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Geschiebe und Gezerre

"Kriegsverrat" zeigt, wie Geschichtsaufarbeitung in Geschäftsordnungstricks zerfasert

Von Frank Brendle *

Es war einer der wenigen parlamentarischen Erfolge der Linksfraktion: 2009 beschloß der Bundestag, die sogenannten Kriegsverräter der Wehrmacht zu rehabilitieren. Zurück ging das auf einen Gesetzentwurf des Linken-Abgeordneten Jan Korte. Die Debatte, die er damit provozierte, bündelte wie in einem Brennglas die bundesdeutsche Aufarbeitungspolitik. »Vieles erlebten wir wie eine Reise in die fünfziger Jahre«, schreiben Korte und sein damaliger Mitarbeiter Dominic Heilig.

Korte arbeitet sich an den Reaktionen der einzelnen Bundestagsfraktionen ab und konfrontiert diese mit wissenschaftlichen Erkenntnissen. Er arbeitet heraus, daß die Weigerung, Naziopfer zu rehabilitieren, dem Selbstverständnis der BRD entsprach. Der Abwehrkampf für die Legende der »sauberen« Wehrmacht fand seine Entsprechung in der Behauptung einer integren Wehrmachtsjustiz.

Der Linken-Antrag war wissenschaftlich abgesichert: Die Militärhistoriker Wolfram Wette und Detlef Vogel wiesen einwandfrei nach, daß der »Kriegsverrats«-Paragraph, der eigentlich nur die Begünstigung feindlicher Mächte meinte, Teil der Naziterrorjustiz war, die schon moralischen Beistand für Kriegsgefangene und Hilfe für Juden mit dem Tode bestrafte.

Doch um Inhalte geht es im Bundestag ja kaum. Man sei »zumeist nur auf ideologische und politische Ignoranz und parteitaktisches Kalkül« getroffen, so Heilig. Letzterem ist geschuldet, daß die Linksfraktion am Schluß zwar erfolgreich war, aber als Initiatorin nicht mehr genannt wurde. Das »Geschiebe und Gezerre hinter den Kulissen« mag, wie Heilig schreibt, »Lehrstoff für jedes politikwissenschaftliche Seminar zur Parlaments- und Debattenkultur« sein. Doch verliert sich das Buch ein wenig zu sehr in der Darstellung der Tricks, Finessen und Rankünen des Parlamentsalltags. Ein Lektorat hätte dem Buch ganz gut getan, weil die einzelnen Beiträge sich zum Teil mehrfach überschneiden. Zudem hinterläßt es unvermeidlicherweise ein »Gschmäckle«, wie emsig Heilig die taktischen Finessen und Netzwerkfähigkeiten seines früheren Chefs würdigt.

Das Beste am Buch ist das biographische Interview mit Ludwig Baumann. Der Wehrmachtsdeserteur, der am 13. Dezember seinen 90. Geburtstag feierte, hatte als Vorstand der »Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz« schon in den 1990er Jahren zunächst bei den Grünen und der SPD, später bei der Linksfraktion Verbündete gesucht und das Thema am Kochen gehalten. Baumann versucht nicht, seine Desertion politisch aufzuladen oder sich einen widerspruchsfreien Lebenslauf zurechtzulegen. »Doch eines weiß ich: Ich wollte auf keinen Fall Soldat sein«. Er betreibt keine Selbstheroisierung und hat Scheu, persönlich zu werden. Nicht er selbst, sondern die Opfer der Nazis stehen für ihn im Mittelpunkt sowie die Grausamkeit des Krieges. Sein Motto: »Kriegsverrat ist Friedenstat.«

Jan Korte/Dominic Heilig (Hrsg.): Kriegsverrat - Vergangenheitspolitik in Deutschland. Karl Dietz Verlag, Berlin 2011, 207 Seiten, 14,90 Euro

* Aus: junge Welt, 19. Dezember 2011


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