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Dresden setzt sich quer

Von Markus Bernhardt *

Über 12000 Nazigegner haben den »Mythos Dresden« geknackt und einen geplanten Aufmarsch von über 6000 Neonazis aus dem In- und Ausland mittels Massenblockaden verhindert. Ursprünglich wollten die Faschisten anläßlich des 65. Jahrestages der alliierten Bombardierung durch die Stadt marschieren und die Luftangriffe auf die Elbmetropole für ihre Propaganda über einen »Bombenholocaust« mißbrauchen.

Aufgerufen zu den Blockaden am Sonnabend (13. Feb.) hatte das Bündnis »Dresden stellt sich quer!« Von den frühen Morgenstunden an harrten Tausende Antifaschisten bei eisigen Temperaturen rund um den Bahnhof Neustadt aus. Gegen 17 Uhr kam die erlösende Nachricht: Die Polizei konnte den Neonaziaufmarsch, der von der rechtsextremen »Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland« (JLO) angemeldet worden war, aufgrund der starken Proteste nicht durchsetzen.

»Es war nicht einfach, es gab Verletzte durch Naziangriffe und es war saukalt – aber es hat sich gelohnt«, erklärte Lena Roth, Sprecherin von »Dresden stellt sich quer!« am Sonntag (14. Feb.) gegenüber junge Welt. Erstmalig sei es gelungen, den größten Neonaziaufmarsch Europas zu stoppen. Ausschlaggebend dafür seien die Vielfalt und die Entschlossenheit des Bündnisses, das von über 600 Organisationen und 2000 Einzelpersonen unterstützt worden war, sowie das klare Blockadekonzept gewesen. Auch Ringo Bischoff, Bundesjugendsekretär der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, zog eine positive Bilanz. »Die ver.di-Jugend sieht sich in ihrem antifaschistischen Engagement bestätigt und wird auch weiterhin aktiv gegen Nazis und rechte Ideologien im Betrieb und in der Gesellschaft vorgehen«, erklärte er. Florian Wilde, Geschäftsführer von Die Linke.SDS, äußerte die Hoffnung, mit »dem Ansatz breiter Bündnisse und entschlossener Blockaden künftig an noch viel mehr Orten in Deutschland Naziaufmärsche verhindern zu können«.

Etwa 10000 Menschen hatten sich ebenfalls am Samstag fernab des Aufmarschortes der Neonazis versammelt und eine Menschenkette in der Altstadt gebildet. Harsche Kritik an der auf Initiative der Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) durchgeführten Aktion äußerte der Vorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), Heinrich Fink. Ohne den beteiligten Bürgern zu nahe treten zu wollen, müsse festgehalten werden, daß Symbolpolitik nicht ausreiche, einen Aufmarsch gewalttätiger Neofaschisten zu stoppen. Fink forderte die aus CDU und FDP bestehende sächsische Landesregierung zudem auf, die im vergangenen Monat vorgenommenen Verschärfungen des Versammlungsrechts umgehend rückgängig zu machen. »Die erfolgreichen Blockaden haben eindrucksvoll bewiesen, daß wir uns im Kampf gegen alte und neue Nazis nur auf uns selbst und schon gar nicht auf eine Landesregierung oder Polizei und Justiz verlassen können«, erklärte der Antifaschist weiter. Carsten Biesok, rechtspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Sächsischen Landtag, verklärte die Verhinderung des Naziaufmarschs hingegen zu einem »Erfolg des neuen Versammlungsgesetzes«.

Während Karl-Heinz Gerstenberg, Parlamentarischer Geschäftsführer der sächsischen Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, sich bei den etwa 8000 Polizeibeamten, die am Sonnabend in Dresden im Einsatz waren, für »eine Polizeistrategie der Besonnenheit, Toleranz und Deeskalation« bedankte, erheben Nazigegner schwere Vorwürfe. Die Beamten seien wiederholt brutal gegen friedliche Blockierer vorgegangen und hätten Schlagstöcke, Pfefferspray und – trotz eisiger Temperaturen – Wasserwerfer eingesetzt. Auch trage die Polizei die Verantwortung für Angriffe von Neofaschisten auf deren Gegner. Dutzende Rechtsextreme hatten unter den Augen der Uniformierten das alternative Zentrum »Conni« in der Neustadt attackiert. Dabei soll ein Antifaschist schwer verletzt worden sein.

Die Polizei hingegen spricht einzig von 27 Leichtverletzten – darunter 15 Polizeibeamte. Es seien insgesamt 29 Personen, darunter 21 Antifaschisten, in Gewahrsam genommen worden. Die jungen Männer im Alter zwischen 16 und 36 Jahren müßten sich nun unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung, Landfriedensbruch, Sachbeschädigung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Verstößen gegen das Versammlungsgesetz sowie das Waffengesetz verantworten. Außerdem seien zwölf Reisebusse – offenbar von Neonazis – angegriffen und stark beschädigt worden.

Im Anschluß an den gescheiterten Aufmarsch in der Elbmetropole waren Neofaschisten marodierend durch verschiedene Städte marschiert. Im sächsischen Pirna griffen etwa 250 Nazis die Wohnungen von ihnen bekannten Antifaschisten sowie ein SPD-Büro an. Im thüringischen Gera wurde eine Spontandemonstration von Rechtsextremen von der Polizei aufgelöst.183 Neonazis wurden dort vorübergehend festgenommen. Die NPD hat für das kommende Jahr wieder »Aktionen« in Dresden angekündigt.

* Aus: junge Welt, 15. Februar 2010


Buntes Dresden stoppt braune Einfalt

Mehr als 10 000 Blockierer verhindern rechten Aufmarsch / Menschenkette umringt Altstadt

Von Hendrik Lasch und Markus Drescher, Dresden *


Am 65. Jahrestag der Bombardierung Dresdens gelang es am Samstag (13. Feb.) erstmals, den alljährlichen Naziumzug in der Stadt zu blockieren.

»No pasarán!« – sie kommen nicht durch – und »Dresden nazifrei!«: Zwei Bündnisse, die vor dem Jahrestag der Bombardierung Dresdens im Jahr 1945 dazu mobilisiert hatten, den neonazistischen »Trauermarsch« am 13. Februar durch die Elbestadt zu verhindern – mit Erfolg: An diesem Tag konnten die Nazis anders als in den Jahren zuvor keinen Schritt durch die Stadt tun.

»Dank an alle, die mitgemacht und sich nicht einschüchtern lassen haben«, erklärte Lena Roth, Sprecherin von »Dresden nazifrei!«. »Es war nicht einfach, es gab Verletzte durch Nazi-Angriffe und es war saukalt – aber es hat sich gelohnt.« Mehr als 10 000 Menschen beteiligten sich an den friedlichen Straßenblockaden rund um den Neustädter Bahnhof, wo sich nach Polizeiangaben rund 6400 Nazis versammelt hatten. Um 17 Uhr wurde ihre Kundgebung aufgelöst und die Rechten mussten die Stadt mit Zügen verlassen.

Angesichts der großen Teilnehmerzahl an den Blockaden hatte die Polizei, die mit rund 7000 Beamten aus den gesamten Bundesgebiet im Einsatz war, den geplanten Naziaufmarsch aus Sicherheitsgründen abgesagt. Der Widerstand gegen den rechtsextremen Aufmarsch blieb jedoch weitgehend friedlich, nur sehr vereinzelt kam es zu Auseinandersetzungen. Insgesamt wurden laut Polizei 29 Personen unter anderem wegen Sachbeschädigung und Körperverletzung festgenommen.

Großen Zulauf gab es auch bei einer Menschenkette in der Innenstadt, die ursprünglich die Synagoge und den Altmarkt verbinden und so die historische Altstadt symbolisch gegen Rechtsextreme hatte schützen sollen. Weil jedoch mit 15 000 deutlich mehr Bürger als erwartet zu dem Protest kamen, umspannte die Menschenkette schließlich die komplette Innenstadt. Dresden sei so zu einer »Festung gegen Intoleranz und Dummheit« geworden, sagte CDU-Oberbürgermeisterin Helma Orosz.

Auch Vertreter von Parteien und Gewerkschaften lobten die Aktion. Allerdings brauche es momentan »mehr als Symbolik«, um die Nazis in die Schranken zu weisen, betonte Katja Kipping, Bundesvize der LINKEN aus Dresden. Sie lobte die »Kreativität und Entschlossenheit« von Antifaschisten aus der gesamten Bundesrepublik bei den Blockaden. Zu deren Gelingen habe indes auch die Deeskalationsstrategie der Polizei beigetragen. Es sei gelungen deutlich zu machen, »dass diese Stadt Nazis jetzt wirklich satt hat«, sagte DGB-Landeschefin Iris Kloppich. Der Verein »Bürger.Courage« forderte die politisch Verantwortlichen auf, »über ihren Schatten zu springen und den friedlichen Protestierern für ihr Engagement für Dresden und die Demokratie zu danken«.

Der Frust über den gescheiterten Marsch schlug bei den Rechten in Gewalt um. In Gera verhinderte die Polizei einen spontanen Aufmarsch und nahm 183 Neonazis wegen Landfriedensbruchs vorläufig fest. Im sächsischen Pirna versammelten sich nach dpa-Angaben etwa 400 Rechtsextreme. Dabei sei es ebenfalls zu Sachbeschädigungen gekommen.

* Aus: Neues Deutschland, 15. Februar 2010

Siehe auch:
Es hat sich gelohnt: „Dresden nazifrei“ treibt Nazis zur Verzweiflung
Von Peter Strutynski, Dresden/Kassel


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