaftsdienste« gestand der Angeklagte am Donnerstag im Prozeß um die Mord- und Anschlagsserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) vor dem Oberlandesgericht München. Er bestritt aber energisch, von den terroristischen Straftaten gewußt zu haben, die der Gruppe seit Bekanntwerden des NSU im November 2011 zugeordnet werden. Den Angehörigen der Opfer sprach er sein Mitgefühl aus. Was er getan habe, tue ihm »fürchterlich leid«, so Gerlach in einer selbst verlesenen Erklärung. Seine Freunde hätten stets beteuert, mit den Papieren »keinen Scheiß« zu machen, als er ihnen Reisepaß und Führerschein zur Verfügung stellte. Dafür war der heute 39jährige aufgrund einer optischen Ähnlichkeit mit Uwe Böhnhardt prädestiniert. Daß seine Identität zum Anmieten von Fahrzeugen für eine Mordserie benutzt wurde, habe er erst 2011 erfahren, erklärte Gerlach. Er habe verstanden, daß seine Freunde sich der Strafverfolgung entziehen wollten, als sie 1998 wegen Sprengstoffdelikten gesucht wurden. »Ich habe es nicht für möglich gehalten, daß die drei möglicherweise Gewalt in dem hier vorgeworfenen Ausmaß gegen andere ausüben könnten.« Die Schußwaffe will er im Auftrag des Mitangeklagten Ralf Wohlleben transportiert haben. Erst im Nachhinein habe er es als »Systemcheck« zur Abdeckung der Tarnidentität empfunden, daß sich seine Freunde regelmäßig mit ihm trafen, um über seine aktuellen Lebensumstände zu sprechen.

Gerlach beschrieb auch das Ansehen von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in der Neonaziszene vor ihrem Abtauchen: »Sie wirkten auf uns alle einfach echt.« Er half ihnen über zehn Jahre lang. 2011 habe er zum ersten Mal »Nein« gesagt, als ein neuer Reisepaß beantragt werden mußte. Mundlos habe gesagt, er könne jetzt nicht kneifen. Seinen Ausstieg aus der Szene datiert Gerlach heute bereits auf das Jahr 2004. Daß er noch wesentlich später auf rechtsextremen Demonstrationen und Konzerten gesehen wurde, begründet er mit fortgesetzten Freundschaften.

Fragen zu der verlesenen Erklärung wollte Gerlach anschließend nicht beantworten. Dafür hatte sich der gelernte Zerspanungsmechaniker und Qualitätsfachmann um so auskunftsfreudiger gezeigt, als es um Familie und Privatleben ging. Er sprach von einem »biologischen Erzeuger« und einem Stiefvater, der 1986 gestorben sei, sowie seinen älteren Geschwistern. Er selbst sei »das Nesthäkchen der Familie« gewesen. Liebe und Fürsorge seiner Mutter hätten sich stark auf ihn konzentriert – was seiner Entwicklung »nicht förderlich« gewesen sei. Er habe ein Autoritätsproblem gehabt, sich in der DDR zunächst zum Punk entwickelt, dann »in die andere Richtung«. Fragen des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl zu seinem Alkoholkonsum beantwortet er geduldig. 2009 und 2010 sei er wegen Spielsucht in therapeutischer Behandlung gewesen. Seit 2007 habe er aber eine Lebensgefährtin, die »stabilisierend« auf ihn wirke. Sie stehe zu ihm, obwohl sie 2011 »aus allen Wolken« gefallen sei. Der Prozeß wird nächste Woche voraussichtlich mit der Vernehmung des Angeklagten Carsten S. fortgesetzt, die wegen Abwesenheit seines Gutachters unterbrochen wurde.

** Aus: junge Welt, Freitag, 7. Juni 2013


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