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"Botschafterin für eine bessere Welt der gegenseitigen Anerkennung, der Toleranz, der Gerechtigkeit"

Laudatio auf Felicia Langer bei der Verleihung des Erich-Mühsam-Preises

Am 13. März 2005 wurde der israelischen Rechtsanwältin Felicia Langer in Lübeck der Erich-Mühsam-Preis verliehen. Die Laudatio von Werner Ruf, Kassel, dokumentieren wir im Folgenden.


Sehr geehrte Frau Kruse,
Sehr geehrte Damen und Herren,
Liebe Freundinnen und Freunde von Felicia Langer,
Liebe Felicia, lieber Miescu,

es ist für mich eine schier unausprechliche Freude, heute anlässlich der Verleihung des Erich-Mühsam-Preises die Laudatio auf eine Person halten zu dürfen, die sich mit all ihrer Energie und Kraft in herausragender Weise und unermüdlich für Menschenrechte, Frieden und Gerechtigkeit eingesetzt hat. Gerade darum aber ist diese Ehrung, an der ich aktiv teilnehmen darf, durchaus auch eine zweiseitige Sache: Ich darf versuchen, Dir, liebe Felicia, hier mit dieser Ansprache eine Ehrung zuteil werden zu lassen, die du mehr als verdient hast. Die andere Seite dieser Ehrung ist, dass sie von Dir auf mich zurückstrahlt, der ich für eine Persönlichkeit wie Dich die Laudatio halten darf. Ich möchte deshalb all denjenigen, die mich gebeten haben, diese laudatio zu halten, an dieser Stelle für die Ehre danken, die sie mir damit zuteil werden lassen.

Dies ist nicht der erste Preis, den Du erhältst, liebe Felicia. Der erste und Deine Tätigkeit als Menschenrechtlerin in herausragender Weise würdigende Preis war der Right Livelihood Award, gemeinhin als alternativer Nobelpreis bezeichnet, den du 1990 erhalten hast und der erstmals eine internationale Anerkennung Deines Einsatzes für die Leiden der Palästinenser war. Ich will hier nicht alle die Auszeichnungen aufzählen, die Du seither – einschließlich des Bruno-Kreisky-Preises - erhalten hast. Aber ich denke, dieser Preis, den Du heute erhältst, ist insofern etwas Besonderes, weil es eine Vielzahl von Parallelen gibt zwischen Erich Mühsam und Dir. Nein: Nicht weil er Jude war. Ich weiß, dass Du – wie vermutlich Erich Mühsam auch - eine solche Begründung scharf zurückweisen würdest. Eure Gemeinsamkeit ist, dass er – wie Du – durch und durch Mensch war. Ein engagierter und kämpferischer Mensch. Ein Demokrat und ein Verfolgter. Einer der sich für die Unterdrückten einsetzte, für den die Arbeit mit Strafgefangenen eine zentrale menschliche und politische Aufgabe war, der all seine Energien im Kampf für eine bessere Gesellschaft einsetzte, für den die Tätigkeit in der Roten Hilfe nicht primär karitativen, sondern vor allem politischen Charakter hatte. Seine Solidarität galt den Unterdrückten, sein Kampf der Herstellung von Gerechtigkeit. Da war er ein Kompromissloser, ein Radikaler – genau wie Du!

Und er kämpfte für den Frieden, genau wie Du! Zitieren möchte ich aus seinem Manuskript „Die Abrechnung“, das 1916/17 als Pamphlet gegen den Krieg entstand: „Aber dazu bedarf es keiner Prophetengabe, um vorauszusagen, dass ein militärischer Triumph, der Sieger und Besiegte schafft, der es einem Kampfbund gestattet, dem anderen den Fuß ins Genick zu setzen und ihm seine Bedingungen zu diktieren, gewiss nicht den Frieden herbeiführen wird.“

Liebe Felicia, diese Worte erinnern mich an Deine großartige Rede von 1983 im Bonner Hofgarten vor über 500 000 Menschen, die dort gegen die Stationierung der Mittelstrecken demonstrierten. was Mühsam hier sagt, ist immer auch Dein Grundsatz gewesen, der abgewandelt lauten könnte: Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit. Dieser Grundsatz bewegte Dich, als Du als erste israelische Anwältin begannst, Palästinenser zu verteidigen, für ihre Rechte als Menschen, für das Prinzip der Gleichheit und der Gleichbehandlung zu streiten. Welchen Schimpf, welche Schmähungen, ja Erniedrigungen musstest Du dafür ertragen! Dabei warst Du die wirkliche Botschafterin Israels: Du wusstest und weißt, dass die Existenz Israels nur dann gesichert ist, wenn auch die Palästinenser als Menschen in ihrem Staat sicher leben können. Ist es nicht eine Tragödie, dass der Staat Israel gegründet wurde, damit nie wieder Juden das angetan werden kann, was die Nazi-Verbrecher unternommen haben, und dass heute nirgendwo Juden gefährlicher leben als gerade in diesem Staat? Deine Person symbolisiert darüber hinaus - und hier bist Du nicht allein - , dass es auch ein anderes Israel gibt, ein Israel, das nicht waffenstarrend, Menschenrechte verletzend, demütigend und unterdrückend der palästinensischen Bevölkerung entgegentritt, sondern mit Achtung und Respekt vor dem Anderen, der nun einmal der gleichen Gattung angehört: der Menschheit.

Genau in diesem Kampf stehen Du und Mühsam Seite an Seite. So wie er gegen dumpfen und primitiven Nationalismus kämpfte, mit dessen Hilfe die Völker in Kriegen aufeinander gehetzt wurden, so kämpfst Du gegen Nationalismus und Fanatismus, scheust Dich nicht, zuallererst die Regierung Deines Staates, Israels, zu kritisieren – ganz so wie Mühsam das in seiner Anti-Kriegsschrift forderte, und ich will ihn nochmals zitieren, weil ich seine vor fast einhundert Jahren formulierten Sätze noch immer so hoch aktuell finde:
„Des deutschen Volkes! In deutscher Sprache, für deutsche Leser, aus deutschem Empfinden schreibe ich meine Abrechnung. Daher zitiere ich deutsche Sünden vor Gericht … Französische, englische, russische, serbische Kritiker mögen ermitteln, was ihre Führer und Oberen gefehlt haben …“

Ich meine, genau hierum muss es gehen, wenn wir zu Verständigung, gegenseitiger Achtung und letztlich zu einer friedlichen Welt kommen wollen: Wir müssen, jede und jeder für sich, erst einmal vor unserer eigenen Tür kehren! Und genau dies ist Deine Rolle als Botschafterin für eine bessere Welt der gegenseitigen Anerkennung, der Toleranz, der Gerechtigkeit. Aber nach wie vor sind die dümmlich-dumpfen Konstruktionen von Ich- und Wir-Identitäten nicht verschwunden. Im Namen der Nation, der Fahne, des Blutes, der Religion werden Rechte für die Einen beansprucht, den Anderen werden sie abgesprochen. Doch wird es keinen Frieden geben, wenn ein Kollektiv behauptet einem anderen gegenüber Vorrechte zu haben. Dahinter versteckt sich die Arroganz der Macht, die die Moral bemüht, um das Recht mit Füßen treten zu können, die den Anderen entmenschlicht, um die Zufügung von Leid zu rechtfertigen.

Um nichts Anderes geht es, wenn Gewalttäter ihre Gegner als Terroristen bezeichnen, um ihnen jene Rechte abzusprechen, die ihnen als menschliche Wesen auch dann noch zustehen, wenn sie Grausamkeiten vollbracht haben. Und um nichts Anderes geht es, wenn die selbstverständlich Guten die „Achse des Bösen“ definieren und denen, die sie so bezeichnen, damit ihre Rechte als Menschen oder Völkerrechtssubjekte abzusprechen versuchen, oder wenn gar, um bei Deinem Thema zu bleiben, von hochrangigen israelischen Politikern Palästinenser als „zweibeinige Tiere“ bezeichnet werden. Dies ist mehr als eine widerliche Beschimpfung. Es ist die Entmenschlichung des Anderen, dem mit solchen Bildern die elementaren Menschenrechte abgesprochen werden. Dies ist die Sprache der Gewalt, der Barbarei! Es ist der Rückfall in jene Zeit vor 1945, die den Prinzipien der Menschlichkeit und des Rechts Hohn sprach. Diese Sprache und diese Begriffe werden nicht zufällig gewählt: Sie verfolgen auch das Ziel, jene zivilisatorische Tat aus der Welt zu schaffen, die nicht zufällig im Jahre 1945 in der Gründung der Vereinten Nationen gipfelte. Die Abschaffung dieser Organisation, die die Anwendung und Androhung von Gewalt in den internationalen Beziehungen verbietet, ist heute erklärtes Ziel prominenter Mitglieder der derzeitigen US-Administration. Vergessen wir nie: Es waren die Horrortaten der Nazi-Barbarei, die zur Gründung der Vereinten Nationen führten. Und so ist es kein Zufall, dass die allgemeinen Menschenrechte an prominenter Stelle, nämlich in Abs. 3 des Artikels 1 der Charta der Vereinten verankert wurden, nämlich die: „ … Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion. …“

Wenn dieses Gleichheitsprinzip in Frage gestellt wird, wenn es „bessere“ und „schlechtere“, „höherwertige“ und „minderwertige“ Menschen, Rassen, Kulturen gibt, dann gibt es auch bald kein Halten mehr nicht nur vor der Ausgrenzung der „Minderwertigen“, sondern auch vor der Einschränkung von deren Lebensrechten. Der Humanismus und die Aufklärung, auf den sich gerade die westliche Zivilisation und die immer wieder gerühmte einzige Demokratie im Nahen Osten berufen, werden auf den Müllhafen der Geschichte gekehrt, ja pervertiert und geraten zum Rückfall in die Barbarei, wenn die Prinzipien von Gleichheit und Gerechtigkeit verlassen werden. Geradezu obszön wird diese Debatte dann, wenn etwa die sich so nennenden „Antideutschen“ Menschen wie Dich des Antisemitismus beschuldigen und nicht einmal vor Tätlichkeiten zurückschrecken. Die Frage nach der Humanität schert solche Leute nicht: Es geht um die Konstruktion von „guten“ und „bösen“ Kollektiven und wir landen zwangsläufig bei einem Deiner Buchtitel: „Wo Hass keine Grenzen kennt.“ Mit dem als Keule gegen den politischen Gegner gebrauchten Begriff des Antisemitismus werden Kritiker der Mordtaten der Sharon-Regierung – so nenne ich „gezielte Tötungen“ oder „Liquidationen“, ein Unwort aus der Nazizeit – absichtsvoll in einen Topf geworfen mit jenen alten und neuen Nazis, die Läden und Wohnungen anzünden, Menschen zu Tode prügeln und grölend Ausländer durch unsere Straßen hetzen. Mit solch platten Vereinfachungen werden nicht nur Humanisten als Rassisten verunglimpft, der gleiche Mechanismus wird bemüht, um jede Kritik an der derzeitigen Bush-Regierung als Anti-Amerikanismus zu denunzieren – wo es doch gerade diese Kritiker sind, die dieser Regierung den Spiegel der demokratischen und rechtsstaatlichen Traditionen der USA vorhalten!

Vor diesem Hintergrund sind wir Deutsche Dir Respekt schuldig, die Du Opfer des Faschismus bist, und daraus die Lehre gezogen hast, dass Recht, Menschlichkeit und Toleranz die einzigen Prinzipien sind, die gegen individuelle und kollektive Verrohung schützen. Vielleicht, ich weiß es nicht, ist dies der Grund, warum du den Beruf der Anwältin gewählt hast. Und unser Respekt gilt erst recht Deinem Mann, Miescu, der als Kind die Hölle von fünf Konzentrationslagern überlebte und von den Alliierten befreit wurde, und dessen Menschlichkeit und unerschöpflicher Humor uns, die wir ihn kennen, trotz seiner Leiden erhalten geblieben ist. Ihr beide steht, gemeinsam, gegen die menschenverachtende Arroganz von Fanatikern jeder Art, deren Konstruktion hasserfüllte Parolen noch immer Konjunktur haben, und noch immer Eines bewirken können: Die Wiederkehr der Barbarei.

Lass mich, liebe Felicia, Dich zum Schluss mit einer Botschaft zitieren, die Du lange vor der Regierungsübernahme Sharons vor fast zehn Jahren formuliert hast und die – leider – nichts an Aktualität verloren hat:
„Keine Gipfelkonferenz gegen den Terror, unter deren Teilnehmern die Akteure eines straflosen Staatsterrors sind, wird uns davor retten, zu Opfern des Terrors zu werden, sondern nur eine scharfe Kehrtwendung in der israelischen Politik, die eine Zusicherung der legitimen Rechte der Palästinenser zum Inhalt haben muss: das Recht der Selbstbestimmung, das Recht der Flüchtlinge, in ihre Heimat zurückzukehren, das Recht auf Entschädigung für jene, die nicht zurückkehren wollen, das Recht, als Menschen zu leben, frei von unserer Herrschaft und als gleichberechtigte Nachbarn. Wer mit Israel sympathisiert und sein Wohl will, muss ihm diese Richtung anraten …“

Du weißt es, Felicia, dieses Zitat stammt aus Deinem 1996 erschienen Buch mit dem so einfachen wie eindeutigen, wegweisenden Titel „Lasst uns wie Menschen leben“. Dies ist Deine Botschaft.
Ich freue mich, Dich zu diesem verdienten Preis beglückwünschen zu dürfen.


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