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Bürgerkriegsszenario

Dresdens neuer Polizeipräsident entpuppt sich als echter Hardliner. Einsatz von Wasserwerfern und Räumpanzern gegen Teilnehmer antifaschistischer Blockaden angekündigt

Von Markus Bernhardt *

Kurz vor den Aufmärschen, mittels derer Neofaschisten aller Couleur im Februar die Bombardierung Dresdens durch die Alliierten 1945 zu einem gegen die Zivilbevölkerung gerichteten »Bombenholocaust« umdeuten wollen, mehren sich Angriffe auf Antifaschisten, die die Rechten mit Massenblockaden stoppen wollen. So behauptete etwa Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU), daß »Blockaden rechtswidrig sind« und »Gewaltexzesse« der Neonazigegner im vergangenen Jahr »das Problem« gewesen seien. Angesprochen auf die Handyüberwachung und Bürodurchsuchungen, kündigte Ulbig in der Sächsischen Zeitung von Donnerstag an, daß die Polizei auch bei den Protesten in diesem Jahr nicht auf die »notwendigen Mittel verzichten« werde.

Obwohl die massive Handyüberwachung von Politikern, Datenschützern und Bürgerrechtlern scharf kritisiert wurde und die polizeiliche Erstürmung der Büroräume im Dresdner »Haus der Begegnung« im Februar 2011 in einem ersten Gerichtsurteil als rechtswidrig eingestuft wurde, will die von CDU und FDP geführte Landesregierung ihren Weg der Einschüchterung und Kriminalisierung offenbar weiter fortsetzen. Gleiches gilt für Dresdens Polizeipräsident Dieter Kroll. Der kündigte am Donnerstag gegenüber den Dresdner Neueste Nachrichten an, weiterhin auf die Speicherung von Handydaten zu setzen. Falls nötig, soll die strittige Funkzellenabfrage auch bei den Demonstrationen im kommenden Monat genutzt werden, um später über Daten von mutmaßlichen Gewalttätern verfügen zu können, erklärte Kroll. Außerdem kündigte der Polizeipräsident an, nicht nur »einfache körperliche Gewalt« gegen Blockierer einzusetzen, sondern auch Wasserwerfer, Räumpanzer und andere »Hilfsmittel«.

Sachsens Generalstaatsanwalt Klaus Fleischmann wertete vor kurzem die Funkzellenabfrage als »im Ergebnis bescheiden« und die Durchsuchung der Wohnung und Arbeitsräume des Jenaer Jugendpfarrers König (jW berichtete) als »nicht professionell«. Polizeipräsident Kroll dagegen, der das erste Mal für den Großeinsatz im Februar zuständig ist, will sich offenbar als Hardliner ins Gespräch bringen. Sein Vorgänger Dieter Hanitsch hatte seinen Posten aufgrund der Handydatenaffäre verloren.

Auf Ablehnung stoßen die von Kroll geäußerten Gewaltphantasien indes bei Rico Gebhardt, dem innenpolitischen Sprecher der Linksfraktion im Sächsischen Landtag. Schon alleine die Wortwahl trage nicht zur Deeskalation bei. »Wenn der Polizeipräsident der Meinung ist, er müsse seine Polizeitruppen in eine Schlacht führen, dann tun mir die einzelnen Polizisten leid«, so Gebhardt am Donnerstag gegenüber junge Welt.

Harsche Kritik an den politischen Entscheidungsträgern übt indes die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA). Die mitgliederstärkste antifaschistische Organisation der BRD wirft in einem offenen Brief Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich sowie dem sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich und dessen Innenminister Markus Ulbig (alle CDU) vor, sie hätten »in den vergangenen Jahren keinen Grund gesehen, den europaweit größten Naziaufmarsch durch Dresden zu verbieten«. Hingegen sei »der antifaschistische Protest schon im Vorfeld als illegitim diffamiert und zunehmend kriminalisiert« worden. Die VVN-BdA macht sich in dem Schreiben erneut für ein Verbot faschistischer Gruppierungen, Parteien und Aufmärsche stark.

* Aus: junge Welt, 20. Januar 2012


Vorsichtiges Aufatmen in Dresden

Keine ernsthafte Mobilisierung der Nazis für Aufmarsch am 18. Februar

Von Hendrik Lasch **


Der zeitweilig europaweit größte Aufmarsch der rechten Szene, den diese regelmäßig am Wochenende nach dem 13. Februar, dem Jahrestag der Zerstörung Dresdens, dort durchführte, könnte jetzt erstmals ausfallen.

Szenebeobachter kommen derzeit zu dem überraschenden Schluss: Es gebe »keine ernst zu nehmende Nazimobilisierung« für den 18. Februar. Das Dresdner Antifa-Rechercheteam im Blog »venceremos« stellte fest, der einzige seriöse Aufruf sei aus dem Netz genommen worden; zudem würden andere Veranstaltungen an dem Tag beworben. Anmeldungen würden nur aufrecht erhalten, um Proteste »ins Leere laufen zu lassen«. Lakonischer Kommentar: »Ein Nazi-Großaufmarsch weniger!«

Gänzlich abgesagt sind die Aktionen am 18. Februar noch nicht, sagen andere Beobachter. Die Nazis »lassen sich das Datum offen«, sagt Danilo Starosta vom »Kulturbüro Sachsen« - und zwar abhängig davon, wie eine Demonstration abläuft, die für den 13. Februar geplant ist. Diese steht für die Szene nach übereinstimmenden Einschätzungen im Fokus. Auch die NPD soll nach anfänglicher Zurückhaltung den Aufmarsch jetzt unterstützen.

Das Bündnis »Dresden nazifrei!«, das 2010 und 2011 zu Massenblockaden aufgerufen hatte und für den 18. Februar erneut bundesweit mobilisiert, will sich in den nächsten Tagen über eine mögliche Reaktion verständigen, sagte Sprecher Stefan Thiele. Das Bündnis teilt die Einschätzung, wonach für den 18. Februar mit deutlich weniger Nazis zu rechnen ist. Nach jetzigem Stand würden aber weiterhin Massenblockaden vorbereitet. »Wir wollen jeden Aufmarsch verhindern«, heißt es auf nd-Anfrage, »egal ob 6000 oder 600 Nazis versuchen, durch Dresden zu marschieren.« Ebenfalls unklar ist, ob es am 13. Februar zu größeren Protesten gegen den Naziaufmarsch kommt. Für diesen Tag hat die Stadt wie in den vergangenen Jahren zu einer Menschenkette aufgerufen. Eine Demonstration, die erstmals von einer »Arbeitsgruppe 13. Februar« vorbereitet wird und in Hör- und Sichtweite zu den Nazis geplant ist, soll erst am 18. stattfinden.

Beim »Nazifrei«-Bündnis sieht man die Hauptverantwortung für Proteste an diesem Tag bei den Dresdnern. Eigenes Ziel sei gewesen, den europaweit größten Aufmarsch mit bis zu 7000 Teilnehmern »zu knacken«, sagt Thiele. Dem sei das überregionale Bündnis dank erheblicher Anstrengungen offenbar nahe. Wirksame Aktionen am 13. Februar müssten indes in Dresden organisiert werden: »Das kann man hier allein.«

Dagegen warnt Starosta vor einer »Fehleinschätzung«: Auch die Naziaktionen am 13. Februar seien »ein bundesweites Thema«. Er beobachtet ein »taktisches Dilemma« bei der Mobilisierung zu Protesten, hält es aber für richtig, am 18. Februar festzuhalten, um einen »Schlusspunkt« unter die Nazi-Großaufmärsche zu setzen.

** Aus: neues deutschland, 20. Januar 2012


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