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Sächsisches SEK auf dem Irrweg?

Rico Gebhardt über einen merkwürdigen Polizeieinsatz am 19. Februar / Gebhardt ist Landesvorsitzender der LINKEN und innenpolitischer Sprecher der Landtagsfraktion *


Neues Deutschland (ND): Am Samstag hat Sachsens LKA das »Haus der Begegnung« (HdB) in Dresden durchsucht, in dem auch die Stadtgeschäftsstelle der LINKEN sitzt. Welche neuen Erkenntnisse gibt es inzwischen?

Gebhardt: Wir wissen heute, dass das LKA das falsche Gebäude durchsucht hat. Beantragt war eine Aktion beim Jugendverein »Roter Baum«, betroffen war das »Haus der Begegnung« auf der anderen Straßenseite. Die Rechtfertigungen der Staatsanwaltschaft, warum man dort eingedrungen ist, und zwar auch in Räume der Partei und sogar einer Anwaltskanzlei, halte ich für absurd. Deren Tür wurde eingetreten, obwohl ein großes Schild auf die Kanzlei hinweist. Man zieht im Nachhinein Rechtfertigungen an den Haaren herbei.

Wird der missglückte Einsatz juristische Folgen haben?

Wir machen Schadenersatzansprüche geltend und lassen prüfen, inwieweit die gesammelten Daten verwertet werden dürfen. Dazu habe ich einen Anwalt eingeschaltet. Vor allem muss die Angelegenheit aber ein politisches Nachspiel haben.

In welcher Form?

Darüber muss die Fraktion in den nächsten Tagen befinden. Die SPD hat eine Sondersitzung des Innenausschusses beantragt; das ist sicherlich der richtige Ort. Wir wollen klären, ob der SEK-Einsatzleiter und der Präsident des Landeskriminalamtes überfordert waren. Beide werden einige Fragen zu beantworten haben.

Muss es dabei nur um die Stürmung des HdB gehen? Die SPD attestiert der Polizei für den 19. Februar Totalversagen.

Totalversagen werfe ich der Polizei nicht vor. Wir hatten eine sehr unübersichtliche Situation in Dresden, denn die Sicherheitsbehörden haben als Schlussfolgerung aus Urteilen des Verwaltungsgerichts einen Polizeieinsatz organisiert, der beteiligte Beamte überfordern musste. Zu klären sind allerdings einige konkrete und durch Filmaufnahmen belegte Situationen: der Einsatz eines Wasserwerfers ohne vorherige Ankündigung, die Anwendung von so genannten pepper balls, die Nutzung von Polizeidrohnen oder die versuchte Erstürmung des alternativen Wohnprojektes »Die Praxis« durch Nazis, das die Polizei an diesem Tag nicht schützte, obwohl die Attacke abzusehen war. Alle diese Fragen müssen parlamentarisch geklärt werden.

Fordern Sie personelle Konsequenzen?

Das muss geklärt werden. Ich rede nicht über den Polizepräsidenten oder den Innenminister, aber im Fall des vor Kurzem eingesetzten LKA-Präsidenten muss man tatsächlich überlegen, ob das der richtige Mann am richtigen Ort ist, wenn er bereits beim ersten Einsatz versagt. Und sollten sich die Gerüchte verdichten, wonach der Verfassungsschutz seine Hand im Spiel hatte, frage ich mich, wie sinnvoll eine solch große Behörde ist, wenn sie im Zweifelsfall nicht einmal das richtige Objekt identifiziert.

Der Einsatz richtete sich gegen die Pressestelle des Bündnisses »Dresden Nazifrei!«, dem die Anstiftung zu Gewaltstraftaten vorgeworfen wird. Halten Sie das für gerechtfertigt?

Wir müssen jetzt sehr aufpassen, dass nach den erfolgreichen Blockadeaktionen die zivilgesellschaftlichen Proteste nicht kriminalisiert werden. Das Bündnis hat die friedlichen Proteste organisiert, das heißt auch: eine entsprechende Logistik aufgebaut. Sie dürfen jetzt nicht dafür haftbar gemacht werden, dass es den Naziaufmarsch in Dresden zum zweiten Mal nach 2010 nicht gegeben hat.

Fragen: Hendrik Lasch

* Aus: Neues Deutschland, 23. Februar 2011


"Wir verklagen Sachsen auf Schadensersatz"

Unglaublich brutales Vorgehen der Polizei bei Razzia in der Dresdner Linke-Geschäftsstelle. Ein Gespräch mit Hans Jürgen Muskulus **

Hans Jürgen Muskulus ist Chef der Linkspartei des Stadtverbandes Dresden, Vorsitzender des Fördervereins Haus der Begegnung und Vermieter der am Samstag von der Polizei durchsuchten Räume in der Großhainer Str. 93.

Mit einer Großrazzia hat die Dresdner Polizei am Samstag die Geschäftsstelle des Stadtverbandes der Partei Die Linke, eine Anwaltskanzlei sowie einen Jugendklub des Vereins »Roter Baum« heimgesucht. Sie waren anwesend – was hat sich dort abgespielt?

Nach 18 Uhr stürmten rund 120 Beamte der Polizei und eines Sondereinsatzkommandos unsere Parteizentrale und weitere Räume des »Hauses der Begegnung« in der Großenhainer Straße 93. Die Polizei durchsuchte das gesamte Haus, unabhängig davon, wer dort Mieter ist. Unter anderem befinden sich hier ein Rechtsanwaltsbüro, Räume des Vereins »Roter Baum«, das Büro eines Vereins von Rußland-Deutschen. Im Dachgeschoß gibt es eine Privatwohnung.

Dabei ist ein Schaden von mehreren tausend Euro entstanden. Insgesamt zehn Türen wurden aufgebrochen – teilweise mit einer Kettensäge oder brutal eingetreten. An diesem Tag hatten wir sie verschlossen, weil wir befürchten mußten, daß Nazis wegen ihres Marsches auf Dresden durch die Straßen ziehen und in unser Haus eindringen könnten. Beim Verein »Roter Baum« hat die Polizei bewußt Gegenstände zerstört, zum Beispiel Geschirr zerschlagen. Auf meine Nachfrage nach dem Grund für dieses Vorgehen sagte der Staatsanwalt, mögliche Straftaten hätten vereitelt werden sollen – oder man habe diesen vorbeugen wollen. Von schwerem Landfriedensbruch war die Rede.

Trifft es zu, daß rund 20 Personen festgenommen wurden?

Die Polizei hat willkürlich Leute festgenommen, die sich in unseren Räumen aufhielten. Unter anderem zwei ältere Genossen, die Telefondienst verrichteten, um Auskunft über die antifaschistischen Blockaden in der Stadt zu geben oder Menschen, die dem Bündnis »Dresden nazifrei« angehören und Pressearbeit machten. Festgenommen wurden ebenso acht junge Leute, die nur herumsaßen und sich unterhielten.

Gab es bei der Festnahme Verletzungen?

Meiner Kenntnis nach soll beim Eindringen der Polizei in das Haus eine Person getreten und geschlagen worden sein, die danach in ärztliche Behandlung mußte. Allerdings weiß ich nichts Näheres. Da man allen zu diesem Zeitpunkt anwesenden Personen Kommunikationsmittel und persönliche Gegenstände abgenommen und bis heute nicht zurückgegeben hat, konnte ich keinen Kontakt aufnehmen: Die Polizei hat insgesamt 25 Handys und 21 Computer und Laptops beschlagnahmt.

Die Staatsanwaltschaft hat sich in Widersprüche verwickelt – haben die Beamten etwa das falsche Haus durchsucht?

Noch am Abend hatten Staatsanwalt und Einsatzleiter mir gesagt, sie hätten den gesamten Gebäudekomplex des »Hauses der Begegnung« zu durchsuchen. Dieses befindet sich in der Großenhainer Straße 93. Dafür gab es allerdings keinen schriftlichen Durchsuchungsbefehl, man zog sich auf einen mündlichen Auftrag zurück. Als ich danach das Durchsuchungs- und Beschlagnahmeprotokoll verlangte, stand dort: »Durchsuchung Vereinsgebäude Roter Baum, Großenhainer Straße 86«! Bei den durchsuchenden Beamten muß offenbar eine eigenartige Leseschwäche vorherrschen.

Worauf ist die Maßnahme zurückzuführen?

Der Staatsanwalt gab an, die Räume aufgrund einer Tage zuvor angeordneten Telefonüberwachung zu durchsuchen. Man hatte offenbar gehofft, eine Art Zentrale vorzufinden, von der aus »linksextremistische Gewalttaten« ausgegangen sind. So nennen sie das. Meiner Meinung nach wollte man Strukturen des Bündnisses »Dresden nazifrei« ergründen, in dem Die Linke mitarbeitet. Zu einer modernen linken antifaschistischen Partei gehört eben dazu, ihre Räume politischen Bewegungen zur Verfügung zu stellen.

Wir werden die Auswirkungen der Polizeiaktion dokumentieren und den Freistaat Sachsen auf Schadensersatz verklagen. Nachvollziehbar ist auch nicht, daß die Medienberichterstattung 82 verletzte Polizisten in den Vordergrund stellt – die durch überzogenes Polizeiverhalten verletzten Demonstranten aus dem linken Spektrum hingegen gar nicht erwähnt. Wir hatten zu friedlichem Blockieren des Naziaufmarsches aufgerufen.

Interview: Gitta Düperthal

** Aus: junge Welt, 23. Februar 2011


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