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Brauner Sumpf? Mitnichten!

In Jena setzten 50.000 Menschen ein Zeichen gegen Rechtsextremismus

Von Jenny Becker *

Udo Lindenberg, Peter Maffay und Clueso gehören zu den Musikern, die bei der „Rock'n Roll Arena in Jena“ spielten. Die Stadt, aus der das Nazi-Trio stammt, zeigte mit dem größten Konzert ihrer Geschichte Gesicht gegen rechte Gewalt.

Über der Stadt schwebt ein riesiges Ausrufezeichen. Im Zentrum von Jena leuchtet es gelb in der Dunkelheit. Ein Zeichen, das zu dem Abend passt. Es sind die erhellten Fenster des Intershop-Towers, einem runden Hochhaus und Wahrzeichen der Stadt, die das Symbol in den Himmel malen. Es soll nicht zu übersehen sein, dass an diesem Freitagabend etwas wichtiges gezeigt wird. Zu überhören ist es auch nicht. Aus dem Stadtpark wummern dumpfe Bässe, dazwischen ruft Udo Lindenberg: „Für eine bunte Republik Deutschland!“

Es ist das Motto der Aktion „Rock'n Roll Arena in Jena“. 50.000 Menschen sind gekommen, um sich gegen rechte Gewalt auszusprechen. Und um den kostenlosen Konzerten zu lauschen, von Alt-Rockern wie Udo Lindenberg, Peter Maffay, Silly, aber auch dem erfolgreichen Jungmusiker Clueso. In der 100.000-Einwohner-Stadt hat es einen solchen Auflauf noch nicht gegeben. Entsprechend euphorisch sind die Redner auf der Bühne. Mit Blick auf die dicht gedrängte Menschenmenge sprechen sie von einer „Freitagsdemo“, einer „Volksbewegung“, Clueso nennt es schließlich die „größte Demo gegen Rechts, die es je gegeben hat“. Ganz unrecht hat er nicht, doch ist es keine reine Demonstration. Plakate, Schilder oder Aufkleber hat fast niemand dabei. Auf den ersten Blick könnte man meinen, hier finde ein völlig unpolitisches Festival statt. Aber kaum einer ist nur wegen der Musik gekommen. Egal wen man fragt, alle sind hier „um ein Zeichen zu setzen“. Gegen Rechtsextremismus. Für das Image der Universitätsstadt.

Jena ist in den letzten Wochen in Verruf geraten. Erst stellte sich heraus, dass das rechte Terror-Trio aus der Stadt stammt, dann brandmarkte die ZDF-Sendung „Aspekte“ den Ort als „Teil der ostdeutschen Angstzone“. Diese pauschale Verurteilung sorgte für so viel Empörung, dass sich der Aspekte-Chef am Montag (28. Nov.) in einer Podiumsdiskussion der Frage stellt: „Wie braun ist Jena wirklich?“

Für die Konzertbesucher steht die Antwort schon fest. „Wir sind eine aufgeschlossene Stadt mit vielen ausländischen Studenten, die keine Angst zu haben brauchen“, sagt eine Studentin. Sie steht um 16 Uhr, als das vierstündige Ereignis beginnt, vorne auf der großen Wiese – die Universität hat mit Blick auf den Aktionstag frei gegeben. Ebenso wie einige Schulen. Und das Theaterhaus hat seine Vorstellung abgesagt. Wenn das kein kollektives Zeichen ist.

Viele junge Menschen sind gekommen, auch Senioren, Rollstuhlfahrer, Familien mit Kindern. Aus der ganzen Region sind sie angereist, teilweise mit kostenlosen Sonderbussen. Der Ort des Konzerts ist bewusst gewählt. Vor vier Jahren kamen hier Tausende zusammen, um mit Sitzblockaden das rechtsextreme „Fest der Völker“ zu verhindern – das seitdem nicht mehr in Jena stattfindet. „Es gibt hier eine rechte Szene“, sagen ein paar Punks. Doch auch der Widerstand sei groß. „Eine Problemstadt ist Jena nicht. Eine Keimzelle schon gar nicht.“ Von der Bühne aus weist der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel darauf hin, dass Rechtsextremismus kein ostdeutsches Problem sei. „Das haben wir in ganz Deutschland!“

Nach einer Schweigeminute für die Opfer wird das Musikprogramm nur von kurzen Reden unterbrochen. Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) ist da, Jenas Oberbürgermeister Albrecht Schröter (SPD), Jürgen Trittin (Grüne), Bodo Ramelow (LINKE). Auch Initiativen gegen Rechts kommen zu Wort. Sie fordern mehr staatliche Unterstützung und ein Ende der Diffamierung als linksextreme Vereinigungen.

Die Idee zu der Aktion hatte Sigmar Gabriel eine Woche zuvor. Gemeinsam mit Udo Lindenberg organisierte er schon in den 80er Jahren Konzerte für „Rock gegen Rechts“, in deren Tradition das Fest steht. Dass es die Stadt geschafft hat, innerhalb weniger Tage ein solches Großereignis zu konzipieren, ist erstaunlich. Die Kosten von 300.000 Euro waren schon vor Konzertbeginn durch Spenden eingeholt, beteiligt hatten sich das Land und viele Jenaer Unternehmen, Institute und Bürger. Überschüssiges Geld geht an Initiativen gegen Rechtsextremismus.

Die sind am Rand des Konzerts nur in der zweiten Reihe zu finden, hinter den Fressbuden. Zufrieden sind sie dennoch. Viele Menschen haben sich heute für ihre Arbeit interessiert. Ob das Konzert einen Impuls gibt, sich gegen rechte Gewalt einzusetzen, bezweifeln sie. Von der Bühne rufen Politiker, Musiker und Initiativen dazu auf, im Februar nach Dresden zu fahren und den jährlichen Nazi-Aufmarsch zu verhindern. Dann wird sich zeigen, ob das schöne Ausrufezeichen mehr war als ein Symbol.

* Aus: neues deutschland, 3. Dezember 2011


"Es wird sich zeigen, wie offen Jena ist"

Die Thüringer LINKE-Abgeordnete Katharina König über die Jenaer Naziszene und den Alltagsrassismus **


Die »Debatte« um den rechtsextremen Terror steuert schnell auf vermeintliche gesetzliche Lösungen zu: Verbot der NPD und Schaffung einer neuen zentralen Datei für Rechtsextremisten. Doch wie stichhaltig lässt sich die Partei tatsächlich mit dem Terror-Trio in Verbindung bringen? Und wäre so das Rassismus-Problem gelöst? Die Jenaer Landtagsabgeordnete Katharina König, intime Kennerin der Szene, hat Zweifel: Das Problem liege in den 56 Prozent der Thüringer, die Deutschland für »überfremdet« halten.

Die studierte Diplomsozialpädagogin Katharina König wurde 1978 als Tochter einer oppositionellen Pfarrerfamilie in Jena geboren. Zwischen Abitur und Studium lebte sie zwei Jahre in Israel. Bis 2009 war sie in der kirchlichen Jugendarbeit beschäftigt, seit 2004 ist sie auch Mitglied des Jenaer Stadtrates. Die Auseinandersetzung mit den Neonazis begleitet sie seit Jugendtagen - und gehört nun auch im Landtag zu ihren Hauptbetätigungsfeldern.



nd: Frau König, in Jena herrscht Aufregung über die ZDF-Sendung »Aspekte«. Diese habe die Stadt beleidigt, indem sie sie als rassistisch dargestellt habe. Haben Sie die Resolution auch unterzeichnet?

König: Das werde ich ganz bestimmt nicht tun. Ich halte es für anmaßend, dass sich jetzt 4000 Leute um den Ruf der Stadt sorgen, während sich bei der Demonstration für die Opfer vor einigen Tagen gerade mal 300 haben blicken lassen. Vielleicht war der Beitrag unglücklich, aber er stellt die richtigen Fragen. Nach jüngsten Zahlen denken 56 Prozent der Thüringer, Deutschland sei »überfremdet«. Das ist das Problem. Da müssen wir ran, statt Medien zu beschimpfen.

Sie haben die drei vom »NSU« in ihrer Jugend persönlich gekannt, sind von ihnen drangsaliert worden. Hätten Sie dem Trio etwas Derartiges zugetraut?

Eine solche Kaltblütigkeit traut man wohl niemand zu. Das hat mich schon geschockt. Andererseits waren es, ohne zynisch klingen zu wollen, nur zehn Tote mehr. Zusätzlich zu den mehr als 150, für deren Leben sich doch keiner der Politiker, die sich jetzt profilieren, sonderlich interessiert hat. Man sieht das ja schon daran, dass die Regierung nicht einmal eine halbwegs korrekte Zählung der Todesopfer rechtsradikaler Gewalt auf die Reihe bringt. Stattdessen verwendet der Staat weiterhin viel seiner Energie in dem Bereich darauf, linke antifaschistische Jugendgruppen zu bespitzeln und zu verfolgen.

Um das Jahr 2000 gab es die letzte große Empörungswelle über rechtsradikale Gewalt, damals war einer der Auslöser der Anschlag auf die Düsseldorfer Synagoge. Ist der seinerzeit so genannte Aufstand der Anständigen versandet?

Hier im Land hat sich die Naziszene seit 2000 stark verändert, mit dem »Aufstand« hatte das aber wenig zu tun. Die Neonazis haben sich nach dem Muster »Kampf um die Köpfe, die Straßen und Parlamente« organisatorisch ausdifferenziert. Das bringt mit sich, dass die Rechtsradikalen sich in der Öffentlichkeit etwas zurückhalten. Ab 1999/2000 sind in Jena, das ja der Gründungsort der deutschen Burschenschaften ist, auch verstärkt rechtsextreme Studentenverbindungen wie die »Normannia« aufgetreten. Die Nazis versuchen so, sich zu »normalisieren«.

Welche Rolle spielt die Verquickung der Szene mit dem Verfassungsschutz?

Soweit man das schon sagen kann, hat sich der VS zumindest ungeschickt angestellt. Seine Spitzen-V-Leute haben ein doppeltes Spiel getrieben, Spitzel-Löhne in die Szene gesteckt. Es war in den 1990ern ein offenes Geheimnis in Thüringen, dass der VS in den ganzen Nazi-Gruppen sitzt. Trotzdem konnten diese weitermachen wie gewohnt. Auch das Gros der V-Leute in der NPD hat nichts Bedeutendes zu Tage gefördert. Da stellt man sich schon Fragen.

Nun rast die Politik auf eine »Lösung« zu: NPD-Verbot und zentrale Nazi-Datei ...

... und verfehlt damit schon wieder das Ziel. Für ein NPD-Verbot spricht nach meiner persönlichen Meinung zwar der Verlust der Gelder, zu dem es dann kommen würde. Die »Meinungen« aber, die erwähnten 56 Prozent Überfremdungstheoretiker, die antisemitischen Einstellungen werden nicht berührt. Gewissermaßen hat die NPD auch den Vorteil, dass die Union nicht »alles sagen« kann, solange es eine Partei rechts von ihr gibt. Insofern könnte ein NPD-Verbot die unselige Wirkung haben, den Alltagsrassismus noch tiefer einzuschleifen. Weil dann die CDU diese Sentimente bedienen würde, wenn auch etwas weniger unappetitlich. Und eine neue Datei hätte die Morde auch nicht allein aufgeklärt. Hier geht es auch darum, eine offene und freiheitliche Gesellschaft zu verteidigen.

Was sollten stattdessen für Konsequenzen gezogen werden?

Die Bundesfamilienministerin muss die »Extremismusklausel« zurücknehmen. Zivilgesellschaftliche Projekte müssen wieder angemessen gefördert werden. Der VS muss die Verfolgung der linken Gegenkräfte einstellen. Und vor Ort müssen sich Politik und »Mitte der Gesellschaft« selbst befragen.

Wie meinen Sie das?

Heute (1. Dez.) ist in Jena ein Konzert gegen Rechts mit Udo Lindenberg. Reden sollten nur die Ministerpräsidentin, Sigmar Gabriel und Jürgen Trittin. Die LINKE, die einzige Partei im Land, die immer dagegengehalten hat, sollte außen vor bleiben. So instrumentell wird mit dem Problem umgegangen. Das Land hat jüngst den Beschluss der Stadt Jena kassiert, Asylbewerber dezentral unterzubringen - es sollen wieder Lager sein. Auch so etwas gehört ja zum Thema. Und an die Bürger: Nächstes Jahr, wenn über diese neue Asyl-Unterkunft verhandelt wird, wird sich zeigen, wie weltoffen Jena tatsächlich ist.

Interview: Velten Schäfer

** Aus: neues deutschland, 2. Dezember 2011


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