Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Dreipunktekatalog gegen Antisemitismus

LINKE im Bundestag beschloss Verhaltensregeln für Abgeordnete und Mitarbeiter

Von Uwe Kalbe *

Die Fraktion der LINKEN im Bundestag hat sich in einem Beschluss erneut gegen Antisemitismus ausgesprochen. Einstimmig. Dennoch begleitet Unbehagen die Abstimmung.

Fünf Abgeordnete nahmen nicht teil und mehr als zehn verließen die Sitzung, als es soweit war. So schildern es Teilnehmer der Fraktionssitzung am Dienstag, in der über einen Antrag gegen Antisemitismus abgestimmt wurde. Darin heißt es: »Wir werden uns weder an Initiativen zum Nahost-Konflikt, die eine Ein-Staaten-Lösung für Palästina und Israel fordern, noch an Boykottaufrufen gegen israelische Produkte noch an der diesjährigen Fahrt einer ›Gaza-Flottille‹ beteiligen. Wir erwarten von unseren persönlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den Fraktionsmitarbeiterinnen und Fraktionsmitarbeitern, sich für diese Positionen einzusetzen.« Die Teilnahme dreier früherer Abgeordneter an der ersten Flottille, die von israelischem Militär in einer blutigen Aktion aufgebracht worden war, sorgt bis heute für Debatten über eine Verbrüderung von Linkspolitikern mit der Hamas.

Ihren vorläufigen Höhepunkt hatten die Vorwürfe in einer Aktuellen Stunde des Bundestages gefunden, in der der von allen übrigen Fraktionen vehement vorgetragene Vorwurf des Antisemitismus bis zur Forderung nach Ausschluss von Abgeordneten der LINKEN aus dem Bundestag reichte. Am Dienstag wurde das Unbehagen vieler Linksabgeordneter darüber deutlich, dass der öffentlich auf der Partei lastende Druck in dem Antisemitismusbeschluss nun quasi auf die Fraktion übertragen wird. So macht etwa Andrej Hunko keinen inhaltlichen Widerspruch geltend. Der Abgeordnete hatte nach einer persönlichen Erklärung den Saal verlassen, ihm folgten weitere, darunter etwa Ulla Jelpke, Christine Buchholz, Kathrin Vogler, Harald Koch und Nicole Gohlke. Statt sich mit den Vorwürfen offensiv auseinanderzusetzen, folge die Fraktion mit ihrem Beschluss der Logik der Anwürfe selbst, so Hunko gegenüber ND. Er sehe darin eine unangebrachte Geste der Unterwerfung.

Dass der Beschluss trotz heftiger Debatte einstimmig erfolgte, erklären Teilnehmer auch mit dem persönlichen Einsatz von Fraktionschef Gregor Gysi, der quasi sein Amt zur Disposition gestellt habe. Von »erpresserischen Elementen« ist die Rede. Dabei wird der Beschluss offenbar von niemandem in Frage gestellt. Er bestätige nur, was die Fraktion bereits vorher beschlossen habe. Und auch Gesine Lötzsch, Fraktionsvize und Parteivorsitzende, hat offenbar Mühe, im neuerlichen Bekenntnis einen Nutzen zu erkennen. Auf die entsprechende Frage antwortete sie ausweichend, die Partei habe zum Antisemitismus bereits »einen eindeutigen Beschluss gefasst. Einziges Kriterium für die Bewertung unserer Initiativen muss sein, ob sie zur Lösung des Nahostproblem beitragen.« Abgeordnete wie Jan Korte, Steffen Bockhahn und Caren Lay hingegen begrüßen gegenüber ND den Beschluss als notwendige und willkommene Klarstellung, die den nötigen Druck entfalte. Er sehe darin auch ein »Zeichen an Leute wie Andrej Hermlin«, so Korte. Der Musiker Hermlin hatte Kritik am angeblichen Antisemitismus der LINKEN jüngst in drastischen Worten deutlich gemacht.

* Aus: Neues Deutschland, 9. Juni 2011


Untauglich

Von Jürgen Reents **

Waren Hannah Arendt, Martin Buber, Albert Einstein und die Mitstreiter linkszionistischer Strömungen wie Brit Shalom Antisemiten? Sie engagierten sich für einen säkularen, demokratischen Staat, in dem Juden und Araber gemeinsam leben. Buber warnte einst: »Das Nebeneinander zweier Völker auf dem gleichen Territorium muss, wenn es sich nicht zum Miteinander entfaltet, zum Gegeneinander ausarten.« Ihre binationale Idee zerbrach an der unnachgiebigen, sich gegenseitig bedingenden Haltung arabischer Nationalisten wie der Mehrheit der zionistischen Bewegung: Die einen wollten keine weitere jüdische Einwanderung in das frühere »Mandatsgebiet Palästina« dulden, die anderen ausdrücklich einen »jüdischen Staat Israel« gründen. Der Traum eines gemeinsamen Staates wurde auf unabsehbare Zeit irreal, ist es nach all dem gewachsenen Unfrieden heute wohl mehr denn je.

Solche Ideen nun aber als antisemitisch zu geißeln, blieb der Linksfraktion vorbehalten. Ihr Beschluss zeugt – und das ist die vorsichtigste Formulierung – von geschichtlicher Unkenntnis. Die treffendere ist: Die Bundestags-LINKE versucht sich mit untauglichen Argumenten bis hin zum Denkverbot vor Vorwürfen des Antisemitismus zu schützen, die ihre Abgeordnete Luc Jochimsen noch kürzlich im Bundestag als »Stimmungsmache« zurückgewiesen hat. Zu glauben, dass damit eine klärende Antwort auf in der Tat nötig zu beantwortende Fragen gefunden wurde, ist ideologische Selbsttäuschung.

** Aus: Neues Deutschland, 9. Juni 2011 (Kommentar)


Maulkorb für Linke

Von Rüdiger Göbel ***

Die Linke im Bundestag untersagt per Fraktionsbeschluß Abgeordneten und Mitarbeitern eine Teilnahme an der diesjährigen Gaza-Solidaritätsflotte. Darüber hinaus werde man sich »weder an Initiativen zum Nahost-Konflikt, die eine Ein-Staaten-Lösung für Palästina und Israel fordern, noch an Boykottaufrufen gegen israelische Produkte« beteiligen, heißt es in einer am Mittwoch unter der Schlagzeile »Entschieden gegen Antisemitismus« verbreiteten Stellungnahme. Eine entsprechende Entschließung sei von den Linke-Parlamentariern »einstimmig« verabschiedet worden. Tatsächlich ging dem Dekret eine lange und lautstarke Debatte voraus, in der Fraktionschef Gregor Gysi nach jW-Informationen mit der Niederlegung seines Vorsitzes gedroht hat.

Am Ende stimmte nicht einmal die Hälfte der 76 Linke-Parlamentarier dafür. Kritiker des als »Maulkorb« bewerteten Nahost-Ukas hatten vor dem Votum entrüstet den Sitzungssaal verlassen, darunter die Abgeordneten Christine Buchholz, Annette Groth, Heike Hänsel, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Harald Koch und Niema Movassat. Mit ihrem Abgang wollten sie wohl eine Gysi-Demission und einen politischen Eklat verhindern. Eingeleitet wird die vom Fraktionsvorstand initiierte und über das Münchner Magazin Focus am Montag vorab lancierte Nahost-Entschließung nämlich perfiderweise mit der Feststellung: »Die Abgeordneten der Fraktion Die Linke werden auch in Zukunft gegen jede Form von Antisemitismus in der Gesellschaft vorgehen. Rechtsextremismus und Antisemitismus haben in unserer Partei heute und niemals einen Platz. Die Fraktion Die Linke tritt daher entschieden gegen antisemitisches Gedankengut und rechtsextremistische Handlungen auf.« Man kann sich die Schlagzeilen der Mainstreammedien gut vorstellen, hätte es hier Nein-Stimmen gegeben.

Parteirechte um den Vizefraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und die stellvertretende Linke-Bundesvorsitzende Katja Kipping hatten im Vorfeld der Debatte offensichtlich massiv Druck auf Gysi ausgeübt. Der sprach in der rund vierstündigen Sitzung davon, mit SMS förmlich bombardiert worden zu sein, in der Fraktionsmitglieder offen mit Spaltung oder einem Wechsel zur SPD gedroht hätten. Während der Debatte am Dienstag wurden von Fraktionskollegen namentlich Bartsch Spaltungsversuche vorgeworfen. Heike Hänsel unterstellte, die Nahost-Debatte werde geführt, um den Weg für eine zukünftige rot-grüne Regierungsbeteiligung zu ebnen. Der Parlamentarische Geschäftsführer Ulrich Maurer kritisierte, Holocaust und Antisemitismus-Vorwürfe würden offensichtlich für den innerparteilichen Machtkampf instrumentalisiert. Ein solches Vorgehen sei »widerlich«.

Auf jeden Fall spielen die Begründungen des Maulkorberlasses in anderen europäischen Ländern und bei israelischen Linken keine Rolle. So nannte Pierre Laurent, nationaler Sekretär der Kommunistischen Partei Frankreichs und Präsident der Europäischen Linkspartei, deren Mitglied auch die Partei Die Linke ist, am Mittwoch vergangener Woche auf einer stark besuchten Unterstützerversammlung in Paris die in der kommenden Woche bevorstehende Entsendung eines französischen Schiffs an die Küste von Gaza als politische Demonstration. Es gelte nicht, den karitativen Zweck zu betonen, sondern die Absicht, den israelischen Belagerungsring zu durchbrechen. Führende Vertreter linker französischer Organisationen sowie der Gründer des israelischen Komitees gegen Hauszerstörungen, Jeff Halper, richteten Grußworte an das Meeting.

*** Aus: junge Welt, 9. Juni 2011


Zurück zur Seite "Rassismus, Antisemitismus und Neofaschismus"

Zur Parteien-Seite

Zur Israel-Seite

Zurück zur Homepage