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Neue Nazis, alte Ideologie

Jenseits der NPD: Ein Überblick über Strategien neofaschistischter Terrorgruppen und die sogenannten Autonomen Nationalisten

Von Markus Bernhardt *

Nach den Enthüllungen über die neofaschistische Terrororganisation »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU), die ungestört, wenn nicht gar protegiert von den Inlandsgeheimdiensten und Sicherheitsbehörden, mutmaßlich neun Migranten und eine Polizeibeamtin ermorden konnte und diverse Bombenanschläge und Bankraube im gesamten Bundesgebiet verübte, haben Bücher, die sich mit der militanten Neonaziszene befassen, derzeit Hochkonjunktur. Der gerade erschienene Band »Neue Nazis – Jenseits der NPD: Populisten, Autonome Nationalisten und Terror von rechts« hebt sich jedoch von vielen anderen Publikationen positiv ab. Das von Johannes Radke und Toralf Staud, zwei expliziten Kennern der militanten Rechten, verfaßte Buch ist durchgängig verständlich und flüssig geschrieben und bietet eine Fülle an Informationen und Einschätzungen, die vor allem Menschen, die sich in der Vergangenheit nicht mit den in der BRD ihr Unwesen treibenden Neonazigruppen befaßt haben, einen guten Allgemeinüberblick bieten.

Ein Vorzug des Buches besteht außerdem darin, daß nicht versäumt wird, auch über die antimuslimischen Hetzer der rechten Kleinstpartei »Pro Deutschland« und die Internetseite »Politically Incorrect« zu informieren. Die trügen seit geraumer Zeit ihre angebliche Israel-Freundlichkeit vor sich her und unterliefen, so die Autoren, »so das Rechtsextremismus-Radar«, weil der »für die Szene sonst so typische Antisemitismus« fehle.

In einem eigenen Kapitel skizzieren die Autoren zudem die historische Entwicklung des neofaschistischen Terrorismus, der keineswegs erst mit den Anschlägen und Morden des NSU-Netzwerkes begann, wie es heutzutage nicht selten seitens der etablierten Politik dargestellt wird. So zeichnen Radke und Staud die Entstehungsgeschichte des braunen Terrors nach, der bereits im Jahr 1944 mit der Organisation »Werwolf« seinen Lauf nahm, die der damalige Reichsführer SS Heinrich Himmler ins Leben gerufen hatte. Im Rahmen besagter Organisation sollten Kleingruppen von faschistischen Überzeugungstätern in bereits von den Alliierten befreiten Teilen Deutschlands gezielte Sabotage- und Terroraktionen durchführen.

Der Mythos existierender »Werwolf«-Einheiten habe sich bis in die 1950er Jahre gehalten, konstatieren die Autoren, und noch heute kursiere in der Naziszene das Buch »Werwolf – Winke für Jagdeinheiten«, in dem der SS-Hauptsturmführer Arthur Erhardt »grundlegende Regeln für den Partisanenkrieg« formulierte. Das Buch, welches zeitweise auch im Angebot der NPD-Zeitung Deutsche Stimme war, dürfte indes nicht unwesentlich dazu beigetragen haben, daß bis 1992 in Brandenburg die Neonazigruppierung »Werwolf Jagdeinheit Senftenberg« ihr Unwesen trieb.

Ein »Filetstück« des Buches stellt indes ein mit einem ehemaligen Dortmunder Neonazi geführtes Interview dar. Dieser war insgesamt acht Jahre bei den sogenannten Autonomen Nationalisten des vor wenigen Tagen vom nordrhein-westfälischen Innenminister Ralf Jäger (SPD) verbotenen »Nationalen Widerstands Dortmund« aktiv. Im Gespräch schildert er seine Erfahrungen in der als äußerst aggressiv und gewalttätig geltenden rechten »Kameradschaft«. Der junge Mann kam mit 16 das erste Mal mit Neonazis in Kontakt und wandelte sich über die Jahre von einem Naziskin hin zu einem »Autonomen Nationalisten«. Diese hatten ab Anfang der 2000er Jahre nach und nach den Lifestyle der radikalen Linken kopiert und versuchen damit noch heute, vor allem bei Jugendlichen zu punkten, die mit der althergebrachten NS-Verherrlichung besagter Organisationen nur schwer zu ködern wären.

Eindrucksvoll beschreibt der Naziaussteiger die Widersprüche zwischen Ideologie und Handeln der militanten Rechten, die etwa »meilenweit« von den von ihnen propagierten »deutschen Tugenden« entfernt seien. Das Gespräch mit dem ehemaligen Neonazi bietet zudem einen Einblick in die Organisation von Anschlägen und Angriffen, wie sie seitens der Dortmunder »Autonomen Nationalisten« kontinuierlich – und weitgehend0 auch ungestört von der Polizei – gegen ihre Gegner verübt wurden. Das Nichtstun der zuständigen Behörden bestätigt auch der ehemalige rechte Aktivist: »Ich habe es damals so empfunden, daß die Polizei kaum gegen uns vorgegangen ist. Solange die Öffentlichkeit kaum auf den Rechtsextremismus schaute, hat auch die Polizei nicht wirklich interessiert, was wir gemacht haben«.

Toralf Staud, Johannes Radke: Neue Nazis – Jenseits der NPD: Populisten, Autonome Nationalisten und der Terror von rechts. KiW 2012, 272 Seiten, 9,99 Euro

* Aus: junge Welt, Montag, 27. August 2012


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