Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Geheimdienst im Fokus

NSU-Prozeß: Zschäpe-Anwälte beantragen Protokolle der Untersuchungsausschüsse. Nebenkläger gegen Abtrennung eines Verfahrens zum Kölner Nagelbombenanschlag

Von Claudia Wangerin *

Die Verteidiger von Beate Zschäpe haben im Prozeß um die Mord- und Anschlagsserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) eine Unterbrechung für die gesetzliche Höchstdauer von drei Wochen beantragt – in dieser Zeit wollen Sie Einsicht in Protokolle der Untersuchungsausschüsse zum Neonaziterror in Thüringen, Sachsen, Bayern und dem Bund nehmen. Kopien dieser Vernehmungsprotokolle, die auch nichtöffentliche Zeugenaussagen von Geheimdienstmitarbeitern dokumentieren, sind Gegenstand eines weiteren Antrags – sie seien für eine ordnungsgemäße Verteidigung unabdingbar, sagte Zschäpes Anwalt Wolfgang Stahl am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht München. Darüber hinaus beantragten Zschäpes Verteidiger die Ablösung zweier Anklagevertreter: Bundesanwalt Herbert Diemer habe dem Gericht nicht sämtliche Akten vorgelegt; Oberstaatsanwältin Anett Greger habe öffentlich Wertungen über das Verhalten Zschäpes am ersten Prozeßtag abgegeben. Über die Anträge wurde noch nicht entschieden.

Nicole Schneiders, Anwältin des mutmaßlichen NSU-Terrorhelfers Ralf Wohlleben und frühere NPD-Politikerin, hatte zuvor die Aussetzung des Verfahrens »wegen Unvollständigkeit der Akten« beantragt. Unter anderem fehle der Verteidigung Wohllebens Aktenmaterial über den Aufenthalt von Beate Zschäpe im Jenaer Polizeirevier am 8. November 2011 – in den ersten Stunden, nachdem sich die Hauptangeklagte gestellt habe. Es werde »gemunkelt«, daß Zschäpe dort von Beamten des Verfassungsschutzes aufgesucht worden sei. Auch hätten Wohllebens Anwälte keine umfassende Einsicht in die Akten über den hessischen Verfassungsschützer Andreas Temme, der 2006 am Tatort des Mordes an Halit Yozgat in Kassel gewesen sei, bemängelte Schneiders.

Direkt im Anschluß verlangte sie die Einstellung des Verfahrens gegen ihren Mandanten. Wegen geheimdienstlicher Verstrickungen in die Straftaten und der »medialen Vorverurteilung« Wohllebens als »Terrorhelfer« sei ein faires und rechtsstaatliches Verfahren nicht mehr möglich. Als Teil der »Vorverurteilung« sieht Schneiders auch die Tatsache, daß von »rassistischen Verbrechen« die Rede sei und Opferfamilien finanzielle Entschädigung erhalten hätten.

Nebenklageanwalt Thomas Bliwier, der die Angehörigen von Halit Yozgat vertritt, nannte die angeblichen Verfahrenshindernisse »heiße Luft und nicht mehr«. Die Altakten über den Kasseler NSU-Mord könnten bei der Bundesanwaltschaft eingesehen werden.

Am Nachmittag standen im Gerichtsaal erstmals die Belange der Opfer im Mittelpunkt: Mehrere Nebenklagevertreter sprachen sich energisch gegen den Vorschlag des vorsitzenden Richters Manfred Götzl aus, den Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße vom Verfahren abzutrennen. Entsetzt hätten ihre Mandanten auf die Möglichkeit reagiert, die Götzl am Dienstag nachmittag ins Spiel gebracht hatte.

Eine Abtrennung würde die juristische Aufarbeitung des Anschlags um Jahre verzögern. Die Verletzten könnten sich dann »als Opfer zweiter Klasse fühlen« sagte Nebenklagevertreterin Monika Müller-Laschet. Mehrere Anwälte äußerten die Befürchtung, das Verfahren könne in diesem Fall sogar eingestellt werden, wenn die Angeklagten wegen anderer Taten hohe Strafen bekämen. »Dann fallen 31 versuchte Mordtaten nicht weiter ins Gewicht«, warnte Rechtsanwalt Alexander Hoffmann.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 16. Mai 2013


Zurück zur Seite "NSU-Prozess in München"

Zurück zur Homepage