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Verlängerung inklusive

NSU-Prozess fortgeführt, letzte Sitzung des bayerischen Untersuchungsausschusses

Von René Heilig *

Der NSU-Prozess vor dem Münchener Oberlandesgericht ging gestern zur Erforschung der zehn Morde über, die die beiden toten Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos sowie die Angeklagte Beate Zschäpe begangen haben sollen.

Nürnberg am 9. September 2000. Enver Simsek wollte Ware aus seinem Transporter holen, da fielen Schüsse. Fünf trafen. Eine Hinrichtung. Zwei Täter haben gefeuert. Enver Simsek starb im Krankenhaus. Er wurde nur 38 Jahre alt und ist (vermutlich) das erste Mordopfer des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU). Semiya Simsek, seine Tochter, war damals 14 Jahre alt. »Mein Vater wurde ermordet, weil er Türke war«, schrieb Semiya Simsek in ihrem Buch »Schmerzliche Heimat«.

Die Polizei tappte im Dunkeln, verdächtigte gar die Familie und deren Freunde. Simsek, so mutmaßten die Ermittler, habe mit Drogen zu tun gehabt. Doch dann wurde eine der Tatwaffen, die Ceska 83, die – wie man heute weiß – von den in München Angeklagten Carsten Schultze und Ralf Wohlleben beschafft worden war, bei weiteren Morden an türkischen Gewerbetreibenden und einem griechischen Kollegen benutzt. Doch noch immer kümmerten sich Polizei und Verfassungsschutz nicht um mögliche rassistische Motive. Erst nach dem Auffliegen der NSU-Zelle in Eisenach, das noch immer viele Fragen aufwirft, wusste man: Die Mörder waren Rechtsextremisten, die den Fahndern in Thüringen – doch nicht nur denen – auf wundersame Weise entkommen konnten.

Die Tochter des Toten hat viele Fragen: Warum ausgerechnet mein Vater? Kannten ihn die Täter überhaupt? Wurden die Opfer zufällig ausgewählt? Handelten die Täter aus reiner ideologischer Mordlust? Warum wurden sie nicht aufgehalten? Ihr Vater sei »vom Hilfsarbeiter zum Blumen-Großhändler geworden. Er hat seine Steuern bezahlt. Muss er wirklich blond sein, damit er integriert ist?«

Die letzte Frage ist an die gesamte Gesellschaft gerichtet. Die Tochter will eine ehrliche Rehabilitierung ihres Vaters erreichen. Alles soll offengelegt werden, gerade das, was die Täter bei ihrer Schreckensserie ermuntert und unterstützt haben könnte.

In dem Bekennervideo des NSU machen sich die Mörder von Enver lustig über die Opfer. Es gibt auch ein grausames Foto, dass unmittelbar nach der Tat von Simsek gemacht worden ist. Derartige Beweismittel werden in dieser Verhandlungswoche mehrfach zu sehen sein. Semiya Simsek bleiben sie erspart, sie ist nicht in München. Sie muss sich um ihr neugeborenes Kind kümmern.

Zunächst wollte das Gericht gestern zwei Polizeibeamte hören, die damals die Tatort-Ermittlungen geführt hatten. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe schweigt hartnäckig. Es spricht nichts dafür, dass sie diese von den Verteidigern gewählte Taktik wechseln wird. Sie ist als Mittäterin bei allen NSU-Attentaten beschuldigt und soll die legale Fassade des Trios geschaffen haben. Als einzige Tat, die sie direkt begangen haben soll, ist die Brandstiftung in der Zwickauer Wohnung des Trios angeklagt. Angeblich wollte sie Spuren vernichten. Dazu wurde gestern auch ein Handwerker vernommen, der zum Zeitpunkt der Brandstiftung in der Nähe gearbeitet hatte.

Der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichtes teilte allen Verfahrensbeteiligten die Daten für 113 zusätzliche Verhandlungstage mit. Als letzter Prozesstag ist nun der 18. Dezember 2014 vorgesehen. Ob das für eine Urteilsfindung ausreicht, wird bereits bezweifelt. Bislang hatte der Strafsenat den 16. Januar 2014 als Ende gesetzt.

Unterdessen gibt es weitere Indizien dafür, dass Landes- und Bundesverfassungsschützer noch immer nicht die volle Wahrheit sagen. Scheibchenweise tasten sich die noch ermittelnden Parlamentarier zu neuen Erkenntnissen vor.

Bereits vor Wochen war bekannt geworden, dass das Thüringer Landesamt »jemand« im »Nahbereich« des jetzt angeklagten NSU-Unterstützers Ralf Wohlleben geführt hat. Es handelte sich um eine Friseurin aus Jena, die damals Wohllebens Freundin war. »Getippt« hatte sie nach nd-Informationen der V-Mann und Führer des Thüringer Heimatschutzes Tino Brandt. Auch er steht auf der Zeugenliste des Münchner Gerichts.

Brandt soll gesagt haben, die junge Frau habe finanziellen Bedarf. In den Jahren 1998 und 1999 lieferte »Jule« dann Informationen aus dem Privatleben ihres Freundes, über dessen Einkommen und Kontakte zu anderen Neonazis. Dafür soll sie einige hundert Mark bekommen haben. Der Geheimdienst soll sie auch gebeten haben, ein Handy aus der Wohnung des NPD-Funktionärs zu beschaffen. Mit dem Gerät, so meinte man, habe Wohlleben Kontakt zu den drei untergetauchten Jenaer Bombenbastlern, die sich zu NSU-Mördern entwickelten. Die offenbar stümperhaft geplante Handy-Operation schlug fehl.

In ihrer Vernehmung durch das Bundeskriminalamt (BKA) im Januar 2012 gab Juliane W. an, keinen Kontakt zu den Gesuchten gehabt zu haben. Sie habe Wohlleben mehrfach nach ihnen gefragt, jedoch nie Auskunft erhalten. Das BKA und damit der Generalbundesanwalt gehen davon aus, dass die Informantin eine unwissende Gehilfin ihres Freundes war.

Gestern traf sich der NSU-Untersuchungsausschuss des Bayrischen Landtages zum letzen Mal. Die Kritik an den Sicherheitsbehörden in Bayern ist vernichtend. SPD und Grüne sehen ein klares Versagen. Für beide Parteien steht fest, dass es zu einer Neuordnung des Amtes kommen muss. Die Forderung nach Abschaltung aller V-Leute wollen CSU, FDP und Freie Wähler nicht mittragen.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 10. Juli 2013


»Nicht optimal«

NSU-Terror: Bayerns Untersuchungsausschuß berät über Abschlußbericht. Neben SPD und Grünen geben die »Freien Wähler« womöglich ein weiteres Minderheitenvotum ab

Von Claudia Wangerin **


Welche Konsequenzen soll Bayern aus der bundesweiten Mordserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) ziehen, die sich zur Hälfte in dem Freistaat mit den sonst so wachsamen Sicherheitsbehörden abgespielt hat? Während am Dienstag bekannt wurde, daß im Prozeß gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe und vier weitere Angeklagte vor dem Oberlandesgericht München bereits Verhandlungstermine bis Dezember 2014 angesetzt sind, hat der Untersuchungsausschuß des Landtags in einer nichtöffentlichen Sitzung über seinen Abschlußbericht beraten. Am heutigen Mittwoch soll das Dokument gegen zehn Uhr in den Druck gehen, der genaue Inhalt war bei Redaktionsschluß noch nicht bekannt.

Bereits am Montag hatten die Vertreter von SPD und Grünen bei einer Pressekonferenz den Entwurf eines Minderheitenvotums vorgestellt, in dem sie weitergehende Konsequenzen fordern als CSU und FDP. Deren Abgeordnete Otmar Bernhard, Winfried Bausback, Manfred Ländner und Martin Neumeyer (alle CSU) sowie der FDP-Vertreter im Ausschuß, Andreas Fischer, hatten in ihrem Mehrheitsentwurf zwar erklärt: »Auch bei bayerischen Sicherheitsbehörden kam es zu Fehlern und Fehleinschätzungen«. Einen »Kardinalfehler« sieht Bernhard, der als stellvertretender Ausschußvorsitzender am Montag ein Resümee abgab, allerdings nicht. »Die Aussage des ›Versagens der Sicherheitsbehörden‹ kann in ihrer Plausibilität nicht auf die einzelnen handelnden Beamten übertragen werden«, heißt es im Mehrheitsentwurf von CSU und FDP. Der Verfassungsschutz habe sich »als Instrument der wehrhaften Demokratie grundsätzlich bewährt«. Er sei zwar »zu Recht dafür kritisiert« worden, »daß ihm die Existenz der Terrorgruppe NSU nicht bekannt geworden ist«. Fazit: »Der Verfassungsschutz darf nicht abgeschafft, sondern muß durch Reformen gestärkt werden, so wie dies im übrigen auch von den Innenministerien der SPD-regierten Länder gesehen wird.«

Im bayerischen Landtag sind SPD und Grüne allerdings traditionell in der Opposition und waren dies auch während der gesamten NSU-Mordserie, die im Jahr 2000 in Nürnberg mit dem Mord an dem Blumenhändler Enver Simsek begann – so wie 1980, als ein angeblicher Einzeltäter mit Kontakten zur rechten Szene eine Bombe am Haupteingang des Münchner Oktoberfests deponierte. Wegen des nahen Endes der Legislaturperiode war der jetzt abgeschlossene Untersuchungsausschuß aber nur bis ins Jahr 1994 zurückgegangen. Mit Franz Schindler stellte die SPD seinen Vorsitzenden, als zweite Sozialdemokratin arbeitete Helga Schmitt-Bussinger mit, die Grünen vertrat Susanna Tausendfreund.

Im Entwurf des Sondervotums von SPD und Grünen heißt es, das Landesamt für Verfassungsschutz könne »in seiner bisherigen Form nicht mehr weiter bestehen«. Seine Aufgaben müßten »klarer definiert« und insbesondere auf die Beobachtung »gewaltorientierter und rassistisch motivierter Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung« konzentriert werden. Die parlamentarische Kontrolle des Landesamtes müsse gestärkt werden, heißt es weiter. Zur Verbesserung seiner Analysefähigkeit müsse »der in der Zivilgesellschaft und den Sozialwissenschaften vorhandene Sachverstand genutzt« und ein wissenschaftlicher Beirat installiert werden.

Als »dogmatisches Leitbild der Inlandsgeheimdienste« kritisieren die bayerischen Abgeordneten von SPD und Grünen die »Extremismustheorie« und bemängeln, daß es »bis heute keine allgemein anerkannte Definition von ›Extremismus‹« gebe.

Einer der wichtigsten Streitpunkte bleibt jedoch der Einsatz von V-Leuten, an dem CDU und FDP festhalten wollen. Nach dem Willen von SPD und Grünen soll das Landesamt darauf grundsätzlich verzichten. Statt dessen sollten »nach richterlicher Genehmigung verdeckte Ermittler eingesetzt« werden.

Der Vertreter der »Freien Wähler« im Untersuchungsausschuß, Michael Piazolo, nannte das Vorgehen der anderen beiden Oppositionsfraktionen, noch vor der Abschlußsitzung den Entwurf eines Sondervortums vorzustellen, am Montag »bedauerlich« und »nicht optimal«. Seine Fraktion behalte sich aber ein eigenes Minderheitenvotum vor, falls im Mehrheitsbericht nicht zum Ausdruck komme, »daß die Bayerische Staatsregierung für die über zehnjährige Nichtaufklärung der beispiellosen Neonazimordserie eine große politische Mitverantwortung trägt«, erklärte Piazolo.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 10. Juli 2013


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