"Wie Junkies oder Nazis"
Dortmunder NSU-Mord an Mehmet Kubasik: Zeugin wundert sich vor Gericht über Polizeiprotokoll
Von Claudia Wangerin *
Über 2000 Lichtbilder wurden Jelena D. nach dem Mord an dem Kioskbesitzer Mehmet Kubasik im April 2006 in Dortmund bei Vernehmungen von der Polizei vorgelegt. Keine dieser Fotografien kam ihrer Beschreibung der mutmaßlichen Täter nah, erinnerte sich die Zeugin am Dienstag vor dem Oberlandesgericht München. Nach Aktenlage hatte sie zwei verdächtige Männer im Alter von 25 bis 30 Jahren beschrieben. »Beide Personen hatten kurze dunkelblonde Haare. Sie wirkten auf mich wie Deutsche.« Heute ist ihre Erinnerung verschwommen. Nach wie vor präsent ist der Anwohnerin aber ihr Gesamteindruck: »Die sahen aus wie Junkies oder Nazis.«
Fast täglich habe sie an dem Kiosk Zigaretten gekauft, sagte die heute 40jährige im Münchner Prozeß um die Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU). Am Tag des Mordes sei ihr in der Mallinckrodtstraße einer der beiden Männer auf einem Fahrrad aufgefallen. Er habe sie richtig böse angesehen. Deshalb habe sie die Straßenseite gewechselt, als sie dann beide Männer am Kiosk habe stehen sehen. Von ihrer Mutter habe sie später erfahren, daß der Besitzer erschossen worden war.
»Wie Junkies oder Nazis« paßte den Ermittlern seinerzeit offenbar nicht ins Konzept, denn sie fügten eine Aussage ins Protokoll ein, an die sich Jelena D. vor Gericht »überhaupt nicht erinnern« konnte: »Nochmal kurz befragt, gab die Zeugin an, daß die Männer definitiv keinen rechtsradikalen Eindruck gemacht haben.«
Statt zweier Neonazis – mutmaßlich Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, – stand Kubasiks trauernde Familie im Fokus polizeilicher Verdächtigungen. Die Witwe des Ermordeten hatte einer Hausdurchsuchung zugestimmt. Niemand habe ihr gesagt, daß die Beamten in der Wohnung Heroin suchten, sagte Elif Kubasik am Dienstag vor Gericht. Daraufhin sei das Gerede über vermeintliche Drogengeschäfte ihres Mannes losgegangen. Ein Nachbar habe sogar von einem Gespräch mit einem Polizisten berichtet, der davon zu wissen vorgab.
Auch die heute 28jährige Tochter des Ehepaars trat am Dienstag in den Zeugenstand. Nach dem Tod ihres Vaters habe sie Angstzustände gehabt, erzählte Gamze Kubasik. Ihre erste Lehrstelle mußte sie deshalb aufgeben. Ein Jahr lang habe sie das Haus nicht verlassen können. Olaf Klemke, Verteidiger des Neonazis Ralf Wohlleben, fragte die Tochter des Mordopfers mit Blick auf die vorübergehende Erwerbsunfähigkeit, ob ihre Familie früher schon einmal Sozialleistungen bezogen habe. »Seit ich klar denken kann, weiß ich, daß mein Vater immer gearbeitet hat«, antwortete sie. Sollte die Familie früher einmal Transfers erhalten haben, »dann hatten wir wohl den Anspruch und haben das bekommen, wie alle anderen Bürger dieses Landes«, sagte Gamze Kubasik. Zuvor hatte sich Klemke bereits für die Volkszugehörigkeit der Bekannten interessiert, die über Drogenschäfte ihres Vaters spekuliert hatten. Diese Frage erklärte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl nach Intervention von Bundesanwalt Jochen Weingarten für unzulässig.
* Aus: junge Welt, Mittwoch, 6. November 2013
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