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"Kriegen Sie nichts raus!"

Jahresrückblick 2013. Heute: Die NSU-Affäre. Vor zwei Jahren flog der "Nationalsozialistische Untergrund" auf. Mittlerweile herrscht wieder Normalität

Von Sebastian Carlens *

Als die große Koalition am 17. Dezember Klaus-Dieter Fritsche (CSU) zum neuen Staatssekretär für Geheimdienste ernannte, war die Staatsaffäre um den »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) ein Fall für das Geschichtsbuch geworden. Fritsche, einst stellvertretender Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), bekam denselben Posten, den er bereits als Geheimdienstkoordinator des Kanzleramtes unter der ersten SPD-Unions-Koalition 2005 bis 2009 innehatte, wieder – allerdings im Rang deutlich aufgewertet. Er gehört zu denjenigen, die seit 1998 beruflich eng mit dem Fall dreier untergetauchter Neonazis aus Jena zu tun hatte – und nicht nur nichts zu ihrer Ergreifung beitrug, sondern vielmehr einiges dafür tat, die jugendlichen Rechten, die später das Killerkommando NSU bilden sollten, entkommen zu lassen. Dafür mußte sich der Spitzenbeamte vor einem Jahr vor dem Bundestagsausschuß zum NSU befragen lassen. Passagen aus seinem Behördenschriftverkehr, in denen er – noch im Jahr 2003, nach etlichen Morden – den NSU-Gründern attestierte, »keine Gewalttaten begangen« zu haben und »kein potentielles Unterstützerumfeld« zu besitzen, lesen sich heute wie Hohn. Der Geheimdienstler Fritsche trug so seinen Teil dazu bei, die Fahndung dreizehn Jahre lang scheitern zu lassen. Vor dem Ausschuß sorgte der Beamte schließlich für einen Eklat, der zur Unterbrechung der Sitzung führte. Nach einer Medienschelte bemängelte Fritsche »beißende Kritik, Hohn und Spott«, die nun »über einen ganzen Berufszweig von Polizisten und Verfassungsschützern« ausgeschüttet würden. Da platzte dem Ausschußvorsitzenden Sebastian Edathy (SPD) der Kragen: Es gebe »Grenzen dessen, was man hier hinnehmen muß«, befand der Politiker. Fritsches Versagen sei »unverzeihlich«, es gebe »kein Vertrauen« mehr in ihn, so die SPD damals. Kaum war die große Koalition installiert, kam auch das Vertrauen zurück. Fritsche wurde befördert, er ist nun Kurator aller deutschen Geheimdienste.

Wer erwartet hatte, daß nach dem beispiellosen Skandal um eine mordende Neonazibande, die zehn Morde begangen und dreizehn Jahre lang sämtliche Ermittler der BRD genarrt haben soll, verantwortliche Beamte ihren Hut nehmen müßten, sieht sich getäuscht. Im Gegenteil: Die Dienste, die durch ihre kriminelle »V-Mann«-Politik und großzügige Subventionierung der neofaschistischen Szene erst die Saat für den militanten Neonazismus der 90er Jahre legten, gehen gestärkt aus dem Skandal hervor. Das alte, einst von den Alliierten auferlegte Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten ist aufgeweicht und ausgehöhlt worden: Im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) sitzen 40 Behörden an einem Tisch und tauschen sich über ihre Erkenntnisse aus. Polizeiquellen fließen mit den Daten der Bundes- und Landesämter für Verfassungsschutz, dem Militärischen Abschirmdienst und der deutschen Auslandsspionage zusammen, auch Europol und der Zoll sind beteiligt, ebenso wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die Kapazitäten des einst im November 2011 als ad-hoc-Maßnahme gegen rechts verkündeten Zentrums sind nur ein gutes Jahr später auf alle »Phänomenbereiche des Extremismus« ausgeweitet worden. Neue Superbehörden und mehr Macht für den Verfassungsschutz – das ist das Resultat aus dreizehn Jahren Neonaziterror.

Handelt es sich wirklich nur um ein »Versagen« der Behörden, dem mit mehr Kompetenzen beizukommen ist? Waren die unbestreitbaren Vorfälle – wie die Aktenschredderaktion beim BfV direkt nach Auffliegen des NSU – nur »individuelles Fehlverhalten« einzelner Mitarbeiter, wie dies Fritsche dem Ausschuß weismachen wollte? Wohl kaum: Weiterhin kommen Dinge ans Tageslicht, die es schwer machen, dem angeblichen Kollektivversagen der Ämter und Behörden Glauben zu schenken, das auch im Abschlußbericht des Ausschusses attestiert wurde. Erst im Dezember wurde bekannt, daß der der damalige Vertreter des Präsidenten im Thüringer Landeskriminalamt, Werner Jakstat, möglicherweise höchstpersönlich die Fahndung nach den Neonazis sabotiert hat. Im Juni 2003 soll ein einstiger Jugendfreund eines der NSU-Gründer konkrete Hinweise zum Aufenthaltsort der Terrorbande gegeben haben. Doch die Beamten sollten das Trio gar nicht finden: »Es wurde explizit gesagt: kriegen Sie da nichts raus«, sagte ein beteiligter Polizist im Dezember vor dem Thüringer NSU-Untersuchungsausschuß aus. Dieser Ukas sei »von ganz oben«, also von Jakstat persönlich, gekommen. Im Jahr 2003 hätten noch mehrere dem NSU angelastete Morde verhindert werden können.

Im September 2013 sagte der damals zuständige Oberstaatsanwalt in Gera, Arndt Koeppen, vor dem Thüringer Ausschuß aus, daß 1999 ein Anwalt mit ihm über einen Strafnachlaß für die untergetauchten Neonazis verhandeln wollte. Es waren jedoch keineswegs, wie Koeppen vermutete, die besorgten Eltern der NSU-Gründer gewesen, die den Mann engagiert hatten, sondern der Verfassungsschutz. Ende Oktober 1998 hatte sich ein Mitarbeiter der Behörde an den damaligen Anwalt von Uwe Böhnhardt, Gerd Thaut, gewendet. Koeppen will nicht gewußt haben, daß Thaut vom Geheimdienst geschickt worden war. Die Behörde beglich auch Thauts Honorar von knapp 1500 D-Mark. Der Staatsanwalt vermutete vor den Thüringer Obleuten, daß die Fahndung nach dem Trio scheiterte, weil die Ermittler »verraten« worden seien.

Die Türkische Gemeinde in Deutschland hat im August 2013 einen eigenen Bericht zum NSU veröffentlicht. Darin wird das V-Leute-System als »rechtsfreier Ausnahmezustand« kritisiert. Es gehe um die Bildung »einer Sicherheitsarchitektur« mit dem Verfassungsschutz als »heiligem« Kern. Sowohl die Türkische Gemeinde als auch Die Linke verlangen nach wie vor, den Verfassungsschutz abzuschaffen. Diese Forderung ist mittlerweile eine reine Minderheitenposition. Mehr noch: Die Geheimdienste der BRD sind, zwei Jahre nach Bekanntwerden der rechten Mörderbande, mächtiger als jemals zuvor.

* Aus: junge Welt, Freitag, 27. Dezember 2013


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