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Gericht sieht Kamals Tod als Nazi-Mord

Haupttäter kommt in Sicherungsverwahrung

Von Hendrik Lasch, Leipzig *

Die Tötung von Kamal K. im Oktober 2010 war ein rassistischer Mord. Zu diesem Urteil kam das Landgericht Leipzig, das den Haupttäter für 13 Jahre hinter Gitter und danach in Sicherungsverwahrung schickt.

Der Tod des 19-jährigen Irakers Kamal K., der in der Nacht des 24. Oktober 2010 in einem Park am Leipziger Hauptbahnhof bei einer Schlägerei mit einem Messerstich getötet wurde, hat seinen Grund in der fremdenfeindlichen Gesinnung der beiden Täter. Diese Einschätzung formulierte Hans Jagenlauf, Vorsitzender Richter am Landgericht Leipzig, gestern (8. Juli) in bemerkenswerter Klarheit. »Sie haben das Messer eingesetzt, weil er ein Ausländer war«, sagte Jagenlauf in Richtung des 33-jährigen Haupttäters Marcus E., der deshalb wegen Mordes aus niederen Beweggründen zu einer 13-jährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Anschließend muss er in Sicherungsverwahrung. »Das kann dazu führen, dass Sie die Freiheit nicht wiedererlangen werden«, sagte der Richter.

Der Mittäter Daniel K. wurde wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt. Er hatte die Auseinandersetzung mit Kamal K. begonnen und sei der »eigentliche Provokateur« gewesen, sagte Jagenlauf. Mit dem Urteil ging die Kammer über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinaus. Diese hatte zwar eine Haftstrafe von zwölf Jahren gefordert, aber eine Verurteilung wegen Mordes nicht für gerechtfertigt angesehen. Ausländerhass als Motiv habe sich in der Verhandlung nicht nachweisen lassen, sagte Staatsanwältin Karin Minkus. Dem widersprach die Kammer. Die Gesinnung der Angeklagten sei deutlich, so das Gericht. Es sei deshalb nicht notwendig, dass bei der Tat »demonstrative Parolen« gerufen werden.

Das Urteil stieß im dicht gefüllten Gerichtssaal auf Genugtuung. Kamals Bruder, der als Nebenkläger aufgetreten war, sowie sein Vater kommentierten den Richterspruch mit zustimmendem Nicken. Martin Gillo, der sächsische Ausländerbeauftragte, zollte dem Gericht »Respekt für sein differenziertes Urteil«. Dies zeige, dass Straftaten gegen Ausländer im Freistaat »mit der entsprechenden Härte geahndet werden«. Sebastian Scharmer, der als Anwalt die Mutter des Opfers vertreten und eingangs des Verfahrens eine Verurteilung wegen Mordes gefordert hatte, äußerte sich ebenfalls hochzufrieden. Er hoffe, dass das Urteil ein »Signal« für andere Gerichte sei, die über ähnliche Fälle zu befinden haben.

* Aus: Neues Deutschland, 9. Juli 2011


Kein Signal

Von Markus Drescher **

Es war Mord, ein rassistischer Mord. Kamal K. wurde umgebracht, weil er nicht dem Menschenbild entsprach, dem Nazis eine Daseinsberechtigung in Deutschland zubilligen. Und mögen sich Parlamentnazis auch noch so harmlos und bürgerlich geben, dieser Mord offenbart ein trauriges Mal mehr, dass der Kern völkisch-nazistischer Ideologie die Einteilung in »wertes« und »unwertes« Leben ist und in tödlicher Konsequenz auf die Auslöschung derjenigen hinausläuft, die als »Volksfeinde« identifiziert werden – Migranten, Schwule, Juden, politische Gegner.

Dass ein deutsches Gericht die Nazi-Gesinnung eines Täters als Ursprung der Tat in solcher Deutlichkeit benennt, ist selten. Allzuoft wird rechte Gewalt als unpolitsche Auseinandersetzung unter Jugendlichen, Betrunkenen oder pure Zufallstat dargestellt und heruntergespielt – wie es auch die Staatsanwaltschaft getan hat. Für die ist der Richterspruch absolut beschämend. Wer sich dem Offensichtlichen in diesem Fall derart hartnäckig verschließt, muss sich die Frage gefallen lassen: Absicht oder Unfähigkeit? Beides ist inakzeptabel. Dass es dennoch zu diesem Urteil kam, ist zum einen dem Urteilsvermögen des Richters geschuldet. Zum anderen haben Kamals Familie und Antifaschisten immer wieder auf das rassistische Tatmotiv hingewiesen, haben demonstriert und die mangelhaften Ermittlungen skandalisiert. So zeigt der Fall Kamal K., dass auch in Zukunft dort, wo Behörden augenscheinlich versagen, öffentlicher Druck gefragt ist. Nach mehr als 150 Nazimorden seit 1990, von denen nur ein Bruchteil offiziell anerkannt wird, diesmal auf eine Signalwirkung für Ermittlungsbehörden und Justiz zu hoffen, wäre blauäugig.

** Aus: Neues Deutschland, 9. Juli 2011 (Kommentar)


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