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"Politisch motiviert"

Blockieren ist strafbar? Hessens Landtag hebt Immunität von Fraktionsvorsitzenden der Linken auf. Wissler und van Ooyen sind empört

Von Marion Baumann *

Der Wiesbadener Landtag hat am Mittwoch abend (1. Feb.) den Weg für Anklagen der Staatsanwaltschaft Dresden gegen die beiden Fraktionsvorsitzenden der hessischen Linkspartei freigemacht. Mit den Stimmen von CDU und FDP wurde die parlamentarische Immunität von Janine Wissler und Willi van Ooyen aufgehoben. Wissler nannte dies »ein trauriges und zugleich bedenkliches Signal ins In- und Ausland«.

Den hessischen Linksfraktionschefs wird vorgeworfen, zu Blockaden des Nazigedenkmarsches am 13. Februar 2010 anläßlich der Bombardierungen von Dresden aufgerufen zu haben. Vor dem Landtag in Wiesbaden hatten sich zur Abstimmung zahlreiche Sympathisanten versammelt, um ihre Solidarität mit den betroffenen Abgeordneten zu bekunden. Da vor der Abstimmung keine parlamentarische Aussprache stattfand, durften sich Wissler und van Ooyen auch zu der Anklage nicht äußern. Der extra einberufenen Ältestenrat entschied, persönliche Erklärungen der Betroffenen abzulehnen. Zur Begründung heißt es, diese seien von der Geschäftsordnung nicht gedeckt.

Wissler nennt die Vorwürfe in einer Pressemitteilung »politisch motiviert«: »Wir werden verfolgt, gerade weil wir Parlamentarier sind, genau dagegen hätte uns die Immunität schützen müssen«. Mit »wir« meint sie nicht allein sich und van Ooyen. Auch dem Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei im Sächsischen Landtag, André Hahn, und seinem Thüringer Kollege, Bodo Ramelow, war die Immunität wegen Beteiligung an den Blockaden in Dresden aberkannt worden. Beide haben bereits Strafbefehle erhalten und sollen Geldstrafen zahlen. Hahn hat dagegen Widerspruch eingelegt und will eine Auseinandersetzung vor Gericht erwirken. Grund für die Ermittlungen der Dresdner Staatsanwaltschaft gegen die vier Abgeordneten sind Strafanzeigen von Neonazis. Davon kam eine aus der NPD-Fraktion des Sächsischen Landtages.

2010 hatten über 10000 Neonazigegner durch gewaltfreie Proteste und Sitzblockaden erstmalig den jährlich stattfindenden und europaweit größten »Trauermarsch« der Rechtsextremen in der sächsischen Landeshauptstadt verhindert. Die Folge waren zahlreiche Anzeigen.

Inzwischen laufen die Ermittlungen wegen der Blockaden im letzten Jahr. Wieder sind Mandatsträger der Linkspartei im Visier der Staatsanwaltschaft. Am 24. Januar wurde gegen den sächsischen Landtagsabgeordneten Falk Neubert ein Verfahren wegen »Sprengung einer Versammlung« eingeleitet. Aus demselben Grund ermittelt die Behörde gegen die Bundestagsabgeordneten Caren Lay und Michael Leutert. Die Staatsanwaltschaft Dresden verlangt in einem Schreiben vom 19. Januar an Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) die Aufhebung der parlamentarischen Immunität beider. Darüber muß der Immunitätsausschuß des Deutschen Bundestages befinden. Über einen Termin für die Entscheidung sei aus dem Immunitätsausschuß keine Aussage zu erhalten, hieß es auf Anfrage in der Pressestelle der Linksfraktion im Bundestag.

Antje Feiks, Landesgeschäftsführerin der sächsischen Linkspartei, erwartet weitere Anklagen. Hinter den eingeleiteten Verfahren vermutet sie einen Einschüchterungsversuch im Vorfeld der diesjährigen Proteste. An denen werden sich wie in den Vorjahren neben Linksparteipolitikern auch Vertreter von SPD und Grünen beteiligen. Gegen diese wurde bisher jedoch nicht ermittelt.

Auch für 2012 sind Blockaden und kollektive Regelübertretungen angekündigt. Die Polizei gab bereits bekannt, mit einem »harten Durchgreifen« zu reagieren. In den Dresdner Neuesten Nachrichten kündigte Polizeipräsident Dieter Kroll an, den gesamten »Instrumentenkasten« seiner Behörde zu nutzen. Dazu gehöre auch »einfache körperliche Gewalt« sowie der Einsatz von Wasserwerfern und Räumpanzern. Darüber hinaus wird eine erneute Anwendung der Handydatenabfrage nicht ausgeschlossen.

* Aus: junge Welt, 3. Februar 2012


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