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Wichtige Bausteine

Zur Wirkung der Antirassismusrichtlinie der EU in Deutschland. Ein Gastbeitrag von Marei Pelzer (PRO ASYL) im "neuen deutschland"

Von Marei Pelzer *


Die Autorin ist rechtspolitische Referentin der Flüchtlingsorganisation PRO ASYL.

Der Skandal um das rechtsextremistische Terrornetzwerk muss umfassend aufgeklärt werden. Doch dies allein reicht nicht aus. Vor allem muss die Frage gestellt werden, vor welchem gesellschaftlichen Hintergrund dieser Skandal eigentlich gedeihen konnte. Schließlich sind rassistische, antisemitische und islamfeindliche Orientierungen nicht nur an den »Rändern« der Gesellschaft zu finden, sondern reichen bis weit in die politische Mitte und in die staatlichen Strukturen hinein. Statt auf den rechten Terror mit dem Ausbau der Sicherheitsapparate und ihrer Überwachungsinstrumente zu reagieren, muss endlich die völlig unzureichende Antirassismuspolitik der Bundesregierung thematisiert werden.

Von der Europäischen Union gingen immer wieder wichtige Impulse für die Bekämpfung des gesellschaftlichen Rassismus aus. So würde es in Deutschland ohne die EU auch heute noch kein Antidiskriminierungsrecht geben. Auch wenn die Bundesregierung die von der EU vorgegebene Antirassismuspolitik in der Vergangenheit vielfach zu schwächen versuchte, spielt die EU im Bereich der juristischen Stärkung der Rechte derjenigen, die von Rassismus betroffen sind, eine wichtige Rolle. Im Jahr 2000 wurde auf EU-Ebene die sogenannte Antirassismusrichtlinie verabschiedet, die Schutz vor rassistischen oder ethnischen Diskriminierungen im Zivilrechtsverkehr vorsieht. Zwar wurde diese EU-Richtlinie wohl nur deswegen politisch mehrheitsfähig, weil damals der Schock über die Regierungsbeteiligung der rechtsradikalen FPÖ Jörg Haiders in Österreich noch tief saß. Das ändert aber nichts an ihrer Relevanz: Die Antirassismusrichtlinie bietet Schutz gegen Diskriminierung im Beruf und Zugang zu Waren und Dienstleistungen. In Deutschland wurde dieses EU-Recht mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz umgesetzt.

So innovativ und fortschrittlich das EU-Recht sich vom Grundansatz her auf Deutschland auswirkte, so lückenhaft und halbherzig wurde es umgesetzt. Beispielsweise ist die sogenannte Gettoklausel entgegen der Richtlinie aufgenommen worden. Danach dürfen Vermieter die Auswahl von Mietern anhand ethnischer Kriterien vornehmen, um »sozial stabile Bewohnerstrukturen und ausgewogene Siedlungsstrukturen sowie ausgeglichene wirtschaftliche, soziale und kulturelle Verhältnisse« zu erhalten oder zu schaffen. Die vorgeblich sozialpolitisch motivierte Selektion ist selbst eine Diskriminierung und mit dem EU-Recht nicht vereinbar.

Zu kritisieren ist auch, dass die Antidiskriminierungsstelle des Bundes nur schwach ausgestaltet wurde. Die in der europäischen Antirassismusrichtlinie vorgesehene unabhängige Aufgabenerledigung durch die Antidiskriminierungsstelle wurde zuletzt auch dadurch beschränkt, dass die schwarz-gelbe Koalition im Haushaltsausschuss des Bundestages Anfang November umfangreiche Etatkürzungen beschlossen hat.

Das Antidiskriminierungsrecht und die dazugehörige Stelle können nur Bausteine einer Gesamtstrategie gegen Rassismus sein. Um den breit verankerten Rassismus zurückzudrängen, sind diese Bausteine wichtig. Das Netz gegen Rassismus, dessen Mitglieder PRO ASYL, der Interkulturelle Rat, der DGB und viele weitere Verbände sind, hat bereits im Jahr 2010 als Reaktion auf die mangelnde Entschlossenheit der Bundesregierung einen eigenen Aktionsplan gegen Rassismus veröffentlicht. Darin werden umfassende Vorschläge zur Förderung von zivilgesellschaftlichen Strukturen, für die Bereiche Antidiskriminierungspolitik, Medien, gesellschaftliche Ausschlussmechanismen sowie staatliche Diskriminierung entwickelt. Die Bekämpfung von Rassismus muss als systematische und langfristige Aufgabe angesehen werden.

* Aus: neues deutschland, 25. November 2011


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