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Eine Momentaufnahme

NSU-Terror: Bayerns parlamentarische Aufklärer wollen weitermachen, doch ihr Ausschuß soll noch vor der Wahl einen Abschlußbericht vorlegen

Von Claudia Wangerin, München *

Der bayerische Untersuchungsausschuß zum Neonaziterror soll nach Meinung seines Vorsitzenden Franz Schindler (SPD) und anderer Oppositionspolitiker nicht auf halber Strecke stehenbleiben. »Jeder Abschlußbericht, den man jetzt abgibt, kann eigentlich nur ein Zwischenbericht sein, eine Momentaufnahme«, sagte Schindler am Donnerstag abend gegenüber junge Welt. Am 9. Juli soll über den Inhalt dieser Momentaufnahme abgestimmt werden. Fünf der zehn Morde, die seit November 2011 dem »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) zugeordnet werden, sind in Bayern verübt worden. Fünf Angeklagte müssen sich seit Anfang Mai vor dem Oberlandesgericht München wegen Mittäterschaft oder Hilfeleistungen für die Terrorgruppe verantworten. Während die Dauer des Prozesses – bei drei Verhandlungstagen pro Woche – auf zwei bis drei Jahre geschätzt wird, ist der Zeitplan der parlamentarischen Aufklärer im Landtag an das Ende der Legislaturperiode im Herbst 2013 gekoppelt. In nur 30 Sitzungen sollten sie die Rolle der Sicherheitsbehörden ergründen und Zeugen befragen.

Beim Endspurt war die »Elefantenrunde « gefragt: Innerhalb von zwei Wochen mußten Bayerns früherer Innenminister Günther Beckstein, sein Nachfolger Joachim Herrmann und die Justizministerin des Freistaats, Beate Merk, vor dem Untersuchungsausschuß aussagen. Alle drei CSU-Politiker drückten ihr Bedauern darüber aus, daß die NSU-Mordserie nicht früher gestoppt werden konnte. Grobe Fehler wollte aber keiner von ihnen einräumen. Zuletzt entschuldigte sich die Justizministerin bei den Angehörigen der Opfer. »Ich bedaure das sehr als Vertreterin der Exekutive – vor allen Dingen aber auch ganz persönlich«, sagte Merk am Donnerstag vor dem Ausschuß. Eigene Versäumnisse sieht sie nicht. Über Details der Ermittlungen sei sie nicht informiert gewesen. Das Ministerium sei schließlich keine »Überstaatsanwaltschaft«.

Darum gehe es auch nicht, meint die Vertreterin der Grünen im Untersuchungsausschuß, Susanna Tausendfreund, »sondern darum, sich im Rahmen einer ordnungsgemäßen Amtsausübung wenigstens über gravierende Kapitalverbrechen auf dem Laufenden zu halten«, erklärte sie zur Einlassung Merks. Neun der zehn Morde wurden mit derselben Waffe und nach demselben Muster verübt, zwei der fünf Opfer in Bayern starben während ihrer Amtszeit als Justizministerin, die Merk im Oktober 2003 antrat. Da waren bereits drei Kleinunternehmer türkischer Herkunft in Nürnberg und München erschossen worden. Trotz der bundesweiten Dimension der Mordserie habe sich Merk nie mit der nötigen Zusammenführung der Verfahren beschäftigt, kritisierte Tausendfreund. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann hatte sich am 11. Juni darauf berufen, daß alle besagten Morde vor seinem Amtsantritt im Herbst 2007 passiert seien. Damals seien sie »nicht in besonderer Weise relevant« gewesen, da es keine neuen Erkenntnisse gegeben habe.

Genau das bestreitet einer der polizeilichen Ermittler, die eine Woche später im Ausschuß vernommen wurden: Kriminalhauptkommissar Konrad Pitz will bereits 2007 in einer dienstlichen Besprechung das Kürzel NSU gehört haben. Die Information über dessen Bedeutung sei vom Verfassungsschutz in Thüringen oder Sachsen gekommen. Dabei blieb Pitz auch bei der Gegenüberstellung mit einem Kollegen, der seiner Darstellung widerspricht. Pitz stehe damit zwar »allein auf weiter Flur«, sagte Tausendfreund am Freitag gegenüber junge Welt. Sie sehe aber »kein Motiv«, warum er lügen sollte. Wie Schindler spricht sich auch die Grünen-Politikerin für eine Neuauflage des Untersuchungsausschusses nach der Landtagswahl am 15. September aus. Ebenso Prof. Michael Piazolo, der für die »Freien Wähler« in dem Gremium sitzt. Der Schlußbericht könne »wohl schwerlich eine endgültige Bewertung enthalten «, erklärte Piazolo am Donnerstag. »Möglicherweise empfiehlt sich dann für den kommenden Landtag eine Wiedereinsetzung.«

* Aus: junge Welt, Samstag, 22. Juni 2013


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