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Gemütsruhe? Narrheit

Felicia Langer und ihr Buch "Um Hoffnung kämpfen"

Von Hans-Dieter Schütt *

Noch nie hat sie ein Buch schreiben können, ohne sehr, sehr persönlich zu werden. Weil sie ihr Dasein nie einteilen konnte ins Private und Berufliche; der Beruf kam von einer Berufung, die Berufung gemeindete alles ein, was sie lebte. Felicia Langer (Foto: dpa). Das neue Buch, »Um Hoffnung kämpfen«, setzt die »goldene« Hochzeitsfeier mit ihrem Mann Mieciu an den Beginn, ein Brief ihres Enkels David beschließt den Band. Wieder ein mit Zorn, trotziger Zuversicht geschriebener Bericht über eine Familie, die eingebunden ist in den erschütternden Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern - das Lebensthema dieser mutigen, zähzarten Frau.

In gewisser Weise hat sie so eine Autobiografie geschrieben, die nie endete; sie fing irgendwann mit einem Buch an, dem folgte ein zweites, viele weitere - persönlichste Empfindungen, Erlebnisse mit den Enkeln, Begegnungen mit Freuden und harte Konfrontationen mit Gegnern, die ihr militant propalästinensisches Ideologisieren vorwarfen; alles hat dieses Leben geformt, formt es weiter, hält es in spannender wie schmerzender Unruhe. Ihr Sohn heißt Michael, ein Jude, im Buch taucht der Satz auf, der diese Mutter erklärt: »In allen palästinensischen Kindern sehe ich meinen Sohn Michael.«

Am 9. Dezember 1930 wird sie in Polen geboren. Eine Jüdin. Die Familie flieht vor den Nazis in die Sowjetunion. Nach dem Tod ihres Vaters emigriert sie 1950 mit ihrem Mann Mieciu - er überlebte fünf Konzentrationslager - nach Israel. Sie studiert Jura, wird 1965 als Anwältin zugelassen, und nach dem so genannten Sechs-Tage-Krieg 1967 lässt sie sich als Rechtsanwältin in Jerusalem nieder. Über zwanzig Jahre verteidigt sie palästinensische Häftlinge gegen die israelischen Besatzer.

Felicia Langer ist die erste und eine beträchtliche Zeit lang die einzige Anwältin, die sich für verfolgte, verurteilte Menschen in den besetzten Gebieten einsetzt. 1990 schließt sie aus Protest gegen Israels immer brutal-frecher werdende Staatspolitik den Palästinensern gegenüber und wegen des korrupten Rechtssystems ihr Anwaltsbüro - um nicht länger als Alibi für ein System fortgesetzter Menschenrechtsverletzungen zu gelten. Sie gibt auf - und macht doch weiter, als Autorin, als unermüdliche Vortragsreisende für die Würde des palästinensischen Volkes. Seit 1990 lebt sie in Tübingen. Im gleichen Jahr ihrer Übersiedlung nach Deutschland, an ihrem 60. Geburtstag, wird sie mit dem Alternativen Nobelpreis, dem »Right Livelihood Award«, ausgezeichnet.

Das vorliegende Buch variiert ihre geradezu sture, nicht mal listige, sondern sehr direkte Technik, in einem fort und mit plötzlichsten Wendungen, die bei ihr etwas faszinierend Eintrainiertes besitzen, auf das Schicksal des palästinensischen Volkes zu verweisen. Ihr Kernpunkt: Anklage israelischer Staatspolitik. Radikal. Sie bemüht nicht mal mehr trojanische Pferde, sie stürmt selber los, erkenntlich, sehr erkenntlich. Tarnt sich nicht, offenbart sich in jedem Wort, das sie sagt, als Frontenzieherin.

Eine Frau mit Auftrag; den kann man ihr geben, aber jeder, der diese Frau zu einem Gespräch, zu einem Vortrag einlädt, weiß um ihre Mission; dort, wo sich niemand findet für besagten Auftrag, gibt sie ihn sich selbst. Und stets ist es der gleiche Auftrag. Immer wirkt sie, als habe sie jede öffentlichkeitsbewusste Frau, weil es nicht genug Öffentlichkeit für Palästinenser geben kann.

Sie erzählt von ihren Auftritten, etwa auf Kundgebungen in Tübingen, sie sucht beharrlich nach differenzierenden israelischen Stimmen, sie verweist immer wieder auf Beispiele der aktuellen Nahost-Debatte, die in puncto Israel eine Instrumentalisierung der deutschen Schuld betreiben - um Kritik an Israels Palästinenser-Politik zu entschärfen. Ein Forum in Herzogenaurach schildert sie, das sich zu einer wütenden Attacke gegen die Kämpferin ausweitet. Sie wird beschimpft, spricht von einer intoleranten »pro-israelischen Lobby«. Kein Zufall, dass sich an diesen Bericht Szenen einer ungewöhnlich scheinenden Freundschaft anschließen: Langer lernt Evelyn Hecht-Galinski kennen, Tochter von Heinz Galinski, mehrjährigem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Auch an der Universität Bonn muss Felicia Langer Störer ertragen, sie wehrt sich, sie kann nicht »gemütsruhiger Narr« sein, wie es auch Erich Mühsam nicht konnte, sie erhielt den Preis, der dessen Namen trägt, sie duldet den Vorwurf der »jüdischen Antisemitin«. Sie konnte nie anders. Es ist eben immer der Charakter, der die Folgen nicht bedenkt. Nur so kommt eine Ethik in die Welt, die eine Ethik des einzelnen Menschen bleibt, dem zu helfen sei. Unübertragbar diese Ethik. Aber das kann eine ganze Welt tragen; auch wenn die Welt darüber lacht, geifert und zur Tagesordnung übergeht.

Felicia Langer: Um Hoffnung kämpfen. Lamuv Taschenbuch. 144 S., 9,90 Euro; ISBN 978-3-88977-688-4

* Aus: Neues Deutschland, 16. Juli 2009


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