Finanziell befangen
NSU-Prozeß in München: Verteidiger der mutmaßlichen Neonaziterroristin Beate Zschäpe stellen Ablehnungsgesuch gegen gesamten Strafsenat
Von Claudia Wangerin, München *
Planmäßig sollten am Dienstag vor dem Oberlandesgericht München Polizeibeamte zum Mord an Mehmet Turgut aussagen, der im Februar 2004 in Rostock bei der Arbeit an einem Imbißstand erschossen wurde und in der Anklageschrift aufgrund einer Verwechslung immer noch »Yunus Turgut« heißt. Zwei Brüder des damals 25jährigen waren angereist, um als Nebenkläger im Saal zu sein, doch dann wurde erst einmal bekanntgegeben, daß die Verteidiger der mutmaßlichen Neonaziterroristin Beate Zschäpe einen Befangenheitsantrag gegen sämtliche Mitglieder des Strafsenats gestellt hatten. Rechtsanwalt Wolfgang Stahl, der nach Absprache mit seinen Kollegen Anja Sturm und Wolfgang Heer diese Woche der Verhandlung fernbleibt, konnte sich mit dem Oberlandesgericht nicht über den Vorschuß für seine Tätigkeit vor der Hauptverhandlung einigen.
Während Stahl für die Prozeßvorbereitung von rund einem Jahr 77000 Euro veranschlagt, um seine Unkosten zu decken, hatte der Senat ihm nur 5000 bewilligt. Dem stünden aber rund 5000 bis 6000 Euro an monatlichen Fixkosten für seine Kanzlei gegenüber, so das Verteidigerteam im gemeinsamen Ablehnungsgesuch. Seiner Mandantin dränge sich deshalb der Eindruck auf, daß ihre Verteidigung durch »Kurzhalten« diszipliniert werden solle, argumentiert Stahl. Knapp 770 Stunden hat er sich nach eigenen Angaben auf die Verteidigung von Zschäpe vorbereitet, der Mittäterschaft bei zehn Morden, zwei Sprengstoffanschlägen und mehreren Raubüberfällen des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) vorgeworfen wird. Er könne kaum andere Mandate annehmen.
Stahls Kollegen Wolfgang Heer und Anja Sturm waren Anfang August in die Schlagzeilen geraten, weil bekannt wurde, daß sie während der Prozeßwochen im Münchner Luxushotel »Vier Jahreszeiten« wohnen. Auf einer Sommerparty des Fünf-Sterne-Quartiers waren sie augenscheinlich mit ihrem Einverständnis geknipst worden und lächelten wenig später von der Titelseite der Abendzeitung. Nach Informationen des ARD-Terrorismusexperten Holger Schmidt haben die Anwälte allerdings mit dem Hotel für die Dauer des Prozesses eine Rahmenvereinbarung abgeschlossen, die den Preis »erheblich senkt«. Das Oberlandesgericht zahlt den Anwälten die Übernachtungskosten nur bis zu bestimmten Höchstsätzen – wenn dies nicht ausreicht, muß die Differenz aus eigener Tasche bezahlt werden.
Der Inhalt des Befangenheitsantrags war der Mehrzahl der Prozeßbeteiligten am Dienstag morgen allerdings nicht bekannt, obwohl er in Schriftform am frühen Montag nachmittag beim Senat eingegangen sein soll. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl unterbrach die Verhandlung zunächst für rund zwei Stunden, um das Ablehnungsgesuch und die dienstlichen Äußerungen der Senatsmitglieder für alle Verfahrensbeteiligten – darunter über 70 Anwälte der Nebenklage – kopieren zu lassen und ihnen Zeit zur Kenntnisnahme zu geben.
Nach Lektüre der dienstlichen Äußerungen beantragten Zschäpes Verteidiger erneut eine Unterbrechung, um nach abermals zwei Stunden ein weiteres Ablehnungsgesuch nachzuschieben.
Die Verteidiger des Mitangeklagten Ralf Wohlleben schlossen sich dem Befangenheitsantrag gegen den Richter Konstantin Kuchenbauer an, der den Vorschuß von 5000 Euro – statt ursprünglich 3000 – am 9. September im Namen des 6. Strafsenats bewilligt hatte. Gleich zweimal habe Kuchenbauer in dem Bewilligungsbescheid die Formulierung »Schwierigkeiten des Tatnachweises« gebraucht, argumentierte Wohlleben-Anwalt Olaf Klemke. Damit habe sich der Richter bereits auf eine Täterschaft der Angeklagten festgelegt, für die nur noch der Nachweis erbracht werden müsse. Kuchenbauer positioniere sich damit einseitig als Strafverfolger.
Zschäpe-Anwältin Sturm begründete am Nachmittag das neue Ablehnungsgesuch mit unwahren Angaben von Senatsmitgliedern in den dienstlichen Äußerungen: Kuchenbauers Kollegen hätten angegeben, sie seien an dem Beschluß nicht beteiligt gewesen. Kuchenbauer selbst habe aber zuvor behauptet, der Senat diskutiere darüber. Götzl unterbrach daraufhin erneut die Verhandlung.
Während in München die juristische Aufarbeitung stockt, wurde dem NSU-Untersuchungsausschuß des Thüringer Landtags eine weitere Operation des Bundesamtes für Verfassungschutz bekannt,die in den Frühzeiten der rechten Terrorgruppe im Herkunftsland des mutmaßlichen Kerntrios lief. Das Bundesamt habe die »Operation Treibgut«, in deren Fokus die Thüringer Neonaziszene stand, bis dato den Untersuchungsausschüssen verschwiegen, berichtete die Berliner Zeitung am Dienstag.
* Aus: junge Welt, Mittwoch, 18. September 2013
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